Kapitel 2

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Ich werde mitten in der Nacht wach und setze mich in meinem Bett auf. Mein Kopfkissen ist nass, als hätte ich im Schlaf geweint. In meinem Bett hätten locker zwei Personen Platz, aber ich beanspruche die ganze Matratze für mich, abgesehen vom unteren Teil, der meinem Kater Puma gehört. Er liegt aber nicht wie sonst zusammengerollt auf der Decke, sondern sitzt auf der fünfzig Zentimeter breiten Fensterbank auf der anderen Zimmerseite und schaut in die Nacht hinaus. In seinen bernsteinfarbenen Augen spiegelt sich der Mond. Ich schlage die Decke zurück und stehe auf. "Puma", rufe ich leise. Der schwarze Kater mit dem weißen Brustfleck dreht sich um und maunzt. "Alles okay bei dir?", frage ich, obwohl ich natürlich weiß, dass er mir nicht antworten kann. Ich setze mich zu ihm auf die breite Fläche und hebe ihn auf meinen Schoß, wo er sich genüsslich zusammenrollt und bald einschläft. Ich kenne ihn schon, seit er ein kleines Katerchen war. Es ist mittlerweile drei Jahre her, seitdem ich ihn verlassen neben einer Straßenlaterne gefunden habe. Er war in einem schlechten Zustand, komplett abgemagert und mit einem stumpfen Fell. Meine Mum war nicht so begeistert, als ich Puma mit nach Hause gebracht habe, doch als ich ihr versprochen habe, alles, was er braucht, von meinem Taschengeld zu kaufen und mich gut um ihn zu kümmern, hat sie schließlich zugestimmt.

Wieso hat er nicht wie immer geschlafen? Was hat ihn dazu bewegt, sich auf die Fensterbank zu setzen? Er schläft meistens die dreiviertelte Zeit und es ist untypisch für ihn, dass er nachts wach ist. Ich blicke in die Nacht hinaus, kann aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Villa, die ich mit meinen Eltern und meiner jüngeren Schwester bewohne, steht verlassen auf der Lichtung. Der kleine Brunnen vor der Haustür plätschert sanft vor sich hin und auch das Wasser im überdachten Pool ist ruhig. Es gibt nichts, was Puma aufgeweckt haben könnte. Vielleicht habe ich zu laut geschnarcht, was ich aber eigentlich nicht tue. Ich streichle meinen Kater und er streckt sich und gähnt. Dann springt er von meinen Beinen und verzieht sich auf seinen Teil des Bettes. Langsam erhebe ich mich und gehe zur Zimmertür. Leise öffne ich sie und schleiche auf Zehenspitzen die Treppe hinunter in die Küche, um mir ein Glas Wasser zu holen. Als ich wieder in meinem Zimmer ankomme, schläft Puma schon wieder tief und fest. Ich nehme einen Schluck Wasser, stelle das Glas dann auf mein Nachtkästchen neben dem Bett und kuschle mich wieder hinein. Erinnerungen an gestern kommen wieder hoch. Jannik ist noch eine Weile sitzen geblieben, dann sind wir beide nach Hause gegangen. Plötzlich fällt mir ein, was ich vergessen habe: Ich habe ihn nicht nach seiner Handynummer gefragt. Mann, bin ich blöd! Jetzt stehen die Chancen schlecht, ihn noch einmal wiederzusehen. Warte, will ich das überhaupt? Er war schon echt nett und sympathisch. Als ich versuche einzuschlafen, kreisen alle meine Gedanken nur um eine Person.

Um sechs Uhr morgens wache ich auf. Es sind zwar Sommerferien, aber ich bekomme einfach kein Auge mehr zu, wenn mich die Sonne an der Nasenspitze kitzelt. Ausgeschlafen hüpfe ich aus dem Bett, gehe zum Kleiderschrank und ziehe einen Bikini an. Anschließend mache ich mich auf den Weg ins Bad, schnappe mir ein Handtuch und schleiche leise die Treppe hinunter, bis zur Haustür. Nachdem ich aufgesperrt habe, setze ich einen bloßen Fuß nach draußen. Die Steintreppe ist eiskalt und ich beeile mich, nach unten zu kommen. Ich laufe durch das taufeuchte Gras zum Pool und lege mein Handtuch zur Seite. Mit einem Kopfsprung in das eiskalte Wasser, erwecke ich alle meine Lebensgeister. Als ich auftauche, sitzt meine kleine Schwester am Poolrand und lässt die Füße im Wasser baumeln. "Guten Morgen, Schwesterchen!", begrüße ich sie, "Warum bist du denn schon wach?" Sie ist dreizehn und somit zwei Jahre jünger als ich. "Topsi ist die ganze Nacht in ihrem Hamsterrad gerannt. Ich war die halbe Zeit wach und habe dich gehört, als du die Treppe runter bist.", erklärt Mia. "Komm doch auch herein, in der Gartenhütte ist irgendwo ein Bikini.", fordere ich sie auf. "Ist das Wasser nicht kalt?" Blöde Frage, zumal ihre Beine schon lange drinnen baumeln. "Ja klar ist es kalt, aber du wirst schon nicht erfrieren, also komm!", rufe ich. Mia rennt los zur Gartenhütte und als sie zwei Minuten später im Bikini wieder zurückkommt, nimmt sie Anlauf und landet mit einer riesigen Arschbombe im Wasser. Ein paar Sekunden später taucht sie keuchend auf. "Boah, das Wasser ist ja eisig!" "Und Mum und Dad sind jetzt bestimmt auch wach. Nach dem Platscher klettern sogar die Toten wieder voller Leben aus ihren Gräbern!", füge ich hinzu. "Hey, du bist so gemein!", ruft Mia und bespritzt mich mir Wasser. Ich tauche unter, ziehe ihr die Füße weg und mit einem Blubb ist auch sie unter Wasser. Die Rache lässt nicht lange auf sich warten und nach ein paar Minuten sind wir beide komplett außer Puste. "Wir sollten dann mal wieder rein gehen, sonst suchen uns Mum und Dad noch.", stelle ich atemlos fest. Mia stimmt mir zu und wir steigen aus dem Wasser. Ihm Vorbeilaufen schnappe ich mir schnell mein Handtuch. Im Haus angekommen, hechte ich schnell die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Ich schlüpfe in eine kurze Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Puma beäugt mich kritisch. "Was guckst du so?", frage ich. "Gefällt's dir nicht?" Er kommt rüber, schleicht um meine Beine und schnurrt. Das ist dann wohl ein Doch. Mit dieser Zustimmung verschwinde ich im Bad, wo ich meine hüftlangen, klatschnassen Haare zu einem Zopf flechte. Ich beeile mich, in die Küche zu kommen. Dad hasst es, wenn man zu spät zum Frühstück erscheint. Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Halb acht. Glück gehabt. Wenn man Dads strengem Blick entgehen will, bequemt man sich lieber vor acht an den Frühstückstisch.

In der Küche duftet es herrlich nach Toast und Kaffee. Dad, Mum und Mia sitzen bereits am runden Holztisch und reden über irgendeinen Patienten von meiner Mutter. Unter dem Tisch liegt unser Dalmatiner Max. "Guten Morgen!", sage ich, hole mir eine Tasse Kaffee und setze mich zu meiner Familie. "Guten Morgen, Schatz!" Meine Mutter wirft mir einen liebevollen Blick zu. "Warst du schon schwimmen?", fragt sie dann und deutet mit dem Kinn auf meine nassen Haare. "Ja, Mia auch." Meine Schwester hat sich die kurzen blonden Haare geföhnt, die sie von meiner Mutter geerbt hat und um die ich sie immer beneidet habe. "Habt ihr keinen lauten Platscher gehört? Mia muss den ganzen Friedhof wachgerüttelt haben.", füge ich hinzu, was mir einen giftigen Blick meiner Schwester einbringt. "Nein, ich hab nichts gehört. Du, Matthias?", will Mum von Dad wissen, der daraufhin seinen Blick von der Zeitung hebt, in die er gerade vertieft war. "Nein, ich auch nicht.", antwortet er. Mia stößt einen Triumphschrei aus und richtet ihren Blick schon wieder auf mich, in dem es diesmal herausfordernd funkelt. Ich lasse sie einfach in Ruhe und schiebe Max unter dem Tisch ein Stück Wurst zu, in der Hoffnung, dass Dad es nicht bemerkt. Er hasst es, wenn der Hund am Tisch gefüttert wird, was mich nicht daran hindert, gelegentlich über dieses Verbot hinwegzusehen.

Als ich meinen Kaffee ausgetrunken habe, fällt mir etwas ein. "Dad, darf ich kurz die Telefonliste deiner Kunden durchsehen?" Dad ist Tierarzt, genau wie Mum. "Wenn du sie nicht verlierst.", erwidert er, erhebt sich und kramt in seiner Arzttasche. Dann überreicht er mir die Liste, ich bedanke mich und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Mit einem Grinsen im Gesicht schmeiße ich mich aufs Bett und reiße Puma damit unsanft aus seinem Träumeland, der sich auf der Decke zusammengerollt und geschlafen hat.

"Tut mir leid, aber ich muss was Dringendes erledigen!", entschuldige ich mich. Dads Telefonliste ist nach Alphabet geordnet und ich schlage die Namen mit dem Anfangsbuchstaben M auf. Natürlich muss es nicht sein, dass Jannik ein Haustier hat und es bei meinem Vater in Behandlung ist, aber die Möglichkeit besteht durchaus. Maier, Malter, Malzl... Maurer. Ich stoße einen Triumphschrei aus, der Puma schon wieder zusammenfahren lässt. Ich muss mich beruhigen. Leider ist nicht nur eine Person mit dem Nachnamen eingetragen, sondern gleich drei. Bei Alfred Maurer fange ich an. Vielleicht ist er ja Jannik Vater, oder Onkel, oder Großvater...

Nach dem dritten Klingeln ertönt eine Frauenstimme. "Marlene Maurer hier. Wer sind Sie?" "Hallo, ich bin Elisa Winkler, könnte ich bitte Herrn Alfred Maurer sprechen?", frage ich. "Ja, einen Moment bitte.", sagt Marlene. "Papa?", höre ich gedämpft. "Telefon für dich!". Polternde Schritte sind zu hören und Herr Maurer meldet sich. "Ich bin Elisa Winkler und möchte Sie etwas fragen.", beginne ich vorsichtig. Mein Herz klopft aufgeregt. "Bist du mit dem Tierarzt Winkler verwandt? Habe ich noch eine Rechnung offen?", will Herr Maurer wissen. "Ja, ich bin die Tochter von Matthias Winkler. Nein nein, keine Sorge, so weit ich weiß, haben Sie immer alles bezahlt. Was ich Sie fragen wollte: Kennen Sie zufällig einen Jannik Maurer? Er dürfte ungefähr achtzehn Jahre alt sein.", erkläre ich. "Nein, den kenne ich nicht. Tut mir leid.", versucht Alfred sich zu entschuldigen. "Macht nichts, trotzdem danke. Auf Wiederhören!", verabschiede ich mich und lege auf.

Ich seufze. Wäre ja auch zu schön gewesen. Aber es sind ja noch zwei übrig. Bei der nächsten Nummer hebt niemand ab und ich bekomme fast einen Anfall. Was wenn das Jannik ist? Dann habe ich ein Problem, außer er ruft zurück.

Als nächstes wähle ich die Nummer von Elisabeth Maurer. Eine freundliche Frauenstimme meldet sich. "Elisabeth Maurer hier. Was kann ich für Sie tun?" "Hallo, hier spricht Elisa Winkler. Ich hätte eine Frage an Sie.", beginne ich. Mein Herz hüpft mir fast aus der Brust, jetzt wird es ernst. "Nur zu.", fordert mich Frau Maurer auf. "Kennen Sie einen Jannik Maurer?", frage ich. "Ja, er ist mein Sohn. Wieso?" Yesss! "Ähm... Wir haben vor Kurzem ein paar Wörter miteinander  gewechselt und ich würde ihn gerne sprechen. Ginge das vielleicht?", will ich zögernd wissen. "Tut mir leid, im Moment ist Jannik nicht zu Hause , aber sobald er heimkommt, sage ich ihm, er soll dich anrufen!", verspricht Elisabeth. Ich bedanke mich. "Äh... könnten Sie mir vielleicht seine Telefonnummer geben?", füge ich hinzu und spüre, wie mir die Röte ins Gesicht steigt. Zum Glück kann Janniks Mutter mich nicht sehen. "Klar!" Sie nennt mir seine Handynummer und ich bin überrascht, dass sie mir die einfach so gibt. "Okay danke! Auf Wiederhören!", sage ich und lege auf.

Ich kann es kaum fassen! Bald wird er mich anrufen und ich kann ihm jederzeit schreiben. Schön langsam fange ich an, an mir selbst zu zweifeln. War ich nicht vor ein paar Stunden noch total überzeugt davon, dass Jannik mir nichts bedeutet? Also warum freue ich mich gerade so auf seinen Anruf? Ich kenne ihn ja kaum. Und das wiederhole ich immer wieder in meinem Kopf, als ich Dad seine Telefonliste wieder runterbringe.

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