Teil 10

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Als Samira die Augen öffnet, sieht sie nur einen dunklen Schatten am Fenster stehen.

„Morpheus?"
Der Schatten dreht sich herum und kommt zu ihr ans Bett.
„Nein, meine Königin, nur ich. Der alte Merv", entgegnet er mit einem freundlichen Lächeln.
Sie erwidert sein Lächeln, versucht die Enttäuschung zu überspielen.
„Der Lord muss etwas erledigen, was keinen Aufschub duldet. Glaubt mir, sonst wäre er hier. - Ich denke ich hole einen Arzt", schlägt Merv vor und verlässt das Zimmer.
Seufzend schließt sie die Augen und legt gewohnheitsmäßig ihre Hände auf ihren Bauch.
Sofort schlägt sie ihre Augen auf und zieht die Decke weg. „Mein Baby! Was ist passiert?"
Ihre Atmung beschleunigt sich, um sie herum beginnt der Raum zu verschwimmen.
„MORPHEUS! Wenn du mich in einen fremden Traum steckst, solltest du auch hier sein."
Sie ist sich nicht sicher, ob sie das laut gesagt hat, ihre Kehle schnürt sich zu. Die Hände verkrampft auf ihrem Bauch. Sie spürt keinen Schmerz, die Medikamente müssen noch wirken. Um sie herum steigen verschiedene Farben auf, der Raum ist gänzlich verschwunden, das Bett scheint in einem Meer aus Farben zu schweben. Sie klammert sie an die Matratze und bewegt sich nicht mehr, aus Angst herunter zu fallen.
„Was geht hier vor? Morpheus? Wo bist du?"
Sie versucht die Tränen runter zu schlucken: „Hilft nichts, wenn du jetzt heulst!", ermahnt sie sich.

Als Merv mit der Schwester Zurückkommt, stehen sie vor einer weißen Wand, wo zuvor die Tür war. „Was...?" Merv tastet die Wand suchend ab.
„Der König wird wütend sein, ich habe das ganze Zimmer mit der Königin verloren", jammert Merv.
„Oh weh oh weh, ich werde ihn suchen müssen."

Morpheus hört Samira laut nach ihm rufen, als er versucht zu ihr zu gelangen, wird er abgelenkt und landet im gleichen Krankenhausgang wie Merv und die Schwester.

„My Lord, ihr seid hier! Ich wollte euch soeben holen..."
„Samira rief nach mir, aber ich finde sie nicht", erklärt er besorgt.
„Hier", deutet Merv auf die Wand. „Die Tür zu ihrem Zimmer ist verschwunden."
Morpheus legt seine Hand an die Wand, er spürt, die Veränderung.
„Wann ist das passiert?"
„Ich bin mir nicht sicher. Als sie aufgewacht ist, hat sie nach euch gerufen. Ich wollte den Arzt holen, habe aber nur eine Schwester gefunden. - Sie wird festgestellt haben, dass sie nicht mehr schwanger ist und hat vielleicht ein wenig die Kontrolle verloren", mutmaßt Merv.
Morpheus Kopf schießt zu Merv herum: „sie ist nicht mehr schwanger? Und das sagst du mir mal neben bei?" Seine normalerweise sehr ruhige Art weicht einem Wirbelsturm, der sich seiner Kontrolle entzieht.
Merv zuckt zusammen und weicht zurück: „Die Schwester...", sagt er fast panisch und deutet auf die kleine Frau, welche sich das ganze wie in einem Film angesehen hat.
„Das ist mit Abstand der seltsamste Traum, den ich je hatte!", stellt sie fest.
Morpheus übergeht die Aussage: „was ist mit dem Baby?"
„ihrer Tochter geht es gut. Sie ist derzeit zwar auf der Babyintensiv, aber das ist nur zur Beobachtung."
„Sie haben ein paar Wochen altes Baby entbunden und..."
„Wochen? Papperlapapp!", unterbricht die resolute Schwester den sichtlich verwirrten Morpheus.
„Ihre Frau stand kurz vor der Niederkunft, ein paar Tage früher sind keine großen Sache. Und das Baby hat den Angriff unbeschadet überstanden."
Er hört ihre Worte, aber sie ergeben keinen Sinn.
Manche Menschen schaffen es, ihre Träume  zu beeinflussen, aber er und seine Familie sind kein Traum. Die Träumenden können sich nicht in sein Leben einmischen. Und sein Baby mal schnell Altern zu lassen, sollte eigentlich nicht möglich sein.
Jedenfalls war das bisher so.

„In meinem Traum stirbt kein Baby!", fügt die Schwester mit fester Stimme hinzu. „Möchten sie ihre Tochter sehen?"
„Ja!", antwortet er ohne zu Zögern.
Kurz danach stehen sie in einem fast leeren Zimmer, hier befindet sich nur ein einsames Babybett.
„Wie machen sie das?", will er wissen.
Sein Blick auf seine Tochter gerichtet. Er stellt sich neben das Bett, und betrachtet dieses kleine Wunder.
Schwester Alice: „es ist mein Traum! Hier stirbt niemand! Schon gar keine Babys oder ihre Mütter!"
Es ist nicht wirklich eine Antwort, denn selbst wenn sie ihren Traum manipulieren kann, so hat sie seine Tochter um einige Monate altern lassen, um sie gefahrlos zu entbinden. Ein Rätsel, dem er später auf den Grund gehen wird.
Jetzt zumindest ist er im Anblick seiner Tochter versunken. Er wird dieses kleine Wesen und seine Mutter immer...
„Samira!"
Er hatte kurzfristig ganz vergessen, dass er sie zurückholen muss.
„Merv! Du wirst auf meine Tochter aufpassen. Wenn du sie verlierst, mache ich aus deinem Kopf eine Dekoration für das Samhainfest!"
Merv legt seine knochigen Finger um den Rand des Bettes. Er wird sich keinen Schritt wegbewegen: „jawohl my Lord!"

The Sandman Süße (Alb)TräumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt