Langsam lösten sich die Beiden voneinander und sahen sich tief in die Augen bevor sie ihre Köpfe mir zuwandten.
Zeitgleich standen sie auf und kamen mit langsamen Schritten auf mich zu. Sie bewegten sich so synchron, dass man meinen könnte, sie hätten ihre Bewegungen genau aufeinander abgestimmt.
Bei ihrem vertrauten Anblick rollte der riesige Felsbrocken von meinem Herzen und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, bevor ich überschwänglich aufstand und den Beiden um den Hals fiel.
Vergessen waren all die Schmerzen, die Momente der Trauer und wir hielten einander einfach nur fest. Ich spürte wie sich auch in dem Inneren von James und Jason ein großer Knoten löste, der über all die Jahr hinweg entstanden war. Die Kluft zwischen ihnen wurde gefüllt und reparierte sich.
Noch war nicht alles ausgesprochen, nicht alles vergeben, aber wir alle wussten, dass es nur noch besser wurde.
Ich fühlte wie ihre Körper leicht anfingen zu vibrieren: „Lucy du erwürgst uns fast."
Rau lachten sie auf, als ich mich peinlich berührt von ihnen löste und etwas Abstand zwischen uns brachte.
Um von meinen roten Wangen abzulenken sagte ich schnell: „Also, könnt ihr mir dann mal erklären was ihr überhaupt mit dem Ganzen gemeint habt? Was hat euer Vater denn getan?"
Schlagartig wurden ihre Gesichter ernst. Sie blickten sich an und nickten wie zum stummen Einverständnis.
„Können wir nicht wann anders darüber reden?", sprach dann Jason ihre Gedanken aus.
Dabei sah er so ernst aus und ich erkannte, dass er noch Zeit brauchte und es noch nicht mit mir teilen wollte. Ich hatte nicht vor sie zu irgendetwas zu zwingen, also nickte ich schulterzuckend: „Meinetwegen, aber ihr schuldet mir auf jeden Fall eine Erklärung."
Sofort wurden die Gesichtszüge der Jungs weicher und ich erkannte ihre Erleichterung.
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen: „Aber zuerst sollten wir hier aufräumen."
Der Boden war mit Scherben und heruntergefallenen Büchern übersäht. Unwillkürlich schweifte mein Blick zu James Händen und meine Augen weiteten sich.
„Oh mein Gott! Das muss dringend verarztet werden!", panisch nahm ich sine Hand und begutachtete die vielen kleinen Schnitte.
James zog seine Hand vorsichtig zurück und redete beruhigend auf mich ein: „Alles gut, Lucy. Es tut gar nicht weh und es sind nur ein paar kleine Kratzer, also nichts Schlimmes."
„Nichts schlimmes? Das blutet wie verrückt! Sag mir wenigstens, wo ich Verbandzeugs finde.", rief ich fast hysterisch.
„Na gut, komm mit ich zeige es dir.", seufzte James und richtete seinen Blick auf seinen Bruder: „Fängst du schon mal an aufzuräumen?"
Mit einem Nicken von ihm ging James voraus durch die große Eingangstür der Bibliothek. Beim Vorbeigehen erkannte ich die vielen Blumenranken, die sauber in das Holz geschnitzt worden waren. Ob sie wohl von Hand geschnitzt waren?
Von der Tür aus kam man in den langen Flur, von dem auch die Zimmer von den Zwillingen abzweigten.
James jedoch führte mich zu einer anderen Tür, hinter der sich das Badezimmer befand. Während er sich auf einen der Schränke zubewegte schaute ich mich um.
An den Wänden waren schwarze Marmorfliesen angebracht, die einen schönen Kontrast zu den weißen Schränken gaben, die rechts an der Wand neben dem weißen Waschbecken standen. Darüber hang ein großer beleuchteter Spiegel.
Gegenüber von mir war eine verspiegelte Fensterfront, durch die man eine schöne Aussicht in den Garten hatte. Davor stand eine große Badewanne, in die man locker zu zweit reingepasst hätte.
Rechts von mir erblickte ich eine Regendusche, die die verschiedensten Funktionen hatte und von Milchglas abgeschirmt war.
James, der inzwischen einen Verbandskasten in der Hand hatte, ging in Richtung eines kleinen Hockers in der Ecke des Raumes. Ich folgte ihm, setzte mich auf den Hocker und nahm ihm den Verbandskasten aus der Hand.
Während ich James verarztete fing er leise, mit gesenktem Blick an zu sprechen: „Es tut mir leid was ich gemacht habe. Ich habe dich ausgenutzt um mich an Jason zu rächen und dabei gar nicht bedacht was ich dir damit antun könnte.", kurz schüttelte er den Kopf.
„Nein, falsch. Es war mir ehrlich gesagt egal. Ich war so blind vor Wut, dass mir wirklich alles andere vollkommen egal war. Ich wollte meinem Bruder einfach nur etwas Wichtiges nehmen, damit er versteht was er mir damals getan hatte, als er mich verließ", James bis sich auf die Lippe.
„Ich hatte gehofft, dass er dann weiß wie es ist den wichtigsten Menschen auf der Welt zu verlieren, aber dann habe ich euch in der Bibliothek gesehen und wurde auf einmal so unglaublich eifersüchtig. Er hatte einfach schon wieder das, was ich ihm so unbedingt wegnehmen wollte."
Ich hörte ihm einfach nur still zu, während eine kleine Träne über seine Wange lief. Er atmete einmal tief durch bevor er weitererzählte: „Weißt du, ich wollte immer das haben was Jason hat. Für mich war er immer mein Vorbild. Mein großer Bruder, auch wenn er nur ein paar Minuten älter war als ich." Freudlos lachte er kurz auf.
„Er war mein Held, denn er traute sich sich gegen Mum und Dad zu wehren, trotz dessen, was Dad ihm angetan hatte. Jason ging fort und ließ mich allein bei unseren Eltern. Ich habe nie darüber nachgedacht, was das alles mit ihm gemacht hatte und war einfach nur wütend auf ihn. Wütend darauf, dass er mich einfach alleine gelassen hatte. Dass er nun ohne Dad und seiner Brutalität leben konnte. Ich wurde so unbeschreiblich wütend. Also beschloss ich Rache zu nehmen. Ich machte alles was unsere Eltern von mir wollten und versuchte Perfekt zu sein, ihre Erwartungen zu erfüllen. Doch es ging nach hinten los." Ein trauriges Schluchzen verließ seine Kehle.
Fest drückte ich seine inzwischen verbundene Hand indem Versuch ihm ein bisschen Trost zu spenden.
„Anstatt ihm eines auszuwischen ging ich immer mehr kaputt. Die Wut und Eifersucht fraßen mich auf, während ich verzweifelt versuchte all die Erwartungen zu erfüllen. Schließlich erfuhr ich von dir. Ich sah meine Chance ihm es Jason heimzuzahlen und den Rest kennst du ja. Es tut mir so leid!", schniefend wischte er sich seine Tränen von den Wangen.
Er sah in diesem Moment so zerbrechlich aus, wie ein kleines Kind
Schnell stand ich auf und nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an mich. Sein Körper bebte unter den Schluchzern.
Sanft strich ich ihm in kleinen Kreisen über den Rücken und flüsterte beruhigend immer wieder in sein Ohr: „Es ist nicht deine Schuld. Es war niemals deine Schuld. Alles wird gut. Alles wird gut."
Im Stillen hoffte ich das dies der Wahrheit entsprach.
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Verschwunden und Vergessen
FantasyIch tat es schon wieder ich streckte die Hand nach jemandem aus von dem ich genau wusste das er sie niemals ergreifen würde. Seelenverwandte existieren, doch wenn sie nachdem sie sich gefunden haben sich nicht durch ein Ritual verbinden werden sie v...