Kapitel 14

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"Genau! Sie soll mit dir mitkommen. Tippe sie an und geh los. Du darfst dich nicht umdrehen!"
Jess gibt mir eine Anweisung nach der nächsten und schon nach einer halben Stunde ist mein Gehirn total erschöpft. Sie steht in der Mitte der kleinen Reithalle und ich gehe mit Finni im Kreis um sie herum. Das Einzige, das meine Haflingerstute trägt, ist ihr rotes Knotenhalfter. Reitstunde trifft es also nicht ganz. Wir machen Bodentraining.

"Wenn das Pferd dir vom Boden aus nicht zuhört, wird es das unterm Sattel auch nicht tun!", schärft Jessica mir immer wieder ein. Eigentlich klappt es ja schon ganz gut. Meine Stute folgt mir bereits meistens, wenn ich losgehe. Die Betonung liegt auf meistens. Solange aber aus dem meistens kein immer wird, lässt Jess mich nicht auf Finnis Rücken. Zumindest nicht in ihrer Reitstunde. Sie kann ja nichts dagegen unternehmen, was ich sonst tue. Aber bis ich es auch bei ihr darf, liegt noch ein ganzes Stück harte Arbeit vor uns.

Die Nacht in Finnis Box war zwar ziemlich erholsam, aber trotzdem bin ich jetzt total fertig. Glücklich, aber komplett ausgelaugt. Das Erste, an das ich gedacht habe, als ich heute morgen durch Finnis Nüstern, die mich gekitzelt haben, aufgewacht bin, war: So schnell wird aus einer verwöhnten Zicke, die in einer Riesenvilla aufgewachsen ist, ein pferdeverrücktes Mädchen, das dreckig und mit Stroh in den Haaren aufwacht. Und irgendwie bin ich froh darüber, dass ich mich so verändert habe.

Jessicas Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
"Ich glaube, für heute machen wir Schluss. Dein und Finnis Gehirn und Körper brauchen jetzt erst mal ein paar Tage Zeit, um das Gelernte zu verarbeiten. In zwei, drei Tagen machen wir weiter!" Sie tätschelt Finnis verschwitzten Hals. Ich ziehe kurz an dem Halfter meines Pferdes, lasse los und setze mich in Bewegung. Und tatsächlich: Sie folgt mir.
Am liebsten hätte ich einen Freudensprung gemacht, aber ich bleibe ruhig, um Finni nicht zu erschrecken.
Alice, die an der Bande gesessen hat, springt auf und wir verlassen die Reithalle und bringen Finni auf die Koppel.
"Du warst heute so brav, Maus!", sage ich glücklich und kraule sie zwischen den Ohren, wo sie es am liebsten hat.

"Ihr zwei seid echt ein gutes Team!", meint Alice.
"Und dir haben wir das zu verdanken!", seufze ich dankbar. "Mir? Wieso?", fragt sie verblüfft.
"Weil sie dein Geburtstagsgeschenk an mich war.", erkläre ich. Meine Freundin wird rot.
"Du weißt, dass es nicht nur von mir ist! Wir haben alle etwas dazu beigesteuert!", versucht sie sich rauszureden.
"Trotzdem danke!", beharre ich und umarme sie.
"Wollen wir Thomas zuschauen? Er trainiert gerade auf dem Springplatz.", schlägt Alice vor.
"Gute Idee!", stimme ich ihr zu und wir laufen zum Springplatz. Wir sind nicht die Einzigen, die zusehen. Die Zicken-Clique ist da und Manuel, der seinem Sohn hier und da ein paar Tipps gibt. Oft muss er das aber nicht machen. Thomas reitet einfach göttlich, das erkenne sogar ich, die bis vor Kurzem noch gar keine Ahnung von Pferden hatte.

"Er ist richtig gut!", sage ich beeindruckt zu Alice.
"Als ob du Stadtprinzessin überhaupt irgendeine Ahnung vom Springreiten hättest!", ruft Viktoria spöttisch. Anscheinend hat sie mich gehört.
"Gut ist gar kein Ausdruck. Er reitet einfach perfekt!", schleimt sie so laut, damit Thomas sie ja hört. Er macht aber das Gleiche wie Alice und überhört Vikis Kommentar einfach. "Lass diese Ziege reden. Sie ist einfach eine dumme Schnepfe!", meint meine Freundin.
"Okay, das hätte ich sowieso getan." Haha, der war gut Elisa, hust hust. "Findet eigentlich jedes Wochenende ein Turnier statt?", möchte ich interessiert wissen.
"Fast. Oft ist Thomas schon am Freitag nicht mehr in der Schule.", erklärt Alice.
"Und die Lehrer lassen das einfach so zu? Ich meine, da kommen bis zum Ende des Schuljahres ja jede Menge Fehlstunden zusammen.", bemerke ich.
"Er ist gut in der Schule. Vielleicht machen die guten Noten das alles wieder wett. Und sonst muss er halt eine Nachprüfung machen.", überlegt Alice.

Ich sage nichts mehr. Gerade springen Thomas und Con Amore über ein Hindernis und landen sicher auf der anderen Seite. Der kastanienbraune Wallach schnaubt, als wäre er über den gelungenen Sprung zufrieden. Aber sein Reiter sieht nicht so aus. Thomas' Gesichtsausdruck ist der gleiche wie gestern Abend. Er scheint über irgendetwas nicht besonders erfreut zu sein. Schließlich beendet er das Training und reitet, ohne sein Publikum zu beachten, vom Platz. Viki rennt ihm sofort hinterher. Sie erinnert mich an ein bissiges Schoßhündchen, das seinem Herrchen die ganze Zeit hinterherläuft. An einen launischen Wadenbeißer. Oder an eine eingebildete, hinterhältige Giftschlange. So was in der Art.

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