Gandalf der Erschlagene

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Ich musste wohl kurz weggetreten gewesen sein, denn als ich meine Augen öffnete saß ich nicht wie erwartet im Gras, sondern lag sehr unbequem auf meinem mit Büchern und allerlei anderem Rotz vollgestopften Schulrucksack. Der Mann hatte sich so über mich gebeugt, dass sein Bart beinahe meine Nase berührte.

Ich setzte mich langsam auf. Ich war noch immer im vermeintlichen Auenland, nicht in einer Kanalisation. Ob ich mich nun darüber freuen sollte oder nicht, hatte ich noch nicht entschieden. Ich war zu beschäftigt damit gewesen, geschockt zu sein. Mir war noch immer etwas schwindlig.

"Du scheinst mir etwas verwirrt zu sein, junge Dame.", stellte der Alte fest. Es kostete mich einiges an Mühe, ihm kein 'No Shit Sherlock' entgegen zu schleudern. Gerade war ich wirklich nicht in der Position, derartige Kommentare von mir zu geben. Ich brauchte Hilfe, so viel war klar und das einzige, dass eventuell eine Chance auf Hilfe darstellte, war der Mann, den ich vor ein paar Minuten fast erschlagen hatte.

"Mittelerde also, hm?", murmelte ich. Was auch immer hier gerade abging war ganz und gar nicht das, was ich mir unter einem ruhigen Nachmittag vorstellte. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich wirklich in Mittelerde gelandet war, war ich gleich doppelt gearscht. Ein mal, weil ich absolut keine Ahnung hatte, wie ich hier wieder weg kommen sollte und das zweite mal, weil ich, wie ich sicher schon erwähnt habe, noch nie ein Herr der Ringe oder Hobbit Buch in der Hand gehabt hatte.

"Ganz Recht.", antwortete der Mann. Fürs erste blieb mir nichts anderes übrig, als einfach zu glauben, dass ich in Mittelerde gelandet war. Aber daran war auch nicht alles schlecht. Wenn das hier Mittelerde war, dann gab es hier irgendwo Zauberer und wenn es Zauberer gab, dann musste mir ja wohl einer von denen helfen können. Es gab sicher irgendeine Art von Zauber, die mich wieder nach Hause bringen konnte.

"Also wenn das hier Mittelerde ist, dann gibt's hier Zauberer, richtig?", fragte ich. Der Mann nickte. "Kennen Sie zufällig einen? Oder wissen Sie, wo ich einen finde?", ich schaute hoffnungsvoll zu dem Mann, der jetzt irgendwie ein wenig beleidigt aussah, auf. "Ja, rein zufällig kenne ich einen Zauberer und ich weiß auch, wo er sich gerade aufhält.", antwortete er. Irgendetwas in seinem Blick sagte mir, dass er wollte, dass ich jetzt irgendetwas sagte oder tat. Aber was?

Das erste, was mir da so spontan einfiel, war aufzustehen. Es musste ziemlich nervig sein, die ganze Zeit zu mir herunter schauen zu müssen. Stehend war ich zwar noch immer ein Stück kleiner als er, aber bücken musste er sich schon mal nicht mehr. "Super! Und wo finde ich ihn?" Der Mann straffte seine Schultern und sagte feierlich: "Ich bin Gandalf der Graue und Gandalf... bin ich." Es dauerte zwar ein paar Sekunden, aber dann fiel mir ein, dass ich den Namen kannte. Gandalf hatte irgendwas mit Herr der Ringe zu tun... aber was war das noch mal?

"Ach ja...Gandalf... äh... Sie sind Zauberer?", riet ich. Sein Gesichtsausdruck sagte mir, dass ich richtig lag. Also war Gandalf dieser Zauberer aus den Büchern. Ich wusste, dass er eine ziemlich wichtige Rolle in den Büchern hatte, also musste er ein ziemlich mächtiger Zauberer sein. Hoffnung flammte in mir auf. Bestimmt konnte er mir helfen. Gleich würde ich wieder auf dem Fußweg in der Gasse stehen... oder eben in der Kanalisation hocken. Bei dieser Vorstellungen fand ich es fast besser, hier zu bleiben. Aber wenn ich jetzt gleich in einer Pfütze aus Exkrementen aufwachte, konnte ich mir wenigstens sicher sein, dass ich nur eine Gehirnerschütterung hatte und nicht an einer Psychose litt.

"Ganz recht. Wie kann ich dir behilflich sein?", fragte er. "Wie Sie bemerkt haben, bin ich da gerade aus so einer Art Loch im Himmel gefallen... könnten Sie mich eventuell mit irgendeinem Zauber wieder da rauf bringen? Ich denke nämlich, dass das Loch wieder dahin zurück führt, wo ich hergekommen bin, und da möchte ich auch gern wieder hin.", erklärte ich.

Gandalf richtete einen nachdenklichen Blick zum Himmel und schirmte mit der Hand seine Augen ab. Ich schaute auch nach oben. Ein Loch war nirgendwo zu sehen. Gandalf kratzte sich verlegen an der Schläfe, sah mich dann wieder an. "Es tut mir leid, aber ich fürchte, dass ich dazu nicht in der Lage bin.", antwortete er und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. "Kann ich dir denn sonst irgendwie helfen?" Ich schüttelte den Kopf.

Jetzt war ich wirklich am Arsch. Ich saß in Mittelerde fest, einem Land, über das ich gar nichts wusste und in dem es zu allem Überfluss auch noch Drachen gab, die mit Sicherheit in ihren Höhlen hockten und nur darauf warten, dass irgendejemand blöd genug war, sich dorthin zu verirren. Eine sehr große Portion Verzweiflung gepaart mit ein wenig Angst sorgte dafür, dass sich in meinen Augen Tränen sammelten. Ich blinzelte sie schnell weg.

Gandalf sah mich mitleidig an. Er schien kurz zu überlegen, dann sagte er: "Komm doch mit mir. Hier am Straßenrand stehen und in Selbstmitleid versinken wird dir sicher nicht helfen. Und vielleicht fällt mir ja doch noch ein, wie ich dir helfen kann.", er setzte ein mildes Lächeln auf. "Danke.", murmelte ich und lächelte traurig zurück. Wenn ich mit Gandalf zusammenblieb, würde ich mich schon mal nicht verlaufen und in der Höhle von irgendwelchen unliebsamen Viechern landen.

Wie ich in einen Gulli fiel und in Mittelerde landeteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt