chapter 15 • malia

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M A L I A

Ich hasse mich.

Es gibt viele Tage, an denen ich mich nicht wirklich leiden kann. Der heutige gehört definitiv zu meinen Top 3.

Die 1 spare ich mir auf, da man nie weiß, was noch passieren wird. Einleuchtend, oder?

Der zweite ist der Tag, an dem Nolan starb. Beziehungsweise der Tag nach seinem Tod, als sich mein Verdacht bestätigte. Ich werde es niemals vergessen. Meine hilflosen Schreie, seine weinenden Eltern, das Gefühl, das bis heute bleibt. In meinem Herzen wird für immer etwas fehlen. Nolans Tod hat mich geprägt und manchmal bereue ich es, was für einen starken Einfluss dieser Schicksalsschlag auf mich hat. Ich wollte Grayson gestern nicht einfach stehen lassen. Doch ich wurde von einer Erinnerung eingeholt, die ich lange verdrängt habe.

Nolan zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Ich will unsere Freundschaft nicht zerstören.« Atmungslos schaute ich ihm in die Augen und verlor mich direkt wieder in ihnen. Sie gaben mir schon immer das Gefühl, etwas besonderes zu sein. Sie waren grau und erinnerten mich an den Vollmond, der in dieser Nacht über uns schien.

»Lass es uns versuchen«, flehte ich. Eine Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange. Nolan umschloss mein Gesicht mit seinen warmen Händen. Danach lehnte er seine Stirn gegen meine. »Malia, es gibt nichts auf der Welt, das ich mehr will als dich.« Ich war gekränkt über seine Aussage. »Das stimmt nicht.«

»Ich würde dich niemals anlügen.«

»Warum sagst du mir dann nicht einfach die Wahrheit? Warum kannst du nicht mit mir zusammen sein?« Ich löste mich von ihm und fing an, die Kontrolle über meine Atmung zu verlieren. »Du würdest es wenigstens versuchen, wenn du mich wirklich so sehr willst.«

»Es ist nicht der perfekte Zeitpunkt.«

»Den perfekten Zeitpunkt gibt es nicht.«

»Hör zu, Malia. Irgendwann wirst du es vielleicht verstehen.«

Mittlerweile entwickelte sich meine Enttäuschung zu Wut. »Was verstehen? Das du einfach nicht mit mir zusammen sein willst? Keine Sorge, ich denke, ich habe es verstanden.«

»Du kannst es nicht verstehen.« Nolan sagte das mehr zu sich selbst, als zu mir. Er war verzweifelt und es tat mir leid, dass ich ihn so überforderte. Ich war immer zu viel.

»Wie soll ich es auch verstehen, wenn du es mir nicht erzählst?« Danach hatte ich genug von Nolan. Ich sprang auf und ich spürte noch, wie er versuchte, mich am Handgelenk festzuhalten. Doch ich entwischte ihm.

»Du wirst es verstehen«, rief Nolan mir hinterher. »Irgendwann, aber nicht heute.«

Und er hatte recht. Irgendwann verstand ich es.

Bevor ich von meinen Gedanken verschluckt werde, schüttele ich den Kopf und versuche mich abzulenken. Ich nehme mir vor, mich auf jeden Fall bei Grayson zu entschuldigen. In der Nacht habe ich viel darüber nachgedacht, wie ich das anstellen soll. Die Wahrheit erzählen kann ich ihm nicht. Dazu bin ich erstens nicht bereit und zweitens würde er es nicht verstehen. Mir wird schon etwas einfallen. Auf keinen Fall möchte ich ihn anlügen oder wiederholt vor ihm weinen.

In dem Moment klingelt mein Handy. In der Hoffnung, das es Grayson ist, schaue ich auf den Bildschirm. Doch es ist Ruby. Etwas misstrauisch drücke ich den grünen Button und frage mich, seit wann sie sich die Mühe macht, mich anzurufen.

»Hallo?«, begrüße ich sie zögernd.

»Naaa«, erwidert sie in einem übertrieben freundlichen Ton und zieht das Wort total in die Länge. »Also wegen gestern...«
Kurz überlege ich, was gestern war. Ruby, Toilette, Schwangerschaftstest. Weiß sie etwa, dass ich den Test gesehen habe?

»Ich will nur klarstellen, dass ich aus Freude geweint habe.« Das glaubt sie doch wohl selber nicht. Anscheinend ist ihr auch nicht bewusst, dass ich über das positive Testergebnis informiert bin. Denn über eine Schwangerschaft in unserem Alter ist wahrscheinlich niemand glücklich. Unglaublich, dass sie Angst hat, dass jemand mitbekommt, dass es auch schlechte Momente in ihrem Leben gibt.

Ich seufze. »Und selbst wenn es nicht so wäre, Ruby, brauchst du dich dafür nicht schämen.« Manchmal frage ich mich, warum ich es überhaupt mit ihr versuche und weiterhin nett zu ihr bin, obwohl sie mich belügt und hinterlistig ist.

»Nun, es ist aber so, wie ich gesagt habe.«

»Wie du meinst.«

»Und außerdem reicht es auch, dass eine von uns beiden als Psycho bezeichnet wird.«

Ich lege auf, ohne mich zu verabschieden. Den letzten Satz habe ich nun wirklich nicht gebraucht. Vor allem nicht an einem Tag, an dem meine Laune sowieso schon im Keller ist. Nun war meine Laune nämlich nicht mehr nur im Keller, sondern driftete langsam Richtung Erdkern. Okay, vermutlich übertreibe ich.

Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es mittlerweile 10:45 Uhr ist. Ich stöhne auf, da die Zeit heute einfach nicht vergeht. Die anderen sitzen in der Schule, während ich mich zuhause langweile und die Schule schwänze, um einen klaren Kopf zu bekommen. Zumindest ist das der inoffizielle Grund. Der offizielle Grund ist nämlich, dass ich mir einen Magen-Darm-Virus eingefangen habe. Meiner Mutter war es egal, ob das stimmt oder nicht. Sie leitete die Information einfach an die Schule weiter. Normalerweise hätte sie mich trotzdem los geschickt, aber nachdem sie mich gestern mit verheulten Augen nach Hause kommen sehen hat, wusste sie, dass mir ein freier Tag nicht schaden kann. Natürlich versuchte sie herauszufinden was los war, aber wie immer wich ich ihren Fragen aus und schwieg. Sie hat es wirklich nicht einfach mit mir. Doch je mehr sie weiß, desto mehr Sorgen macht sie sich. Das will ich ihr nicht wieder antun. Im Sommer hat sie schon genug mit mir durchmachen müssen.

Plötzlich klingelte mein Handy. Und nein, leider war es auch diesmal nicht Grayson. Die Nummer war mir unbekannt, trotzdem nahm ich den Anruf an.

Nach meiner Begrüßung meldet sich eine bekannte Stimme zu Wort. »Hi, Malia«, sagt Violet Laztiz am anderen Ende der Leitung. Den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen, ist gerade Pause. Alle reden durcheinander und drängen sich von Raum zu Raum.

»Was gibt's?«, erkundige ich mich. Es ist komisch mit Violet zu reden, seitdem wir nicht mehr befreundet sind und sie mich ignoriert.

»Der Direktor möchte, dass wir zusammen das Film-Festival der Schule organisieren.« Oh Gott. Ich und etwas organisieren?

»Und das ist Pflicht?«, frage ich unglaubwürdig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Direktor mich für so eine Aufgabe ausgewählt hat.

»Ja. Ich wollte dich nur rechtzeitig informieren, damit wir direkt Montag mit der Planung anfangen können.« Das sieht Violet ähnlich. Sie mag es, Dinge so schnell wie möglich zu erledigen und zu strukturieren. Wenn etwas aus dem Ruder läuft, hat sie immer einen Plan-B. Manchmal wünsche ich mir, mehr wie sie zu sein.

»Eine gute Besserung dir noch«, wünschte sie mir ehe sie auflegte.

𝐃𝐄𝐄𝐏𝐄𝐒𝐓 𝐒𝐎𝐔𝐋𝐒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt