Soulguiders pt. 1

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"Tik-Tak."

Meine Augen folgen dem langsamen, laut tickenden Sekundenzeiger der Uhr.

"Tik-Tak."

Er ist soooo langsam. Warum vergeht die Zeit immer so schleppend, wenn man will, dass sie schnell läuft? Ich lausche, was im Klassenraum so los ist. Stifte kratzen auf Papier, aber nicht in der Art, mit der man etwas für die Schule schreibt. Eher so, als würde man aus Langeweile auf dem Heft rumkritzeln. Ein paar andere tuscheln miteinander, worauf ich auch versuche nicht weiter zu achten. Anscheinend schenkt niemand dem Lehrer wirkliches Interesse, was ich einfach mal darauf schiebe, dass heute der letzte Tag vor den Ferien ist. Nur noch ein bisschen, dann kann ich nach Hause und bis zum nächsten Schuljahr das machen, was ich will. Keine Hausaufgaben, kein Lernen.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das Klingeln höre, packe ich meine Sachen. Ich laufe zu Fuß, denn so kann ich noch meinem Lieblingspark der Stadt einen Besuch abstatten, bevor ich morgen zu meiner Oma aufs Land fahre. Meine Eltern würden uns bestimmt auch besuchen, aber die Grenzen des Landes, in dem sie wohnen, wurden wegen Protesten und Aufständen gegen die Regierung geschlossen. Also werden es dieses Jahr wohl nur ich und meine Oma sein.

Völlig in Gedanken versunken merke ich erst nicht, dass ich bereits im Park angekommen bin. Zur Feier der Sommerferien wurden mehrere Stände mit Süßigkeiten und anderen Snacks aufgebaut. Ich habe aber nur eine Stelle im Visier: die Weide am anderen Ende des Parks. Nicht viele Leute mögen den Platz oder wissen gar von ihm. Die Parkbank befindet sich unter der Weide und wird von ihren Ästen und Blättern wie von einem Zelt verdeckt. An einem kleinen Stand, der auf dem Weg zur Weide liegt, hole ich mir noch eine Tüte gebrannte Mandeln und mache mich auf den Weg.

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Ich setze mich hin und lausche. Das Rascheln der Blätter der Weide, die gedämpften Stimmen der Menschen dahinter und die Motoren der Autos in etwas weiterer Ferne. Jetzt fühle ich mich zum ersten Mal seit langem wieder wirklich ruhig. Das Knacken der Nüsse zwischen meinen Zähnen war mir überraschend angenehm. In diesem Moment könnte ich wirklich ewig bleiben.

"*Knabber Knabber*"

Kurzerhand schlage ich meine Augen auf. Ich muss wohl eingeschlafen sein.

"*Knabber*"

Leicht desorientiert versuche ich, die Quelle der Geräusche zu finden. Mein Blick wandert zu meiner Hand. Die gebrannten Mandeln sind aus ihrer Tüte gefallen und liegen auf der Bank und dem Boden überall verstreut. Mittendrin liegt ein kleiner Brauner Fellball, der an den Nüssen zu knabbern scheint. Ein Eichhörnchen. Es sitzt auf der Bank neben mir und isst die Mandeln. Verblüfft schaue ich es an, wie es dasitzt, mit gepflegtem Fell, als würde es jemandem gehören. Es hat braunes, flauschiges Fell und am Rücken bemerke ich schwarze, gewindete, dünne Linien, die ein Muster bilden, das mich an Zimtschnecken erinnert. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen. "Ich denke, ich nenne dich Cinnamon ." Auf einmal merke ich, wie das Knabbern aufhört. Das Tier hat die Nuss in seiner Hand gefressen und sieht mich nun an. Schaut es mir.... in die Augen? Nein, das bilde ich mir nur ein. "Hallo Cinnamon, scheinst wohl sehr hungrig zu sein." Was tue ich hier gerade? Jetzt rede ich schon mit Eichhörnchen. Toll. Die Ferien werden mir wohl wirklich gut tun. "Ja, gebrannte Mandeln mag ich am liebsten."

Moment....Was ist gerade passiert? Völlig perplex starre ich das Wesen vor mir an. Es schaut mir in die Augen, bewegt sich aber kein Stück, wobei es mich an ein Kuscheltier erinnert, dann rennt es erschrocken weg, bis ich es nicht mehr sehen kann.

Ich starre noch eine ganze Weile in die Richtung, in die es wegrannte. Habe ich mir das gerade eingebildet? Ich träume noch, oder? Ich bin nie aufgewacht. Das muss es sein. Ich muss es mir eingebildet haben. Das hätte unmöglich das Eichhörnchen sagen können. Ich muss wohl noch zu verschlafen sein. Kurzerhand räume ich die verstreuten Mandeln weg und lege sie alle auf einen kleinen Haufen am Stamm der Weide, nur falls Cinnamon zurückkommt. Das Reden habe ich mir vielleicht eingebildet, aber nicht das Tier selbst. Ich nehme meine Sachen und mache mich kurzerhand auf den Weg nach Hause.

Baby Gays' Darktober [2022]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt