Kapitel 49

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Anfang der nächsten Woche schaffe ich es sogar zum ersten Mal ohne Gehhilfen durch den Park vor der Klinik zu gehen. Ich lehne mich an einen Baum und nehme mein Handy raus, um auf Instagram nach Olli zu suchen. Er ist auf einigen Videos des Turnverbandes und es macht mich stolz zu sehen, wie weit er es gebracht hat. Noch immer wünschte ich manchmal, an seiner Seite stehen zu können, um das mit ihm zu teilen. Ich vermisse es, mit ihm und Meg umherzuziehen und unseren Leidenschaften nachzugehen. Schon als Kinder haben wir uns geschworen, später mal zu den ganz Großen in unseren Disziplinen zu gehören. Olli hat es schon jetzt geschafft und für Meg ist es noch immer möglich.

Ich lasse meinen Blick durch den Park schweifen und sehe eine junge Frau mit einem Hund einige Meter von mir entfernt. Sie erwidert meinen Blick, mustert mich von oben bis unten und lächelt dann. Ein Gefühl durchzuckt mich, das mir sehr vertraut ist, welches ich jedoch lange nicht mehr gespürt habe. Ich grinse automatisch so wie früher, wenn Frauen mit mir geflirtet haben und wie damals wird die Frau leicht rot. Vielleicht bilde ich es mir ein, doch ich habe das Gefühl, meine Schultern richten sich etwas mehr auf und mein Stand wird fester. Ich habe es nicht verloren, es war nur für einen Moment unter meiner Scham begraben. Mit einem guten Gefühl in mir gehe ich zurück in die Klinik und setze mich direkt an die Beinpresse, um zu trainieren. Ich kann es schaffen wieder so zu werden wie früher und dann kann ich endlich wieder richtig glücklich sein.


POV Leo

„Du warst echt klasse", sage ich zu Meg, als sie nach ihrem Wettkampf zu mir und meiner Schwester kommt. Zoey hatte gelesen, dass die Qualifikationen an diesem Wochenende sind und mich gefragt, ob wir zusehen wollen. Meg freut sich sichtlich über unsere Anwesenheit, sucht jedoch auch nach einer weiteren Person neben uns. „Sie ist nicht hier", sage ich entschuldigend, weil ich weiß, dass Kay ihrer Freundin nichts von der Operation erzählt hat. Ich rate ihr, sie einfach nachher anzurufen und ihr von ihrem Sieg zu erzählen. Nicht vollends überzeugt gibt Meg sich mit meinem Rat zufrieden und kommt dann mit uns ein Eis essen.

Zoey fängt an über einen Horrorfilm zu reden und Meg springt voll darauf an, sodass ich den beiden nur grinsend zuhöre. Hin und wieder spricht Zoey so schnell, dass sie gleichzeitig gebärden muss. Ich übersetze für Meg und sie ist ziemlich fasziniert davon. „Kay hat mir mal gezeigt, was „wo ist die Toilette" heißt", meint sie und zeigt dann einige Gebärden, die mich und meine Schwester zum Lachen bringen. Meg sieht leicht verwirrt aus und ich erkläre ihr, dass sie uns gerade gesagt hat, dass sie auf Füße steht. Sofort schüttelt sie gespielt wütend den Kopf: „Wie ich sie hasse." Ich muss grinsen und wieder mal spüre ich, wie sehr mir Kay fehlt. Es ist immer noch sehr schwierig ohne meine Mutter, doch ich bin wieder in meinem Alltag angekommen. Es hilft mir, Zeit mit meiner Schwester zu verbringen und hinter der Bar zu stehen. Trotzdem hätte ich meine Turnerin gerne bei mir. Seit Kay wieder weg ist, meldet sie sich zwar fast täglich, doch mit jedem Tag werden die Telefonate etwas kürzer. Sie trainiert unglaublich viel und macht große Fortschritte. Ich bewundere sie sehr dafür, doch gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass sie sich immer mehr von mir entfernt. In den letzten Tagen war sie weniger offen und hat sich nur wenig nach meinem Zustand erkundigt. Prinzipiell mache ich ihr dafür keinen Vorwurf, doch es fühlt sich an, als hätte sich etwas zwischen uns geändert.

Abends als ich zuhause bin und gerade ins Bett will, ruft Meg mich an und fragt mich, ob ich mir in der nächste Woche zwei Tage frei nehmen kann. Sie will mich mit zu Kay nehmen und sie damit überraschen. Darüber brauche ich keine zwei Sekunden nachdenken und sage ihr sofort zu. An der Arbeit bekomme ich das schon geregelt und wenn ich mich einfach krank stelle. Ich muss Kay unbedingt sehen und ihr sagen, wie vernarrt ich in sie bin. Ich muss ihr zeigen, dass ich das mit uns will, ganz egal, was das bedeuten wird.

Ich habe Angst vor der Zukunft und weiß nicht, was sie bringen wird, doch ich weiß, dass Kay ein Teil davon sein soll.


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