E02 - Die singenden Gletscher von Asuri | Teil I

20 5 44
                                    

Der Schnee glitzerte in der aufgehenden Sonne, wie ein Meer aus geschliffenem Glas. Die Landschaft war so nah am Ozean flach. Die kleine Stadt schmiegte sich eng zwischen den nahen Bergen und dem Wasser in den Hang. Dichter weißer Dampf quoll aus den Schornsteinen. Es war schon erstaunlich wie sich hier Leben, trotz der eisigen Temperaturen, halten konnte. Auf den Wellen trieben Kronen aus Eis und aufspritzende Gischt gefror in sekundenschnelle zu kleinen Perlen aus Eis.

„Es geht los."

Im Morgengrauen des Tages standen zwei verhüllte Gestalten am Fuße des Berges und betrachtete die nahe Stadt. In der Ferne konnten sie die ersten Arbeiter der Pulari, die mittlerweile einheimische Spezies auf diesem Planeten, sehen. Es war ein kräftiges und klein gewachsenes Volk. Die kleinen Gestalten kamen von den Häusern und gingen zielstrebig auf den Berg zu. Man konnte viele kleine Eingänge, wie die Waben eines Bienenstockes, sehen und in denen verschwanden die Pulari, während sie mit Schubkarren Schaufeln und Spitzhacken transportierten. Die Spezies hatte es also geschafft dem Eisplanet zu trotzen. Ob sie damit rechneten, dass das nicht endlos weiter gehen konnte? Wenn man etwas nahm, musste man etwas zurück geben. Das war das leichteste Gesetzt des Universums. Jeder der nicht bereit dazu war, musste sich darauf einstellen, dass das Universum irgendwann seinen Tribut auch einforderte. Aus diesem Grund waren sie gekommen. Nicht als Henker, sondern als Beobachter. Heute würde Geschichte geschrieben werden. Ein Wendepunkt in Raum und Zeit. Und es war an ihnen es zu dokumentieren.

„Es wird deine Aufgabe sein es zu bezeugen."

„Es ist mir eine Ehre."

„Das sollte es auch."

Der Wind wurde stärker und trieb Schneeflocken durch die Luft, die Sonne glitzere auf dem Schnee und dann war eine der zwei Gestalten verschwunden.

***

Reko stand vor dem Schmelzofen und beobachtete, wie die letzten Arbeiter der Nachtschicht eine Etage über ihm ihre Erzklumpen oben hineinschütteten, während vor ihm flüssiges Kupfer über eine Schiene heraus floss, ehe man sie in Barrenformen abfüllte. Er hatte heute Nacht die Aufsicht über ihre drei Schmelzöfen, die Tag und Nacht brannten. Jeder stand in einer eignen riesigen Halle und wurde durch unterirdische Schächte mit Energie versorgt. Es war Brauch, dass der König der oberste Ingenieur war und auch wenn Reko noch nicht alt genug war, um dabei gewesen zu sein, so wusste er dennoch, dass der vorletzte König eine Ikone gewesen war. Der größte Vordenker, den sein Volk jemals hervorgebracht hatte. Er war es gewesen, der eine Methode entwickelt hatte, die Schmelzöfen mit dem glühenden geschmolzenen Stein aus der Bergkammer selbst zu heizen.

Er strich sich seine verschwitzten braunen Haare aus der Stirn, während er um das Ungetüm des Schmelzofens herum ging. Er war schon uralt, aus schwarzem Gusseisen gefertigt und so hoch, wie ein ganzes Haus. Die Hitze reichte selbst im Abstand von fünf Metern aus, um ein Hühnerei auf dem blanken Steinboden zu braten. Und das obwohl sie einen Großteil der Hitze dazu nutzen um ihre Stadt zu heizen.

Unablässig floss ein glühender Strom aus geschmolzenem Kupfer aus einer Öffnung, die etwa zehn Fuß hoch angebracht war. Es rann ein breites Rohr entlang, dass über einem sich stetig drehenden Rad endete. Dort befanden sich die Barrenformen. Das geschmolzene Metall lief in die Form und drückten das Rad nach unten. Unten wartete bereits Eiswasser. Zischend tauchten die Barren unter und vielen aus den Formen, ehe das Rad nun wieder nach oben fuhr. Unten fischte ein Trupp Männer die Barren aus dem Wasser.

Reko betrachtete die Arbeiter. Es waren kräftige, kleine Männer mit dichten Bärten. Schweißperlen, dick wie Erbsen, rannen über ihr Gesicht und tropften zu Boden.

Die Barren wurden auf kleine Wagen geschlichtet und abwechselnd hinausgezogen. Reko begleitete einen der Männer, um seinen Rundgang zu beenden. Er folgte ihm durch sich windende Tunnel, die nach oben führten. Zuletzt führten alle Gänge der Schmelzöfen in eine noch größere Halle, direkt am Fuß des Berges. Als er betrat schienen bereits die ersten Sonnenstrahlen durch die oberen Fenster der Halle. Die Metallbarren wurden sortenrein übereinander gelagert. Die Stapel reichten bis unter die Decke. Tausende und Abertausende, hell erleuchtet von der Morgensonne. Sie schienen zu glühen. Zu pulsieren. Zufrieden nickte er und verließ die Halle wieder. Ihre Urväter wären Stolz auf sie.

Im Vortex aus Zeit und RaumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt