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„Es war wesentlich besser, aber versuch weiter an deiner Beinstellung zu arbeiten."

Die Stimme meines Trainers ist wie immer streng, doch er klatscht mit mir ab und gibt mir das Zeichen dafür, dass wir für heute fertig sind. Erschöpft laufe ich über die Matte und schnappe mir meine Trinkflasche. „Sieht schon besser aus, Jackson", höre ich Oliver sagen und als ich aufschaue, grinst er mich schief an. Er ist groß und hat eine typische Turnerfigur von jahrelangem Training am Reck. Auf dem Weg zur Umkleide streicht er sich seine verschwitzten blonden Haare aus der Stirn und fragt: „Bereit für heute Abend? Ein letztes Mal feiern, bevor es ernst wird." Ich schmunzele leicht und kann noch immer kaum glauben, dass wir bald fürs Nationalteam turnen werden. Unsere Sportschule gehört zu den besten des Landes und außer uns wurden noch drei andere Turner und Turnerinnen ausgewählt, unser Land zu vertreten. Ab nächster Woche können wir unser Leben nicht mehr führen wie bisher, weshalb wir diesen Abend noch einmal genießen wollen. Ich dusche extra etwas länger und nehme mir etwas mehr Zeit für meine Haare und mein Make-Up. Olli und ich haben uns fest vorgenommen, heute Abend nicht allein nach Hause zu gehen. Ich ziehe mir eine dunkle Hose und ein weißes Shirt an, das meine Haut noch etwas brauner aussehen lässt. Auch so ist meine Haut meistens das erste, was anderen an mir auffällt. Wir wohnen in einem Ort, in dem es meistens regnet, sodass man hier nicht von der Sonne braun wird. Den Teint und meine grün-braunen Augen habe ich von meiner Mutter geerbt. Sie ist in Brasilien aufgewachsen und wir fliegen noch immer manchmal im Herbst zu ihren Eltern, die noch dort leben. Ich betrachte mich nochmal im Spiegel und grinse, heute fühle ich mich gut. Schnell schnappe ich mir meine Trainingsjacke und laufe aus der Halle, wo Olli schon ungeduldig auf mich wartet.

„Fertig mit dem Wellnessprogramm?", fragt er und zeigt demonstrativ auf seine Armbanduhr. Auch er trägt unsere Trainingsjacke, wie jedes Mal, wenn wir ausgehen. Seitdem es einmal passiert ist, dass er einen Fang gemacht hat, dank seines Sportlerstatus, schwört er auf das Kleidungsstück. Irgendwann musste ich es dann auch ausprobieren und was soll ich sagen, es funktioniert. Vielleicht liegt es daran, dass unsere Schule ein gewisses Ansehen in unserer Gegend hat oder daran, dass man uns ansieht, wie sportlich wir sind. Letztendlich ist mir auch egal, woran es liegt, solange es mir weiterhin sicher einbringt, was ich möchte. „Wenn das nicht unsere Profiturner sind", ertönt eine Stimme seitlich von uns und kurz darauf legt sich ein Arm um meine Schulter. Es sind Charlie und Megan, die beide gerade vom Schwimmtraining kommen. Charlie schlägt mit Olli ein, während Meg sofort anfängt, mir von ihrem Trainer zu erzählen. Seit zwei Wochen ist dieser neue mysteriöse Schwimmtrainer an unserer Schule und man hört die wildesten Geschichten über ihn. Anscheinend ist er gerade Anfang dreißig und Meg erzählt mir gerne jedes Mal wieder, dass man das auch sieht. „Können wir ihr bitte einen Typen besorgen heute Abend, ich ertrage das nicht mehr", sagt Charlie extra dramatisch und ich muss schmunzeln. „Ich schwöre, sie ist so abgelenkt, dass ich jedes Mal Angst habe, sie könnte sich den Kopf am Beckenrand aufschlagen." Olli lacht und meint: „Also gehen wir alle auf die Jagd, umso besser." Meg verdreht schmunzelnd die Augen, während wir in die Straßenbahn einsteigen und mustert mich und Oliver. „Ihr zieht diese Masche echt immer noch durch?", fragt sie und zieht kritisch eine Augenbraue hoch. Bevor ich antworten kann, meint Olli schon: „Es funktioniert bei 70%. Never change a running system." Meg schüttelt nur schmunzelnd den Kopf und fragt mich dann nach meinem Tag. So quatschen wir über belangloses Zeug bis wir in der Innenstadt aussteigen und in eine Bar laufen. Wir wollten für den letzten Abend etwas besonderes ausprobieren, weshalb wir uns für eine der neuen Bars entschieden haben.

Als wir hineingehen ist schon einiges los und die Musik gefällt mir auf Anhieb ganz gut. Olli holt die erste Runde Getränke und wir setzen uns erstmal in eine Ecke an einen Tisch. „Ich kann nicht fassen, dass ihr weg sein werdet", meint Charlie und ich spüre deutlich, dass mir diese Tatsache nicht nur Glücksgefühle beschert. Es ist mein Traum, aber es wird auch eine riesige Umstellung sein und ich werde viel zurücklassen. „Für Melancholie ist später Zeit, ich brauche jetzt einen Wingman", zerstört Meg direkt die aufkommende traurige Stimmung und bringt uns andere damit zum Lachen. Sie zwinkert mir zu und ich weiß, dass ich sie am meisten vermissen werde. Ich kenne Meg sein der Grundschule, weil unsere Mütter schon Schulfreundinnen waren. Mittlerweile sehen wir uns durch unseren Sport nicht mehr so oft, aber trotzdem weiß ich, dass sie immer da sein wird. „Na los", meine ich und Meg grinst, während wir uns auf die Suche nach einem gutaussehenden Typen machen. Schnell finde ich jemanden, der genau ihr Typ ist und sie zieht los, um ihn anzumachen. Meg ist dabei immer wesentlich direkter als ich es je sein könnte, aber vielleicht zieht das auch mehr bei Männern als bei Frauen.

In Gedanken mache ich einen Schritt in Richtung unseres Tisches und werde fest angerempelt. Kurz darauf höre ich Glas auf dem Boden zerspringen und spür Flüssigkeit an meinem Bein. „Fuck, musste das sein?", werde ich angemacht und erkenne, dass es eine Kellnerin ist, die gerade ihr Tablett heruntergeschmissen hat. Sie wirft mir aus dunklen Augen einen genervten Blick zu, was ich nicht ganz nachvollziehen kann. Es würde mich auch ärgern, aber es war sicherlich nicht meine Schuld. „Ähm sorry, aber du hast mich angerempelt", sage ich und erwidere ihren Blick. Sie mustert mich kurz und verdreht dann die Augen: „Ist egal." Dann beugt sie sich zu den Scherben und liest sie mit ihren bloßen Händen auf. Wie zu erwarten, schneidet sie sich an einer von ihnen und fängt an zu bluten. Ich mustere sie und muss zu geben, dass sie nicht schlecht aussieht. Vielleicht kann ich aus dieser Situation noch einen Nutzen ziehen. Ich atme tief ein und setze dann mein bestes Lächeln auf. „Kann ich dir helfen?", frage ich, knie mich zu ihr und nehme ihr das Tablett ab. Sie blickt von ihrem Finger auf in meine Augen und ihr Blick ist eindeutig nicht offen für einen Flirt. Ihre Augen durchbohren meine und sie schüttelt den Kopf. Dann nimmt sie mir das Tablett wieder ab, steht auf und verschwindet. Verwirrt sehe ich ihr nach und frage mich, was das gerade war. Ein Teil von mir fühlt sich seltsam zurückgewiesen, gleichzeitig frage ich mich, warum es mich überhaupt interessiert. Ich gehe zurück zu unserem Tisch, lasse mich nieder und trinke zwei große Schlucke Whiskey-Cola. Zum Glück werde ich in ein Gespräch gezogen und habe so nicht die Möglichkeit, weiter nachzudenken. Nach zwei weiteren Runden geht es uns allen schon ziemlich gut und ich werde spendabel genug auch eine Runde zu holen. Ich summe das Lied mit, das gerade läuft, während ich mich an die Bar stelle.

 Als ein Shot vor mich gestellt wird, schaue ich verwirrt neben mich, doch es ist niemand anderes da. „Für dich", bestätigt die Barkeeperin und als ich aufsehe, erkenne ich ihre Augen. Nur sehen sie mich diesmal nicht so böse an, sondern eher zurückhaltend. „Eine Entschuldigung vom Haus für unfreundliches Kellnern", sagt sie und ich muss automatisch schmunzeln. Ich nicke ihr dankend zu und kippe mir die brennende Flüssigkeit in den Rachen. Ich bestelle meine Getränke und sehe ihr dabei zu, wie sie sie zubereitet. „Was machst du, wenn du nicht kellnerst?", frage ich sie und sie schaut nicht auf, während sie antwortet. „Du meinst, ob ich etwas habe, in dem ich besser bin als im Kellnern?" Ich muss lachen und erwidere: „Das hast du jetzt gesagt." Sie stellt mir die Getränke hin und meint: „Rate." Ich ziehe überrascht eine Augenbraue hoch und mustere sie nochmal. Sie wirkt sportlich, aber nicht so, dass man erraten könnte, welchen Sport sie treibt. Außerdem wirkt sie sehr jung für eine Barkeeperin, was für mich ausschließt, dass sie schon studiert. Als ich ihr keine Antwort gebe, zuckt sie nur die Achseln und meint: „Muss nicht jeder allen auf die Nase binden, wer er ist." Damit lässt sie mich verblüfft stehen und ich kann nicht anders als zu grinsen. Dieses Mädchen hat definitiv mein Interesse geweckt.


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Heyy,

es ist lange her, aber da bin ich wieder. Es wird etwas dauern bis es mehr Stoff gibt, doch ich wollte euch schon mal einen Vorgeschmack geben. Ich freue mich, meine Gedanken mal wieder mit euch zu teilen. Bleibt neugierig ;)

skamy2009


Just one step away from foreverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt