Day 2: Scurry

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Irritiert blickte ich auf und starrte in die gähnende Dunkelheit, die sich hinter der offenen Tür zum Flur befand. Da war es wieder! Ein kaum hörbares Geräusch, als würde eine sehr kleine Maus über den Boden huschen. Doch ich hatte Erfahrung mit Mäusen, selbst die kleinsten von ihnen waren lauter. Mit den Fingern tastete ich an meinem Hörgerät entlang bis ich die Taste für die Lautstärkeregelung fand. Mehrmals drückte ich auf das obere Ende der kleinen Taste, was jedes Mal von einem Klicken begleitet wurde. Nun hörte ich um einiges lauter als zuvor und nahm selbst die leisesten Geräusche war. Vorsichtig stand ich auf und schob den Stuhl an den Küchentisch, bevor ich in den dunklen Flur trat. Blind tastete ich nach dem Schalter und Licht flutete den kurzen Gang. Ich hielt inne und lauschte. Das Geräusch war verstummt. Nachdem ich einige Minuten gelauscht hatte, wollte ich aufgeben und es als Einbildung abtun, da hörte ich es erneut. Jetzt war es besser zu hören und ich erkannte, dass es diesmal von der Kellertür kam. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus.
‚Was wenn jemand eingebrochen ist?', fragte ich mich in Gedanken. Doch wie hätte das passieren können? Alle Fenster und Türen waren verschlossen, hätte sich jemand gewaltsam Zutritt verschafft, wäre das mehr als nur hörbar gewesen. Mit einem für mich lauten Klappern, öffnete ich eine Schublade an der Kommodem die neben mir stand. Dort lag alles mögliche herum, unter anderem eine Taschenlampe, die ich nach kurzem Suchen auch fand. Ich schaltete sie an und holte mit der anderen Hand mein Handy aus der Hosentasche.
‚Nur für den schlimmsten Fall.', dachte ich während ich den Notruf wählte, aber noch nicht auf ‚Anrufen' drückte.
Ich holte tief Luft und lief zur Kellertür. Das Geräusch war lauter geworden und schien sich vervielfacht zu haben, was mir nicht gerade Mut einflößte. Mit einem Ruck drückte ich die Türklinke herunter, riss die Tür auf und leuchtete mit der Taschenlampe die Treppe hinunter.
„Wer ist da?", rief ich, was mir selbst in den Ohren wehtat. Keine Antwort. Nichts schien sich zu bewegen, also suchte ich den Lichtschalter an der Wand, während ich weiter die Treppe hinunterblickte. Die Geräusche waren verstummt.
„Hat sie uns gefunden?"
Das Wispern kam von dem großen Regal an der Wand gegenüber der Treppe. Ich erschrak, blieb jedoch standhaft, auch wenn ich gerne einfach umgedreht und weggerannt wäre.
„Das hab ich gehört!", sagte ich mit butterweichen Knien.
„Sie hat." Erneut Wispern.
„Hab keine Angst." Ein Säuseln direkt neben mir.
Vor Schreck machte ich einen Satz zurück.
„Was zur-", meine Stimme versagte als ich es sah. Wie sollte ich es beschreiben? Das Innere des Schattens vom Türrahmen schien sich zu bewegen.
„Hat sie Angst?" Wieder das Wispern beim Schrank.
„Was seid ihr?", brachte ich heraus und der Schatten des Türrahmens antwortete mir: „Wir sind die Geister derer, die vor langer Zeit in diesem Haus wohnten und in die Dunkelheit verbannt wurden." Ein lang gezogenes Seufzen folgte.
„M-Moment, das ist doch nur..." Eine Legende, wollte ich sagen, doch während ich den Satz aussprach, klang das ganze im Vergleich zu dieser Situation nicht weiter seltsam.
„Verjag uns bitte nicht.", kam ein leises Stimmchen vom Fuß der Treppe. Ich sah dorthin.
„Ihr tut mir nichts, richtig?" Es klang albern, schließlich hätten sie dafür reichlich Zeit gehabt, da ich bereits seit einigen Monaten hier wohnte. Das fanden wohl auch die Schatten, denn ich hörte ein leises Glucksen von allen Seiten. Dann hörte ich das Huschen und im nächsten Moment sprach eine neue Stimme neben mir: „Natürlich nicht. Wir wussten nicht mal, dass du uns bemerken würdest."
Unsicher was ich jetzt tun sollte, sah ich dorthin.
„Kann ich irgendwas für euch tun?", fragte ich schließlich.
„Kannst du das Licht ausmachen? Die Nacht ist die einzige Zeit in der wir im Haus herumlaufen können und Timmy will unbedingt spielen!", sagte das Stimmchen vom Fuß der Treppe aufgeregt.
„Ähm okay.", antwortete ich und betätigte den Lichtschalter im Keller. Dann lief ich den Flur entlang und schaltete dort das Licht aus. Nun war es stockfinster. Ich wollte fragen wer denn Timmy sei, da hörte ich ein Huschen und Tappen wie von einem Hund. Ein erneutes Huschen, das neben mir aufhörte, sagte mir dass einer der Schatten zu mir gelaufen war.
„Danke!", sagte das Stimmchen fröhlich. Ich lächelte auch wenn man es nicht sehen konnte. Durch einen Blick in die Küche, sah ich an der digitalen Uhr auf der Fensterbank wie spät es bereits war.
„Also ich gehe dann mal hoch...", murmelte ich und stieß mir prompt den Fuß an als ich zur Treppe ins Obergeschoss gehen wollte. Der Schatten neben mir lachte hell wie ein kleines Kind.
„Komm, ich helfe dir!"
Im nächsten Moment fühlte ich eine Art Lufthauch um meine Hand, der mich sachte mit sich zog. Blind folgte ich dem Schatten durch die Dunkelheit die Treppe ins Obergeschoss hoch und dann in mein Schlafzimmer. Dort ließ er mich wieder los und sagte: „Schlaf schön und bis Morgen!"
Dann huschte er wieder an mir vorbei und schloss die Tür. Verwirrt stand ich in der Mitte des Raums. Nach ein paar Sekunden ging ich zu meinem Schrank und zog meinen Pyjama an. Ich hörte unter mir noch leise das Tappen von Pfoten, welches schnell wieder aufhörte als ich mein Hörgerät wieder normal stellte. Danach nahm ich es heraus und legte mich ins Bett.
‚Anscheinend beherberge ich jetzt eine Geisterfamilie.', dachte ich. ‚Verrückt.'

Inktober 2022 (but I write)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt