Kapitel 42

845 52 1
                                    

POV Kay

Es fällt mir schwer, meine Lider zu öffnen und das Licht ist viel zu hell, um sie offen zu behalten.

Verwirrt blinzele ich und das erste, was ich spüre, ist mein ausgetrockneter Mund. Ich krächze nach Wasser und bekomme sofort ein Glas in die Hand gereicht.

„Oh mein Schatz, du bist wach", ertönt die Stimme meiner Mutter neben mir. Langsam gewöhne ich mich an das Licht und erkenne meine Eltern neben dem Bett sitzen. Meine Mutter sieht völlig fertig aus und hat Tränen in den Augen. In meiner Hand steckt der Zugang zu einem Tropf, durch den ich vermutlich Schmerzmittel bekomme. Trotzdem tut mein ganzer Körper weh und ich fühle mich, als wäre ich nochmal von einem Auto überfahren worden. Moment mal. Mein ganzer Körper tut weh. Wie vom Blitz getroffen ziehe ich meine Decke von meinen Beinen und lege meine Hand auf meinen Oberschenkel. Mein Herz beginnt augenblicklich zu rasen und meine Hände zittern. Vorsichtig streiche ich über meine Haut herunter zu meinem Knie. Ich kann sie spüren, ich fühle tatsächlich etwas. Meine Mutter sieht mich fragend an und ich nicke, während die Tränen nur so über meine Wangen rinnen. „Ich spüre es", flüstere ich und das Gesicht meiner Mutter erhellt sich. Sogar mein Vater klatscht in die Hände und es passiert etwas, das ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Meine Eltern umarmen sich und sehen dabei wirklich glücklich aus. Meine Mutter gibt mir tausend Küsse auf meinen Kopf, doch ich bekomme es gar nicht richtig mit. Mein Blick liegt noch immer auf meinen Beinen und ich kann es nicht fassen. Auch wenn an ihnen kaum mehr etwas dran ist, sie gehören wieder mir.

Nach unzähligen Untersuchungen und Erklärungen rede ich lange mit meinen Eltern und bin danach zu erschöpft, um die Augen offen zu behalten. Ich werde viel Physiotherapie machen müssen, doch ich bin bereit, härter zu arbeiten als jemals zuvor. Ich werde diese Chance niemals hergeben, koste es was es wolle. Als ich wieder aufwache, ist mein Zimmer leer und es ist später Nachmittag. Ich greife nach meinem Handy und erkenne, dass ich einige Nachrichten von Olli, Zoey und Leo habe. Ich habe Olli nicht von der Operation erzählt, doch er hat sich zufällig erkundigt, wie es mir geht. Zoey schreibt, dass sie an mich denkt und dass ihr Freund ihr Blumen geschenkt hat. Leo hat mir über zehn Nachrichten geschrieben, die davon zeugen, dass ihr Tag ein auf und ab war. Sie schreibt, dass sie mich vermisst, um kurz später zu schreiben, dass sie vielleicht nicht so viel Zeit haben wird, sich zu melden. Dann schreibt sie, dass es ihrer Mutter besser geht, jedoch kurzer Zeit später, dass sie sehr traurig ist. Die letzte Nachricht ist nur zwanzig Minuten her und sie schreibt darin, dass sie hofft, dass es mir gut geht.

Ich muss leicht lächeln und wähle kurzerhand ihre Nummer. Nach nur wenigen Sekunden hebt sie ab und ich höre sofort, dass sie völlig außer Atem ist. „Ist es gerade eher schlecht?", frage ich und ein kleiner Teil von mir hat Angst, dass Nika bei ihr ist. „Nein, alles gut, ich bin nur gerannt", erwidert Leo jedoch sofort und ich muss leicht grinsen. „Seit wann machst du Sport?", frage ich belustigt und höre, wie Leo schnaubt.

„Kannst du mal die Klappe halten und mir lieber sagen, wie es dir geht?", sagt sie mit liebevoller Strenge in der Stimme und ich muss schmunzeln. „Ich bräuchte eine Physiotherapeutin", sage ich und lasse extra eine kleine Pause. Ich höre förmlich, wie Leo den Atem anhält, um zu hören, was ich noch sage. Also erlöse ich sie und füge hinzu: „Um mir dabei zu helfen, wieder laufen zu lernen." Ich muss das Handy von meinem Ohr entfernen, um keinen Hörsturz zu bekommen, weil Leo so laut schreit. Ich lache über ihren Gefühlsausbruch und genieße die Sekunden, in denen sie einfach nur ins Handy jubelt.

„Du hast keine Ahnung, wie glücklich ich gerade bin", sagt sie und mein Lächeln wird noch breiter. Ihr Atem wird langsam wieder ruhiger und ich höre, dass sie draußen herumläuft. Ich erzähle ihr von der Operation und sie fragt nach jedem kleinen Detail. Irgendwann höre ich im Hintergrund mehr Geräusche und verstehe, dass sie im Krankenhaus sein muss. Kurze Zeit später höre ich eine mir bekannte Stimme fragen: „Ist das Kay?" Leo fragt mich, ob ich facetimen kann und obwohl ich immer noch nicht fit bin, bejahe ich. Kurze Zeit später grinst Zoey mich über die Kamera an und flippt genauso wie ihre Schwester fast aus vor Freude. Sie zeigt mir viel zu schnelle Gebärden, die ich nicht verstehen kann, doch Leo übersetzt sofort für mich. Es bringt mich zum Lachen, als die beiden anfangen zu diskutieren, weil Zoey so aufgeregt ist und Leo sie daran erinnern muss, dass sie immer noch im Krankenhaus sind. Irgendwann schickt Leo ihre Schwester wieder zu ihrer Mutter und verabschiedet sich von mir. „Ruf mich an, wann immer du willst", sagt sie noch und winkt dann in die Kamera, bevor sie auflegt.

Kaum habe ich mein Handy weggelegt, kommt mein Vater auch schon in mein Zimmer und hinter ihm tritt ein kleiner Mann hervor. Er reicht mir seine Hand und stellt sich als Brandon vor. „Ich bin für die nächsten Wochen an deiner Seite und zusammen bringen wir dich wieder auf die Beine", erklärt er und lächelt freundlich. Er hat einen Bart und eine Brille, die ihn aussehen lässt, als könnte er auch Chemielehrer sein. Er ist mir auf Anhieb sympathisch, was definitiv ein gutes Zeichen ist, weil die nächsten Wochen mit Sicherheit intensiv werden. Nachdem er mir einiges erklärt hat, verabschiedet er sich und sagt mir, dass er morgen früh mit dem Training anfangen würde. Ich nicke sofort, weil ich es kaum erwarten kann.

Mein Vater erklärt mir, dass meine Mutter schon wieder weg ist und es lässt mich wie zu erwarten nicht ganz kalt. Trotzdem überwiegt noch immer meine Freude über den Tag und meine neue Chance.

Wenn ich mich nur genug anstrenge, wird alles wieder so wie es mal war.


Just one step away from foreverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt