Kapitel 14

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„Ich will nichts Großes machen, Lia!"

„Mensch Lucy, du wirst nur einmal im Leben sechzehn. Du musst eine Party schmeißen, das ist quasi die Pflicht am 16. Geburtstag."

Gemeinsam gingen wir über den Schulhof und Lia hüpfte aufgeregt neben mir her. Während sie der Meinung war, ich müsste unbedingt eine Party schmeißen, wollte ich einfach nichts machen. Ich fühlte mich nicht anders oder so, nur weil ich jetzt sechzehn war, doch Lia war der festen Überzeugung, dass es etwas besonderes war. Sie war da leider auch nicht die Einzige. Meine Eltern waren genau derselben Ansicht und konnten es einfach nicht lassen, wie jedes Jahr einen Kuchen zu kaufen und „Überraschung" zu rufen sobald ich in die Küche kam. Zugegeben hatte ich etwas gegen Geburtstage. Ich war zwar nicht dagegen Geschenke zu bekommen, doch solche Sätze wie „Bleib so wie du bist" zu sagen, während man die restlichen 364 Tage gesagt bekommt, wie man zu sein hat, hielt ich einfach für unnötig. Ich hasste vorgeheuchelte Freundlichkeit. Ich wollte lieber die Wahrheit ins Gesicht gesagt bekommen, auch wenn ich nicht bestreiten konnte, dass sie manchmal verletzend war und ich mir dann wünschte, doch eine Lüge zu hören.

Heute konnte ich aber gar nicht schnell genug zur Schule kommen, da ich keine Lust auf die netten Worte meiner Eltern hatte. Natürlich fühlte es sich gut an, so etwas gesagt zu bekommen, doch wenn man genau wusste, dass sie sich eigentlich etwas anderes wünschen, war es eher schmerzhaft. Denn obwohl meine Mutter stolz war, dass ich die Nachhilfe schlussendlich doch gemacht hatte, wollten sie und Dad immer noch, dass ich mehr wie Sebastian wurde. Für sie war und blieb er ihr Lieblingsohn.

Doch nachdem Lia mir überschwänglich um den Hals gefallen war und mir stürmisch gratuliert hatte, wurde meine Laune erheblich besser. Und obwohl ich ihr gesagt hatte, dass ich kein Geschenk wollte, hing nun ein wunderschönes kleines silbernes Armband an meinem Handgelenk.

„Wenn du dir so sicher bist, dass du keine Party schmeißen willst", seufzte Lia. „Ich bin mir sicher!", sagte ich mit einem gespielt genervten Augenverdrehen. „Dann müssen wir aber wenigstens eine Shoppingtour machen", schmollte sie. Lachend knuffte ich sie in die Seite „Wenn es den unbedingt sein muss." Sofort war Lia wieder Feuer und Flamme. „Dann müssen wir unbedingt zu Monica! Sie hat mir schon neulich gesagt, dass sie eine neue Kollektion hat." Monica war die Besitzerin einer kleinen Boutique, mit der wir schon seit Jahren befreundet waren und immer wieder dort einkaufen gingen. Hauptsächlich kaufte aber Lia dort ihre Klamotten, da sie gerne etwas ausgefallenes trug, was bei mir nicht der Fall war. So trug sie auch heute verschiedene Strümpfe, einen kurzen rotkarierten Rock und ein quietschgrünes Oberteil. Ihre roten Locken hatte sie zu zwei Zöpfen zusammengenommen, die beim Gehen wild hin und her schwangen. Ich dagegen hatte eine kurze schwarze Hose mit einem einfachen Top an.

„Du hat doch heute wieder Nachhilfe bei Jason oder nicht?"

„Ja, warum?"

„Nur so", sagte sie mit einem breiten Grinsen.

„Lia!",

„Ist ja gut, ist ja gut", entgegnete sie lachend. „Ich bin mir nur sicher, dass da zwischen euch was läuft."

„Da läuft nichts."

„Was nicht ist kann ja noch werden", meinte sie augenzwinkernd, doch schrie im nächsten Moment auf und sprang zur Seite, um meinem Ellenbogen zu entkommen.

„Was denn? Ihr wärt so ein tolles Paar." Ich schnaubte nur.

Die Schulflure lehrten sich langsam und auch wir gingen zu unserem Klassenzimmer. Gerade war ich dabei Lia alle Punkte aufzuzählen, weshalb Jason und ich ganz sicher kein tolles Paar wären, als wir durch die Tür gingen und ich ruckartig stehen blieb. Ein Kribbeln überfiel mich, das sich von meinem Nacken in meinem ganzen Körper ausbreitete und Schauder durch mich sandte. Mein Kopf wandte sich automatisch in seine Richtung und meine Augen fixierten ihn ohne meinen Willen. Sein Geruch nach Zimt war noch präsenter als sonst und die neue würzige Note ließ meine Knie weich werden. Wie magisch angezogen machte ich einen Schritt auf ihn zu. Alles in mir schrie, ihn zu berühren, seinen Atem auf meiner noch kribbelnden Haut zu spüren und ihn näher an mich heranzuziehen. Als auch er sich zu mir drehte, war der kalte Blick in seinen Augen wie ein Schlag ins Gesicht. Aber das war alles was nötig war, um mich wieder in die reale Welt zu holen. Wieder geistesgegenwärtig bemerkte ich, dass Lia mit ihrer Hand vor meinem Gesicht rumfuchtelte. Sie erkannte, dass ich wieder unter uns weilte und zwinkerte mir grinsend zu. „Wie war da nochmal, mit dem ‚Wir wären kein gutes Paar' und ‚Ich mag ihn noch nicht einmal'? Du hast ihn angestarrt, als würdest du ihn gleich auffressen wollen."

Verschwunden und VergessenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt