Natürlich ist es Montag, als alles so richtig den Bach runtergeht.
Wir sitzen beim Frühstück, meine Familie, Mo und ich. Draußen vor dem Fenster ist es noch dunkel, wie immer um diese Jahreszeit. Seit die Schule vor ein paar Wochen wieder angefangen hat, herrscht bei uns jeden Morgen das übliche ich-muss-frühstücken-und-gleichzeitig-den-Bus-noch-kriegen Chaos. Mein Vater, die Krawatte halb um den Hals gebunden, schlürft mit einer Hand Kaffee, während er mit der anderen seine Mails checkt und Mo über den Tisch ein paar Brocken Englisch zuwirft. Mo steigt mühelos in die Konversation ein, wie immer die Ruhe selbst. Logisch, er muss ja auch keine sechs Stunden Unterricht überleben. Ich habe mir so ein schönes Alibi für ihn ausgedacht. Ein angebliches Rahmenprogramm für Austauschschüler, an dem er teilnimmt. In Wahrheit treibt er sich meistens tagsüber der Stadt herum und pilgert von einem Café ins andere. Langsam frage ich mich, wie lange sein selbstgewähltes Exil wohl noch andauern soll. Er wird nicht ewig hier wohnen können, irgendwann ist selbst die Geduld meines Vaters erschöpft. Heute. Nach der Schule werde ich ihn darauf ansprechen.
Als ich aufstehe und mir meinen Rucksack überwerfe, hebt er die Hand zum Abschied.
Mareike starrt uns an. „Kommst du heute nicht mit in die Schule?"
„Ähm." Mo wirft mir einen unsicheren Blick zu. „Ich glaube...nicht?"
„Aber du bist doch einer der Austauschschüler? Die Nachbarin über uns hat auch einen Engländer. Also ihre Tochter. Und die meinte gestern, dass ihr diese Woche mit euren Gastgeschwistern in den Unterricht geht."
Zum Glück schaltet Mos Hirn mal wieder schneller als meins. „Ach richtig", sagt er und es wirkt nicht mal so schlecht geschauspielert, „Gut, dass Sie das sagen. Ich hatte irgendwie das Datum falsch im Kopf. Weil...die letzten Wochen haben wir nur Ausflüge gemacht, aber jetzt...ja. Ich geh mir dann mal eine Tasche packen."
***
„Dir ist klar, dass sie uns die Sache mit dem Austauschschüler nicht mehr lange abkaufen?" Ich öffne die Feuertür zum Treppenhaus und sofort schlägt uns der Lärm entgegen. Übermotivierte Fünftklässler mit für meinen Geschmack zu viel Bewegungsdrang, frühpubertäre Sechstklässler und dazwischen immer wieder ein genervter Abiturient, der sich - seinen großen grauen Ordner wie den Schild eines Schneeschiebers vor sie ausgestreckt- eine Schneise durch die Menge bahnt. Ganz normaler Montagmorgen im Gymnasium eben.
„Ich seh's ja ein", murmelt Mo, während er den nach uns Kommenden die Tür aufhält. „Gib mir noch heute und morgen. Dann geh ich zurück ins Kolleg."
„Glaub mir" Ich muss zickzack die Stufen hochlaufen, weil eine Gruppe Unterstufenschüler beschlossen hat, die Treppe sei der ideale Ort zum Fußballkarten tauschen. „Ein Tag in dem Laden hier und du kriechst auf Knien zu Eleanor. Eine Woche und du küsst sogar Eric die Schuhe, damit er dich wieder reinlässt."
„So schlimm?"
„Schlimmer. Wir starten mit Deutsch bei Frau Müller. Ich sage nur eins: Lyrikanalyse."
„Was wirst du ihr sagen? Wegen mir..."
„Wird mir schon was einfallen. Entfernter Cousin oder so. Sei dankbar, dass Elena noch in Neuseeland ist und du neben mir sitzen kannst. Immerhin entgehst du so der ersten Reihe."
Mein Klassenzimmer befindet sich im dritten Stock. Wie immer ist der große Rest meiner Mitschüler schon versammelt. Wir werden von stummem Kopfnicken empfangen, aber selbst das ist eigentlich mehr, als man erwarten könnte. Montagmorgen ist die Moral nie besonders hoch.
Mein Blick wandert durch die Runde und ich frage mich unwillkürlich, wer sich wohl diese Schablone der typischen Klasse ausgedacht hat. Es ist schon kurios. Kaum wirft man um die zwanzig Teenager mit dem Ziel von Bildung und Erziehung in einen Raum, nehmen sie zielsicher immer dieselben Rollenmuster an. Streber, Clown, Zicke, Everybody's Darling... Die Archetypen des Schülers. Auch in meiner Klasse sind sie vertreten, zumindest Ansatzweise.
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Fabelblut
FantasyEigentlich sollte es nur eine Klassenfahrt nach Schottland werden - aber als Lina auf einem Friedhof in Edinburgh plötzlich von einem Geschöpf wie aus einem Fantasybuch angegriffen wird, ändert sich ihr Leben über Nacht. Ehe sie sich versieht, finde...