Clarke kann später nicht mit Sicherheit sagen, wie lange sie schläft. Sie weiß nur, dass sie dann keine Schmerzen hat. Es gleicht einer nicht enden wollenden Wanderung durch Nebel und ihr Verstand ist dabei in Watte gepackt. Entfernt hört sie Gespräche. Sie wacht auf, sie schläft wieder ein, oder vielleicht bildet sie sich auch nur alles ein. Sie wird in Zukunft noch öfters aufwachen, ohne dass ihr dies bewusst ist. Das meiste speichert sie in ihrem Unterbewusstsein ab, aber an ein paar der Augenblicke, wird sie sich erinnern.
Als dies zum ersten Mal geschieht, ist es bereits kurze Zeit nach dem Eingriff. Clarke kommt zu sich und das mit einem riesigen Durst.
„Abby?" Ihr Körper fühlt sich merkwürdig an, er brennt von innen heraus und es beunruhigt sie sofort. „Abby ich habe so Durst." Clarke befeuchtet ihre trockenen Lippen mit der Zunge und öffnet die Augen. Abbys Platz auf dem Spacesofa ist leer. Die Decke liegt aufgeschlagen dort, ein Tablet daneben und Abbys Brille, ohne welcher sie nicht lesen kann.
„Deine Mutter kommt gleich wieder, Clarke," antwortet die beruhigende Stimme von A.L.I.E.
Die Wirkung hält nicht lange. Der Schmerz ist auszuhalten, aber etwas ist ganz und gar nicht mit ihr in Ordnung. Es fühlt sich an, als würde ihr Köper von innen verbrennen. Womöglich stoßt ihr Körper die neuen Blutzellen ab. Er kämpft dagegen an.
„Hat der Blutaustausch geklappt?"
„Ja Clarke. Aber dein Puls ist zu hoch. Du solltest dich beruhigen, dein Herz arbeitet zu schnell. Das ist nicht gut, das Blut muss gleichmäßig pumpen."
„Etwas stimmt nicht A.L.I.E.. Wie hoch ist der Anteil der weißen Blutkörperchen?"
„8.934 Leukozyten."
Clarke runzelt die Stirn. Der Wert liegt im Normalbereich. Auf dem Tischen neben ihr ist ein Behälter mit gecrushten Eiswürfeln. Mit Anstrengung öffnet Clarke den Deckel und schiebt sich eine Handvoll in den Mund.
Weder kühlt das Eis oder hilft es ihr. Es ist so schnell unter ihrer Zunge geschmolzen, dass Clarke in Panik gerät.
„Dein Blutdruck liegt bei 205 zu 78. Atme regelmäßig tief ein und aus. Ein und aus. Ich empfehle eine Kapsel Nitroglycerin. Oder soll ich dir eine Geschichte vorlesen?"
Clarke flucht. Wie oft hat sie A.L.I.E. gesagt, sie soll lernen, wie ein Mensch zu reagieren und nicht so roboterhaft. Sie soll verstehen, wenn es angebracht ist nicht mit Fakten um sich werfen und feinsinniger zu reagieren. Sie haben einen Deal – sollte A.L.I.E. Clarke positiv überraschen, dann, wenn sie am wenigsten damit rechnet und richtige menschliche Züge zeigen, dann wird Clarke ihr im Gegenzug einen Körper bauen. Bzw. Raven wird den Körper bauen, da sie der Mechaniker ist. Das A.L.I.E. gerade jetzt macht, was Clarke ihr seit Jahren versucht beizubringen, ist wieder typisch. Und leider völlig unangebracht.
„Das ist nett. Aber ich brauche jetzt das Glyzerin. Ruf bitte Abby."
Anschließend fällt sie zurück in einen ungesunden Schlaf. Abbys Ankunft bekommt Clarke nicht mehr mit.
Der Schlaf übermannt sie und sie versinkt tief darin. Alles ist schwarz, es gibt nichts zu sehen, aber wenigstens gibt es keinen Schmerz und es ist friedlich.
Clarke verweilt dort, wo sie nicht denken und nichts fühlen muss. Sie würde dortbleiben, aber etwas stört ihren Frieden.
Als sie das nächste Mal zu sich kommt, gleicht das Erwachen einem Albtraum. Es passiert langsam. Sie fühlt sich so elend, sie möchte am liebsten zurück in den Schlaf finden, doch ein ungutes Gefühl befällt sie und hält sie wach. Der Kopf dröhnt und dann vernimmt sie ein penetrantes Piepen, was diesen Schmerz verschlimmert. Klingt wie das Warnsystem der Ark. Clarke würde fluchen, würde sie sich besser fühlen. Weshalb schaltet niemand diesen Lärm aus? Und weshalb reagiert A.L.I.E. nicht?
Weil etwas passiert ist.
Das ungute Gefühl nimmt zu und kurze Augenblicke später blinzelt Clarke hektisch umher, während sie die Umstände wahrnimmt. Licht flackert, geht an, geht aus. Grelle Blitze. Piep. Piep. Hinzu kommt ein gleichmäßiges Surren in der Luft, ähnlich wie das Buzzern einer elektrischen Leitung. Sie ist noch auf der Krankenstation, sie kann die Leuchtstoffröhren an der Decke erkennen. Doch wo sind die anderen, wo ist Abby? Etwas stimmt nicht. Ihr Körper schmerzt und mit Anstrengung hebt sie ihren Kopf an. Ein leichter Schwindel befällt sie und es dauert einen Moment, ehe sie klar sieht. Was sie dann erkennt, lässt ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie liegt auf einem sterilen Tisch, die Instrumente sind umgekippt. Scherben liegen auf dem Boden und da ist Blut, so viel Blut. Fantasiert sie? Eventuell schläft sie noch und es sind die Dogen, die ihr diesen Albtraum bescheren. Oder womöglich ist sie in der Hölle gelandet, meldet sich ihr Zynismus zu Wort. Mit aller Kraft stützt sie sich auf den Armen ab und blickt dann aus dem Fenster, nur um dann das Furchtbare zu sehen. Die Siedlung gleicht einem Schlachtfeld. Hütten sind eingebrochen und verwüstet. Rauchschaden treten aus der Erde hervor und alles was ihre Leute mit so großer Begeisterung erschaffen haben, gleicht der Erde niedergemacht. Wie ist das möglich? Was war geschehen?
„A.L.I.E.," schreit Clarke und ihre Stimme ist rau. „A.L.I.E., was ist hier passiert?" Clarke fleht um Antwort, doch es bleibt still. A.L.I.E., die sonst sofort reagiert, sobald sie Clarkes Stimme hört, scheint ebenfalls etwas abbekommen zu haben. „A.L.I.E.", schluchzt Clarke, doch niemand hört sie. Stumm schreit sie weiter und ihr Herz klopft so schnell, dass sie vor Anstrengung zurücksinkt. Ihr Kopf schlägt hart auf. Alles dreht sich, bis sie nicht mehr gerade aussehen kann, und sie entflieht in die willkommene Schwärze.
Clarke weiß nicht, wie lange sie in dieser Schwärze bleibt. Sie schläft und ihr Körper kämpft und Clarke hat kein Gefühl dafür, was real ist und was nur Träume sind. Es gleicht einem Fiebertraum. Sie hört Stimmen oder sind diese nur in ihrem Kopf? Es ist zu anstrengend zuzuhören. Sie flehen Clarke an, wach zu sein, aber sie kann nicht, sie kann einfach nicht richtig aufwachen.
Clarke, streng dich an, oder ich schwöre dir, ich bring dich eigenhändig um. Das ist Raven, doch Clarke hört nicht zu, denn da ist die Stimme ihres Vaters.
Sie ist jetzt an einem Ort, wo sie diese gut hören kann. Clarke ist sich sicher, ihr Vater war hier, genau an diesem Ort, den sie nun erreicht hat und deshalb muss sie hier blieben, und warten bis er wieder kommt. Dort hört sie auch andere Stimmen. Abby, die von ihr verlangt, dass sie stark sein soll. Aber Abby weiß nicht wie schwer das ist, wie ausgelaugt sie ist. Abbys Stimme verblasst und Clarke lernt zu schweben.
Hier gefällt es ihr. Es ist ähnlich wie im All. Sie schwebt umher und denkt einfach gar nichts. Clarke spürt den Wind auf der Haut. Manchmal sieht sie Lichter, manchmal sieht sie gar nichts, aber sie macht sich darüber keine Gedanken, hier kann ihr nichts passieren.
Eine fremde Stimme reißt sie aus ihrem monotonen Dasein. Diese Stimme hat sie niemals zuvor gehört. Die Stimme ist weiblich.
Clarke hört die Stimme nun regelmäßig. Sie spricht eine andere Sprache und dass ist gut so, Clarke muss sich nicht anstrengen und versuchen diese zu verstehen. Sie kann einfach lauschen. Sie schwebt und lauscht dem fremdartigen Klang, der schön und melodisch klingt. Manchmal spricht die Stimme sanft zu Clarke und Clarke fühlt etwas dabei.
Raum und Zeit hat keine Bedeutung und so wandert sie umher und ist einfach nur da in dieser Schwerelosigkeit.
Sie wartet wieder auf ihren Vater, als sie eine Unterhaltung hört. Es sind nur Fetzen, die sie mitbekommt, denn es ist zu anstrengend einer ganzen Unterhaltung zu lauschen. So sehr sie sich bemüht, es ist wie durch Watte gesprochen.
Ich kann sie retten, sagt die fremdartige schöne Stimme und erstmals versteht sie die gesprochenen Worte.
Ich kann sie retten. Clarke glaubt der Stimme, egal, um was es dabei gehen mag. Ein Teil sagt ihr, dass es wichtig ist und sie sich konzentrieren soll, aber Clarke schafft es nicht, es kostet zu viel Kraft und sie hat andere Dinge zu tun. Clarke ist mit ihrem Vater verabredet und es dauert nicht mehr lange.
Da ist er. Clarke kann seine Silhouette sehen, in der Ferne auf einem Berg. Ihr Vater ist gekommen.
Clarke verzeih mir. Ich hatte keine andere Wahl. Du wirst mich hassen, aber dafür musst du aufwachen und leben.
Was soll das Abby? Clarke hat jetzt keine Zeit. Und weshalb sollte Clarke, ihre Mutter hassen überlegt sie. Aber dann ist es ihr eh gleichgültig. Sie wird endlich ihren Vater sehen. Sie geht näher zu ihm, aber es fühlt sich nicht so an, als würden sie sich näher kommen. Clarke läuft, aber sie kommt keinen Schritt voran. Im Gegenteil, stattdessen entfernt sie sich immer weiter. Vater? Läuft sie rückwärts? Wie ist das möglich? Clarke rennt so schnell sie kann, doch wie ist das möglich, sie läuft rückwärts. Vater? Sie sieht ihn nicht mehr, er ist bereits zu weit weg.
Ihr Vater ist ohne sie gegangen.
Und dann fällt Clarke. Sie fällt und fällt und wird dann von einem Blitz getroffen.
+++
Als sie das nächste Mal erwacht, weiß sie gar nichts. Für einen Moment nicht einmal mehr wer sie ist, bis langsam die Erinnerung einsetzt. Clarke schüttelt die wilden Träume und Empfindungen fort und horcht in ihren Körper hinein. Irgendwie fühlt sie sich anders. Clarke hebt ihre Hände, betrachtet ihre Arme, alles sieht normal aus. Sie spürt eine Kraft in sich, als könnte sie Bäume ausreißen. Der Blutaustausch, er muss geklappt haben, die Schmerzen sind fort. Clarke fühlt sich durstig und da ist ein bitterer Geschmack in ihrem Mund, den sie dringend loswerden möchte.
Vorsichtig schwingt sie die Beine aus dem Bett und bemerkt erst dann die fremde Umgebung. Clarke ist nicht mehr im Dropship, sie ist in einem Raum mit Holzverkleidung an den Wänden, wo das Licht leicht schummrig ist. Ihre Erinnerung kehrt nun komplett zurück, während sie auf dem fremden Bett sitzt und versucht sich auszumalen, was passiert ist. Schon wieder ist sie allein. Niemand ist anwesend, genau wie das letzte Mal und sie erinnert sich an den Albtraum aus Chaos und Blut. Anders als zuletzt ist ihr Verstand nun klar und das Dröhnen in ihrem Kopf ist verschwunden. Was wenn das alles kein Traum war?
Verwirrt blickt sie umher und versucht, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Sie fühlt sich beobachtet und nachdem sie den Kopf dreht, starrt sie in die leblosen Augen eines toten Hirsches. Der Anblick schockt sie so sehr, Clarke beißt in ihren Knöchel in der Hand, um den Aufschrei im Keim zu ersticken. Das Tier ist an der Wand befestigt und trägt ein riesiges Geweih. Es ist nicht das einzig tote Tier, das diesen Raum schmückt. Ein Bärenkopf mit abgezogenem Fell liegt am Boden und dekoriert den Raum, als wäre es ein Teppich. Wie abartig. Clarke läuft ein Schauder über den Rücken. Wo ist sie bloß gelandet? Der Rest des Raums ist auch nicht viel besser. Da sind Regale voll mit Büchern und Einweggläser, die komische Substanzen erhalten. Vielleicht getrocknetes oder eingelegtes, vielleicht aber auch Teile von toten Tieren. Clarke schüttelt sich erneut. Der Raum ist unheimlich, so viel ist sicher. Weshalb ist sie hier? Was zum Teufel ist geschehen? Und wo sind ihre Leute??
Clarke hasst es, wenn sie keine Erinnerung mehr an das Geschehene hat. Sie hat ein, zweimal zu viel getrunken, was einen Blackout verursacht hat. Finn war sauer auf sie und Clarke konnte sich nicht ein Mal mehr an den Streit erinnern, den sie angeblich geführt hatten. Das war ein ungutes und beschissenes Gefühl. So fühlt es sich jetzt auch an. Nur dass es tausendmal schlimmer ist, da ihr nicht mal die Umgebung bekannt ist. Sie weiß nicht, wie sie hier her gekommen ist. Nichts macht Sinn.
Sie zwingt sich, aufzustehen, auch wenn die Versuchung groß ist, die Augen zu schließen, einzuschlafen und zu hoffen, dass alles nur ein böser Traum war. Andererseits kann sie in diesem Raum wahrscheinlich eh kein Auge zu tun. Sie stellt die Füße auf den Boden und tapst umher. Immerhin fühlt sie sich gesund, das muss doch für etwas gut sein. Clarke trägt ein weißes Nachthemd aus Leinen, das sich ihrem Körper anschmiegt, sobald sie steht. Schnell verdrängt sie den beunruhigenden Gedanken, wer ihr dies womöglich angezogen hat.
Am Ende des Zimmers ist eine schwere Holztüre, die mit Schnitzereien verziert ist. Clarke nimmt sich die Zeit und betrachtet das Kunstwerk. Es sind Pflanzen, Blütenformen, Nüsse und andere Früchte eingeritzt. Der Anblick ist schön und tröstet sie ein wenig. Der Weg durch diese Türe hindurch ist vielleicht die Antwort auf die vielen Fragen, welche sie hat. Sie macht sich keine große Hoffnung und als sie die eiserne Klinke herunterdrückt, ist sie selbst überrascht. Die Türe öffnet sich.
Barfuß, mit ihren nackten Füßen, läuft Clarke auf kühlem Marmor. Der weitläufige Gang gibt nicht viele Hinweise, außer ein paar Halter die für Fackeln bestimmt sind, ist hier nichts los. Sie marschiert weiter froh darüber, dass ihr nicht mehr tote Tiere als Deko begegnen. Ist sie womöglich in einer Burg? Clarke hat Bilder von den einstmals großen Bauwerken der Erde gesehen und als sie in eine große Halle betritt, glaubt sie ihre Vermutung als bestätigt.
Von dort gehen mehre Türen in verschiedene Richtungen ab und nach oben führt eine geschwungene Treppe. Welchen Weg soll sie nehmen? Clarke wird von ihrer Entscheidung abgelenkt, als sie das große Porträt bemerkt, das oben an der Wand befestigt ist. Es ist von beeindruckender Größe mit goldenem Rahmen. Dieses Mal ist es kein Tier, zum Glück.
Es ist das Porträt einer jungen Frau. Einer zweifelsfrei hübschen Frau. Sie hat etwas majestätisches an sich, mit ihrer hohen Stirn, den perfekt geformten Wangenknochen und der fein geschwungenen Nase. Sie trägt Perlen in den langen dunklen Haaren, die kräftig und gesund wirken und doch so weich aussehen, dass Clarke unmittelbar neidisch ist. Ihr Outfit besteht aus einem merkwürdigen Stoff, und an der linken Seite ihrer Schulter ist ein Schutz wirkend wie ein Panzer angebracht. Sehr seltsam, doch es sind die grünen Augen, die es Clarke antun. Sie sind stolz und lebendig und dennoch wirken sie beinahe traurig, ja ein wenig melancholisch, als hätten sie das Leid der Welt gesehen. Clarke kann nicht wegsehen. Es sind Augen, die eine Geschichte erzählen, ohne dass sie diese Frau kennt. Es sind Augen, denen sie gerne begegnen möchte.
Und dann ist es einen Moment eigenartig. Das Gefühl, dass sie nicht alleine ist befällt sie, aber es ist keineswegs unangenehm. Ein warmes Kribbeln, begleitet von einem Luftzug, als würde irgendwo ein Fenster offenstehen. Bildet sie es sich ein oder hört sie Stimmen sprechen? Sie überlegt nicht lange, und reißt sich von dem eindrucksvollen Porträt los, um der Richtung der Stimmen zu folgen. Sie läuft auf eine Nische zu, die mit einem Vorhang verhüllt ist. Dahinter verbirgt sich eine schmale Holztüre, die sie ohne die Geräusche nie entdeckt hätte. Die Stimmen sind jetzt lauter. Clarke ist sich sicher, Menschen halten sich dahinter auf und würde ihr Herz nicht so laut schlagen, würde sie vielleicht etwas verstehen.
Was wird sie erwarten, wenn sie erneut die Klinke drückt? Clarke hält die Ungewissheit nicht länger aus und schließt für einen Moment die Augen, dann legt sie ihre Hand auf die schwere Eisenklinke und öffnet die Türe.
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Ein Teil von ihr
RomanceDie junge Clarke ist mir ihren Leuten auf der Erde angekommen. Doch die Freude hält nicht lange, da sie von einer rätselhaften Krankheit heimgesucht wird, die in direkter Verbindung mit der Erde steht. Das Chaos wird komplett, sind sie doch keineswe...