Kapitel 40

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POV Kay

Nervös fummele ich an meiner Jacke herum, während ich versuche, den Ärzten aufmerksam zuzuhören. Mein Vater wirkt die meiste Zeit recht unbeeindruckt und brummt nur hin und wieder zustimmend. Es wäre mir leichter gefallen, meine Mutter an meiner Seite zu haben, doch diese Option habe ich wohl nicht. Der leitende Chirurg ist ein großer Mann, der vielleicht Ende dreißig ist und sehr nett wirkt. Er sieht aus, als wüsste er genau, worüber er redet, doch ich bin nicht dämlich. Ich weiß, dass meine Operation kein Standardverfahren ist. Nicht umsonst wurde ich gefragt, ob alle Assistenzärzte dabei zusehen dürfen. Es ist ein Eingriff, der meine Heilungschance zwar erheblich verbessert, jedoch auch sehr leicht schief gehen kann. Da ich jedoch nichts zu verlieren habe, wirken alle sehr optimistisch. Schließlich beendet Dr. Arnold das Gespräch und verabschiedet sich vorerst. In ein paar Stunden werde ich vorbereitet werden und dann gibt es kein zurück mehr.

Mein Vater begleitet mich auf das Zimmer, in dem ich für die nächsten Tage schlafen werde. Schon auf dem Flug hierher haben wir nicht viele Worte gewechselt und das wird sich jetzt wohl auch nicht ändern. Ich hatte überlegt, Meg anzurufen, doch ich will ihr nicht umsonst Hoffnungen machen. Ich werde ihr alles erzählen, falls die Operation gut verläuft. Leo hat mir geschrieben, dass ihre ganze Familie an mich denkt und es ihrer Mutter im Moment ganz gut geht. Auch Zoey hat mir geschrieben, wie sehr sie sich für mich freut. Ihre Unterstützung hilft mir sehr, auch wenn sie nicht vor Ort sein können. Als mein Vater sich etwas zu trinken holt, rufe ich meine Mutter an und erzähle ihr, was ich von dem Gespräch mit den Ärztinnen mitgenommen habe. Ich höre ihrer Stimme sofort die Nervosität an, doch wer kann es ihr auch verübeln. Trotzdem hilft es mir, mit ihr zu reden und nach dem Telefonat geht es mir besser.

In meiner Brust macht sich seit Monaten endlich wieder ein warmes Gefühl breit. Es bleibt auch als ich für die Operation vorbereitet und schließlich in den OP-Bereich gebracht werde. Es bleibt selbst als der Anästhesist mir das Narkosemittel verabreicht und ich langsam von zehn rückwärts zähle und bei der sechs einschlafe. Das letzte Gefühl vor der Operation ist Hoffnung. Das letzte Bild vor meinen Augen ist, wie ich einen Salto vom Schwebebalken mache und ihn perfekt stehe. Ich sehe Ollis Grinsen vor mir, bevor er zu mir läuft und mich lachend umarmt. Egal wie gering sie auch ist, es gibt Hoffnung, dass es nicht das letzte Mal war.

POV Leo

Seit mehreren Minuten starre ich auf die sich kaum bewegenden Zeiger der Kirchturmuhr. Über meine Kopfhörer höre ich Fletcher dabei zu, wie sie über ihre Exfreundin singt. Es ist mit Sicherheit dumm, mich selbst so zu foltern, doch ich schalte es trotzdem nicht aus. Ich mag das Lied und würde es nicht so bittersüß zu meiner Situation passen, würde ich es noch öfter hören. Ich bin nervös und bin mir sicher, dass das Gespräch nicht angenehm werden wird. Als ich meine Freundin von weitem um die Ecke biegen sehe, schmerzt mein Herz bereits. Wäre alles anders gelaufen, wir hätten vielleicht glücklich werden können. Nika trägt einen langen Mantel und ihre Haare wehen ihr leicht ins Gesicht. Ich bin mir sicher, dass sie nie ein Problem damit haben wird, Frauen kennen zu lernen. Sie ist hübsch, klug und vor allem hat sie ein großes Herz.

Als sie mich anlächelt, quält mich mein schlechtes Gewissen, doch ihr Lächeln wirkt nicht so wie sonst. Bei mir angekommen zieht sie mich in eine Umarmung und ich erwidere sie schüchtern. Ich will etwas sagen, doch sie kommt mir zuvor und meint: „Darf ich dir etwas erzählen?" Etwas perplex nicke ich und wir laufen langsam an der Kirche vorbei.

„Du weißt ja, dass meine Eltern häufig unterwegs sind und viel Zeit in die Firma investieren", beginnt sie zu erzählen und ich nicke. „Mittlerweile komme ich damit gut zurecht und ich mag den Freiraum, den ich habe. Allerdings war das als Kind anders. Ich war in meiner Kindheit oft sehr einsam und im Nachhinein bin ich mir sicher, dass ich große Verlustängste aus dieser Zeit mit mir trage. Ich habe mich wertlos gefühlt und habe immer versucht, jemanden zu finden, der mich auf Händen trägt." Wir laufen durch eine kleine Gasse und ich höre ihr stumm zu, weil ich nicht weiß wohin ihre Geschichte führt.

Just one step away from foreverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt