Im Haus der Spiegel (3)

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Jeden Moment rechne ich damit, dass Eleanor sich wehrt, ihn wegstößt. Stattdessen lehnt sie sich ihm entgegen, schließt die Augen...

Plötzlich zuckt sie zusammen als hätte sie sich verbrannt.

„Was-?" Damon wirkt erschrocken. Zwischen seinen Braunen entsteht ein sorgenvoller Knick, aber als er den Grund für Eleanors Reaktion bemerkt, glätten sich die Falten auf seiner Stirn. „Was ist das?" Wieder greift er nach ihrem Kinn. Seine Finger streichen über ihren Mund, fahren die Stelle nach, wo ihr beim Sturz im Refektorium die Lippe aufgeplatzt ist. Frisches Blut läuft aus der Wunde. „Sie haben dir wehgetan", murmelt er.

Eleanor reagiert schnell. In einer einzigen kräftigen Bewegung reißt sie ihr Knie nach oben und rammt es in Damons Magengegend. Er stolpert zurück, verliert fast das Gleichgewicht, aber Eleanor bleibt auf einem Bein stehen, das rechte Knie noch immer vor der Brust angewinkelt. Erst jetzt bemerke ich, dass sie ihm die blutigen Schlitze in ihrer Hose entgegenhält. „Du hast mir auch wehgetan", sagt sie, „Mehr als sie es jemals könnten."

„Weil ich dich liebe!" Damon streckt die Hand nach ihr aus. „Ich musste dich zurückhaben! Eleanor-"

„Fass mich nicht an!" Sie lässt das Knie sinken und weicht noch ein paar Schritte zurück, auf einmal wieder hellwach. Was auch immer Damon kurzzeitig für eine Anziehung auf sie ausgeübt hat. Sie scheint gebrochen. „Hör einmal auf zu lügen! Du hast mich nie geliebt. Du hast mein Potential geliebt. Die Art wie du mich manipulieren konntest. Die Echokammer, die du aus mir gemacht hast. Den Papagei, der dir deine eigenen Worte in neuer Stimme vorgetragen hat. Intelligent, jung, begabt. Ja. Klug genug, um deine Ideen zu begreifen, aber bitte nicht klug genug zum selber denken." Eleanor holt zitternd Luft. „Es hat lange gedauert, bis ich es begriffen habe", flüstert sie. „Die schmerzhafte, aber heilsame Wahrheit: Damon Blackwell liebt niemanden außer sich und seinem Spiegelbild in anderen." Eleanor hält inne. Ich weiß, dass sie auf Damons Antwort wartet, einen Widerspruch, aber er bleibt aus. Über ihre Lippen huscht ein Lächeln, zynisch und enttäuscht. „Weißt du überhaupt, was Liebe ist? Kein Begehren oder Verlangen. Liebe. Liebe ist Opfer. Demut. Das Gegenteil von Stolz. Das Gegenteil von Ich diene nicht. Für wen würdest du etwas opfern, Damon?"

„Nur zu. Sprich weiter." Damons Miene bleibt unbewegt. „Als nächstes erzählst du mir, dass du in deinen Jahren der Läuterung zu Gott gefunden hast."

„Das würde dich schockieren, nicht?"

Damon schnaubt. „Was für eine Heuchlerin du geworden bist. Mir wirfst du Lügen vor, und tust doch das gleiche. Schlimmer noch, du belügst sogar dich selbst." Er machte einen Schritt auf sie zu. „Ich kenne dich, Eleanor. Besser als du. Und glaube mir, du bist keine fromme Gläubige. Du bist eine Zweiflerin. Durch und durch. Jemand wie du wird nie sicher sein, ob es so etwas wie Gott wirklich gibt."

„Immerhin eins weiß ich sicher", sagt Eleanor leise. „Du bist es nicht."

„Ich bin keines Menschen Diener. Mein eigener Herr. Näher kann man einem Gott nicht kommen."

„Ist das dein eigenes Glaubensbekenntnis?" Ein Lächeln zuckt um Eleanors Lippen. „Hoffentlich zählst du dich nicht selbst zu den Zweiflern. Ich kenne niemanden, der so fanatisch glaubt wie du. So sehr, dass er keine Alternative zulässt.  Denn wenn es die gäbe, dann müsstest du dich verantworten. Dann zählt noch etwas anders als ich. Und das würde dein Stolz nie zulassen. Selbst wenn es die Wahrheit wäre. Du würdest eher die Realität verändern, als dich selbst."

„Sieh, an." Damon dreht sich um und schlendert ein paar Schritte in Richtung Altarraum, lachend und den Kopf schüttelnd. „Wer hätte das gedacht? Da stehe ich und muss zuhören, wie mir meine eigne Schülerin die Psyche analysiert."

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