Zum tänzelnden Einhorn (2)

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Schon höre ich Schritte auf der Treppe und ehe ich Panik bekommen oder mich auch nur bewegen kann, stehen sie vor uns.

Sie sind zu dritt, zwei Frauen und ein Mann. Alle drei tragen die gleiche Art Umhang wie meine Retterin, aber in anderen Farben: silber, gelb und blau.

Als erstes fällt mir die Frau in Silber ins Auge. Im Licht der Kerze schimmert der Stoff und wirft glänzende Falten, wann immer sie sich bewegt. Sie hat ihre Kapuze zurückgeschlagen, so kann ich ihr Gesicht sehen, bis hin zu den Lachfalten um ihre Augen und ihren Mund. Ihr Haar muss einmal dunkel gewesen sein, mittlerweile ist es allerdings vollständig ergraut und sie trägt es im Nacken zu einem fülligen Knoten geschlungen. Auf den ersten Blick kommt sie mir vor, wie eine elegante ältere Dame um die sechzig, in einem exzentrischen Umhang. Aber irgendetwas sagt mir, dass hinter der Fassade mehr steckt. Ihre Haltung zeugt von Körperspannung und ihre Augen leuchten wachsam.

Die Frau neben ihr trägt Blau und hat so dichtes schwarz-grau gelocktes Haar, dass es unter der Kapuze hervorquillt. Sie ist schlank, fast dürr und auch wenn sie und die Frau in Grau ungefähr im gleichen Alter sein müssen, sind in ihrem Gesicht deutlich mehr Falten zu sehen.

Neben ihnen wirkt der Mann in Gelb recht jung. Er ist es, der jetzt seine Kapuze abnimmt und vortritt. Sofort fällt sein Blick auf meine Retterin am Fenster und fast im gleichen Augenblick ziehen sich seine Brauen zusammen. Um seine Lippen formt sich ein harter Ausdruck, als hätte er gerade auf etwas Saures gebissen. Ich kenne ihn zwar nicht, aber ich erkenne Abneigung, wenn ich sie sehe.

„Du solltest nicht hier sein, Eleanor", sagt er und sein Ton bestätigt meine Vermutung, „das weißt du ganz genau."

Sie starrt ihn an, nicht weniger Abneigung im Blick. Eleanor also. Klangvoller Name. Passt allerdings besser zu mittelalterlichen Königinnen, als zu dieser Hexe. Ich weiß nicht, warum, aber ich habe eher sowas wie Morgana erwartet. Irgendwas mit vielen dunklen Vokalen.

„Sei dankbar, dass ich hier war, Eric", sagt Eleanor in ihrem schottischen Akzent, der härter klingt, als das Schulbuch-Englisch des Mannes. „Im Gegensatz zu dir."

„Du überschreitest deine Kompetenzen!" Bei der Schärfe seiner Worte zucke ich zusammen. „Mal wieder."

„Sie wurde von einer Nachtmahrkatze angegriffen!" Eleanor klingt jetzt mindestens genauso wütend und sie stößt sich mit einem Ruck vom Fenster ab. „Hätte ich warten sollen, bis du dich her bequemst und sie in der Zwischenzeit sterben lassen? Wo warst du überhaupt? Du hättest schon vor Stunden merken müssen, dass eine Fabelnacht beginnt!"

„Ich habe auch noch was anderes zu tun!" Eleanors Anschuldigungen scheinen ihn zu treffen, denn seine Stimme ist um ein paar Töne nach oben gerutscht. „Manche von uns müssen ein Kollegium verwalten, das mehr als zwei Mitglieder hat."

Ich sehe, wie Eleanor den Mund öffnet, aber eine andere Stimme schneidet ihr das Wort ab: „Es reicht! Alle beide." Die Frau in Silber löst sich aus den Schatten und tritt auf mich zu. „ Das arme Mädchen kommt ja ganz durcheinander." Sie seufzt. „Ich bin froh, dass du sie gefunden hast, Eleanor. Aber es ist besser, du gehst jetzt."

Wenn überhaupt möglich, wird Eleanors Gesichtsausdruck noch starrer. Als sie die Lippen zusammenpresst, zuckt an ihrem Kiefer ein Muskel. „Natürlich. Dein Wunsch ist mir Befehl, Priora." Kommentarlos stellt sie ihre leere Kaffeetasse auf den Tisch vor mir, fester, als es nötig gewesen wäre, und greift in die Tasche ihres Blazers. „Hier", sie wirft etwas kleines, silbernes über meinen Kopf hinweg und der Mann reißt gerade noch rechtzeitig die Hände hoch, um es aufzufangen. „Schließt ab, wenn ihr fertig seid. Der Laden gehört meinem Vater. Demetra." Sie neigt den Kopf vor der alten Frau. Ohne weitere Worte wirft sie ihren Umhang über und verschwindet im Treppenhaus. Sekunden später sehe ich sie draußen in der dunklen Gasse. Noch einmal hebt sie den Blick zum Fenster. Unsere Blicke begegnen sich und ich hätte schwören können, dass sie mir zum Abschied kurz zunickt. Dann hüllt sie sich in ihre Kapuze und mit ein paar Schritten hat sie die Nacht verschluckt.

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