Kapitel 1

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Ich sitze am Boden, lehne mich an die Gebäudewand und sehe nach vorne, auf die Wiese. Die Erinnerungen schleichen sich in mein Gehirn und ein plötzlicher Weinkrampf schüttelt mich. Die Tränen laufen heiß und salzig über meine Wangen und tropfen auf meine Knie, die ich dicht an den Körper gezogen habe. Sie versickern im Stoff meiner Jeans, doch gleich folgen die nächsten.

Plötzliche Stimmen lassen mich erschreckt aufblicken. Eine Gruppe Jungs kommt vorbei und starrt mich an. Das habe ich nun davon, wenn ich mitten in der Öffentlichkeit heule. "Was hast'n du?", fragt ein Junge mit schwarzen Haaren und einer löchrigen Jeans. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Diese Typen machen mir Angst. "Lass mich in Ruhe!", fahre ich ihn an, in der Hoffnung, dass sie einfach wieder verschwinden. "Okay, okay, reg dich ab." Er hebt beschwichtigend die Hände, tut mir aber nicht den Gefallen, sich zu verziehen. Ich sehe mir die Gruppe genauer an. Es sind vier Jungs. Der eine, der mich angesprochen hat, ein anderer mit braunen Haaren und Pickeln im Gesicht, ein kleiner, dicker mit einer runden Brille auf dem Gesicht und fettigen Haaren und ein Blondhaariger mit unnatürlich blauen Augen, der sehr trainiert und sportlich wirkt. "Jungs, ich verschwinde dann mal, ich hab noch was zu erledigen. Ciao.", meldet sich plötzlich der Blondhaarige. "Schade Kumpel, bis zum nächsten Mal!", verabschiedet ihn der Schwarzhaarige, der der Anführer dieser komischen Bande sein muss. Der Blonde verschwindet und die anderen auch, aber in die entgegengesetzte Richtung.

Was war denn das für eine Aktion? Egal, Hauptsache sie haben mich nicht weiter beachtet und sind abgerauscht. Ich seufze und wische mir mit der Hand übers Gesicht. Meine langen braunen Haare sind verschwitzt und einige Strähnen haben sich aus meinem geflochtenen Zopf gelöst. Langsam streiche ich sie mir hinters Ohr. Ich bin ein bisschen anders als die anderen Mädchen an meiner Schule. Während sie am Wochenende gerne auf Partys und Feste gehen, sitze ich lieber mit einer Tasse Kakao in meinem Zimmer auf der breiten Fensterbank, genieße die Ruhe und sehe den Vögeln zu, wenn sie in den hohen Bäumen ihre Lieder zwitschern und die Bienen den Nektar von den Blüten der Blumen sammeln.

Plötzlich höre ich Schritte neben mir und blicke auf. Es ist der blonde Junge von vorhin. Was macht er hier? "Hi.", sagt er und setzt sich neben mich. "Alles klar?" Pah, so eine blöde Frage. Hat er mich vorhin nicht gesehen? Ich gebe ein schnaubendes Geräusch von mir. "Und bei dir so?", frage ich. "Geht so.", lautet die Antwort. "Hängst du oft mit diesen Jungs ab?", will ich wissen, denn eigentlich wirkt er nicht wie einer von denen, wie so ein obercooler, schmieriger Typ. "Manchmal. Eigentlich hab ich gar keinen Bock, aber...", beginnt er. "Aber?", hake ich nach, als er keine Anstalten macht, weiterzusprechen. Vielleicht gehört es sich nicht, einen Fremden mit Fragen zu löchern, aber das ist mir im Moment egal, jede Abwechslung ist willkommen. "Aber irgendwas muss man ja tun, um nicht als kompletter Loser unter den Schulkollegen zu gelten.", beantwortet er meine Frage. "Stimmt." Das Problem kenne ich nur zu gut. Ich mustere ihn möglichst unauffällig von der Seite. Mit seinem durchtrainierten Körper, den man sogar durch die Kleidung erkennt, und dem schönen Gesicht mit den für einen Jungen markanten Wangenknochen, müsste er eigentlich ein Mädchenschwarm sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so einer wie er von seinen Mitschülern gemobbt wird.

Dann fällt mir etwas ein. "Ist das Blau deiner Augen echt?", wage ich zu fragen. Diese Frage brennt auf meiner Zunge, seit ich ihn vorhin zum ersten Mal gesehen habe. Es scheint so unnatürlich, als trage er Kontaktlinsen. Er lacht leise. "Ja, das ist echt. Allerdings bist du nicht die Erste, die das fragt." "Heißt das, ich bin nicht die Erste, zu der du dich einfach hinsetzt, obwohl du sie gar nicht kennst?" Ich muss diese Frage stellen, weil ich noch immer Angst habe, schließlich sitzt ein wildfremder Junge neben mir, der weiß Gott was mit mir anstellen könnte. "Doch schon!" Diesmal lacht er lauter. Es ist ein sympathisches Lachen, das irgendetwas in mir auslöst. "Aber schon fast alle Mädchen aus meiner Schule haben mich das Gleiche gefragt." "Und wieso fragen dich das alle?", will ich wissen. Wie dumm von mir, schließlich habe ich ihn ja selbst gefragt, aus reinem Interesse. "Naja, die meisten standen auf mich und da schauen sie einem tief in die Augen. Und dann fragen sie das.", lautet die Antwort seinerseits. "Ich steh aber nicht auf dich. Ich kenne dich ja nicht einmal. Eigentlich müsste ich davonrennen.", sage ich schnell. Es ist die Wahrheit. Glaubt er jetzt wirklich, dass ich in ihn verknallt bin, nur weil ich ihn nach seiner Augenfarbe gefragt habe? Ich meine, wie überzeugt kann man von sich selbst sein? Kann man sich überhaupt innerhalb von fünf Minuten verlieben? Ich weiß ja noch nicht mal seinen Namen.

"Eigentlich?", fragt er ein wenig belustigt und hebt eine Augenbraue. "Eigentlich.", seufze ich. Danach starren wir schweigend auf die Wiese. Es ist kein angenehmes Schweigen. Ich habe so viele Fragen an ihn, die ich mich aber nicht zu stellen traue. Wie heißt er? Warum hat er sich zu mir gesetzt? In welche Schule geht er? Wo wohnt er? Was will er überhaupt von mir? All das würde ich gerne wissen. Aber keiner sagt ein Wort und so sitzen wir schweigend am Asphalt. Keine Ahnung wie lange wir so dasitzen, aber nach gefühlten Ewigkeiten halte ich es nicht mehr aus und frage ihn nach seinem Namen. "Jannik Maurer.", antwortet er. "Und du?" "Elisa.", sage ich, unschlüssig darüber, ob ich ihm meinen Nachnamen verraten soll. "Schöner Name.", findet er. "Eigentlich geht es mich ja nichts an, aber wieso hast du vorhin geweint?"

Ich seufze, irgendwann musste das ja kommen. Meine Augen fangen an zu brennen und die ersten Tränen fallen auf meine Hose. "Meine... ich...", beginne ich zu stottern. "Ich hab mich mit... mit meiner besten Freundin zerstritten und... und eigentlich bin ich schuld, weil...". Ich fange an zu schluchzen. Tränen kullern über meine Wangen, meine Schultern beben und anstatt mich auszulachen, weil ein fünfzehnjähriges Mädchen so weint, nur wegen einem Streit mit seiner Freundin, nimmt Jannik mich in den Arm. Es ist ein komisches Gefühl, da ich ihn nicht kenne und noch nie von einem Jungen umarmt worden bin, aber irgendwie fühlt es sich auch toll an. Nach ein paar Minuten löse ich mich von ihm und wische die Tränen weg. Ich trage keine Schminke, was in meiner jetzigen Situation durchaus von Vorteil ist.

Jannik kramt in seiner Hosentasche und zieht ein zerknittertes Taschentuch hervor. "Hab ich noch nicht benutzt.", sagt er mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. "Danke.", flüstere ich und nehme das weiße Tuch. Ich tupfe meine Augen ab und putze mir die Nase, dann stecke ich es ein. "Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst.", wendet mein neuer Bekannter ein. "Doch, ich will, es ist nur... hm... kompliziert.", erkläre ich. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter und das gibt mir genug Kraft, um weiterzusprechen. "Ich hab mich mit meiner Freundin zerstritten und eigentlich bin ich schuld, weil ich so eifersüchtig bin. Du musst wissen, ich bin nicht sehr beliebt an meiner Schule. Aber nicht, weil ich gemein oder zickig oder so bin, sondern einfach ohne Grund. Die einzige Freundin die ich hatte, war Lissa. Und seit einer Woche verbringt sie mehr Zeit mit Laura als mit mir. Ich hab Lissa gefragt, ob wir mal ins Kino gehen oder so und dann hat sie gesagt, sie hat keine Zeit, weil sie schon mit Laura wohin fährt. Zwei Tage später hab ich sie gefragt, ob wir zusammen ins Freibad oder Eis essen gehen können oder einfach mal quatschen. Aber sie hatte wieder keine Zeit, weil sie bei Laura war. Und heute hab ich die beiden zusammen in der Eisdiele sitzen sehen und hab Lissa gefragt, ob wir kurz unter vier Augen miteinander reden können. Wir sind dann ein Stück von Laura weg gegangen und ich habe Lissa gefragt, was das soll mit den Treffen, die sie abgesagt hat und so. Sie hat nur gemeint, ich soll nicht so verdammt eifersüchtig sein und sie darf machen, was sie will. Dann hab ich sie angeschrien und bin hierher. Und jetzt bin ich schuld, dass unsere Freundschaft in die Brüche gegangen ist. Ich bin so eifersüchtig. Ich will Lissa nicht verlieren. Ich weiß, es ist kindisch, dass eine Fünfzehnjährige wegen so etwas heult." Ich seufze. "Ich kenne das. Außer Mark, Sebastian und Felix, die du vorhin gesehen hast, habe ich auch niemanden, mit dem ich gut kann. Und auch die drei tun mir nicht besonders gut. Alkohol, Zigaretten und so Zeug. Ich versuche, so wenig Zeit wie möglich mit den dreien zu verbringen. Aber ab heute werde ich mich gar nicht mehr mit ihnen treffen.", beschließt Jannik. Und ich weiß genau, was er noch hat hinzuzufügen wollen. Er hat jetzt mich. Vielleicht ist es verrückt, das so festzustellen, da wir uns noch fast nicht kennen. Und ich steh ja auch nicht auf ihn. Da ist kein Kribbeln im Bauch, kein Knistern. Nichts,  außer eine gewisse Verbundenheit, die ich zu ihm spüre.

Oh mein Gott, das erste Kapitel ist veröffentlicht. Ich habe den Beginn dieser Geschichte schon vor längerer Zeit geschrieben, weshalb sich mein Schreibstil im Laufe der Kapitel verändern wird. Aber ich bitte euch, konstruktive Kritik zu hinterlassen und wünsche euch viel Spaß, mit mir auf Elisas Reise zu sich selbst zu gehen. Ich werde einmal in der Woche ein neues Kapitel veröffentlichen und entschuldige mich noch einmal dafür, falls dieses "Buch" am Anfang noch nicht so spannend ist. Habt Geduld!
- Eure Nati ♡

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