Hemmungslos begann Dimitri zu weinen.
Der ganze Schmerz der letzten Wochen schien sich auf einmal zu lösen. Immer wieder schluchzte er laut auf, doch er hatte keine Kraft mehr, das Weinen zu unterdrücken.
Noch immer strich Andros ihm sanft über den Rücken.
„Es wird alles gut, Kleiner. Raphael wird sich gleich auf den Weg machen und deine Eltern suchen."
Kaum, dass der König diese Worte ausgesprochen hatte, versteifte sich Dimitri, riss sich los und wich einige Schritte zurück.
Missbilligend verfolgte Andros ihn mit seinem Blick, doch als er die erneute Panik in den Augen des Kindes sah, entspannte er sich.
„Nein..." wimmerte Dimitri leise. „Ich...Ich will nicht zurück zu meinem Vater."
Auf einmal ging ein Ruck durch den kleinen Körper. Mit dem Ärmel wischte Dimitri sich die Tränen aus dem Gesicht, überwand die kurze Distanz und sank vor Andros auf die Knie.
„Bitte, Hoheit. Schickt mich nicht zu meinem Vater." bat er den König dann.
Dimitri zögerte kurz. Ja, er hatte Angst und er fürchtete die fremden Leute und doch fühlte er sich hier sicherer und geborgener als bei seinem Vater.
„Kann ich nicht hier bleiben?" fragte er leise. „Ich mache auch Alles, was Ihr wollt." fügte er noch leiser hinzu.
Nachdenklich blickte Andros auf den kleinen Jungen, nicht sicher, ob diesem überhaupt bewusst war, was er gerade angeboten hatte.
„Ich werde darüber nachdenken." erwiderte er schlicht. „Bis dahin wird Raphael sich um dich kümmern und du wirst tun, was er sagt."
Unsicher huschte Dimitris Blick zu der Wache, dann nickte er jedoch eifrig.
Andros legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter. „Komm. Aaron. Dimitri braucht jetzt erstmal Ruhe."
Beim Verlassen des Zimmers nickte er Raphael zu und dieser neigte bestätigend den Kopf.Die Türe hatte sich längst geschlossen und noch immer kniete Dimitri mit gesenktem Kopf am Boden. Er würde alles tun, um nicht wieder zu seinem Vater zu müssen.
Auf einmal berührte ihn eine Hand sanft an der Schulter. „Steh auf, Junge." wandte sich Raphael freundlich an ihn.
Hoffnungsvoll hob Dimitri den Blick und sah Raphael an, bevor er dessen Aufforderung nachkam.
Raphael nickte ihm freundlich zu und öffnete einladend seine Arme.
Und obwohl Dimitri den Mann nicht kannte, sagte ihm eine innere Stimme, dass er ihm vertrauen konnte.
Als Raphael dann auch noch in die Knie ging, schmiegte er sich vertrauensvoll an den fremden Mann, der ihn so viel liebevoller als sein eigener Vater behandelte.
Erneut entwich Dimitri ein Schluchzen, doch Raphael zog ihn nur noch dichter an sich heran.
„Dir wird nichts schlimmes mehr widerfahren. Dafür wird König Andros sorgen." versprach er.
„Also muss ich nicht zurück zu meinem Vater?"
Dimitris Blick lag hoffnungsvoll auf Raphael.
Raphael seufzte leicht. „Das kann ich dir nicht versprechen. Aber jetzt brauche ich erst einmal deine Hilfe. Willst du mir helfen?"
Eifrig begann Dimitri zu nicken, schaffte es sogar, sacht zu lächeln.
Raphael stand mit ihm auf, setzte sich auf das Sofa und nahm das Kind, das viel zu leicht für sein Alter war, auf den Schoß.
„Damit der König dir helfen kann, musst du uns erzählen, was passiert ist und von wo du kommst. Machst du das?" Noch immer war Raphaels Stimme sanft, während er Dimitri freundlich anblickte.
Dieses Mal fiel Dimitris Nicken zögerlicher aus, doch dann begann er stockend zu erzählen. Er erzählte von seiner Mutter, von ihrem Tod, von seinem Vater und dessen Strafen und zu guter Letzt auch noch von dem „Ausflug" in den Wald.
Raphaels Blick war immer ernster geworden.
„Was dein Vater getan hat, war nicht richtig." versuchte er Dimitri zu erklären.
„Und vermutlich wird König Andros ihn dafür bestrafen." sprach er weiter. „Dafür musst du mir aber sagen, wo dein Haus ist."
Dimitri nickte langsam. Auch wenn er noch jung war, verstand er sehr wohl, was Raphael meinte. Zögerlich beschrieb er schließlich, wo sein zu Hause lag.Raphaels Blick ruhte nachdenklich auf Dimitri.
Nach Dimitris Erzählung bezweifelte er, dass der Vater sein Kind suchen würde. Es bestand also keine Eile.
„Hast du Hunger, Dimitri?" wandte er sich an das Kind. Sofort nickte Dimitri und wie zur Bestätigung begann sein Magen zu Knurren.
Raphael lachte leise. „Dann gehen wir jetzt erst einmal in die Küche und schauen, ob wir etwas für dich finden." meinte er dann schmunzelnd.
Mit dem Kind auf dem Arm betrat er schließlich die Küche und setzte Dimitri auf die Arbeitsfläche, bevor er einen der dort arbeitenden Sklaven aufforderte, dem Kind etwas zu Essen zu richten.
Gierig begann Dimitri zu essen und musste von Raphael nicht nur einmal ermahnt werden, langsam zu machen.
Nach dem Essen trug er Dimitri, dem die Augen sichtlich schwer geworden waren, zurück in seine Wohnung. Eine Sklavin hatte bereits die leerstehende Kammer gerichtet und so legte Raphael Dimitri direkt in das weiche Bett und deckte ihn zu.
„Schlaf jetzt, Dimitri." forderte er das Kind auf und blieb an seiner Seite, bis er eingeschlafen war. Erst dann machte er sich auf den Weg zu seinem König.Eine Woche war seitdem vergangen und jeden Tag hatte Prinz Aaron sich in Raphaels Wohnung geschlichen um mit Dimitri zu spielen. Sowohl Raphael, als auch König Andros ließen den Jungen in dem Glauben, dass sie nichts davon bemerkten.
Dimitri war zwar nach wie vor ängstlich und unsicher, doch in Aaron's Anwesenheit taute er regelrecht auf. Und auch Aaron selbst tat der Kontakt zu einem anderen Kind gut.Es war noch früh am Morgen, als Raphael Dimitri zu sich winkte.
„König Andros möchte mit dir sprechen." erklärte er. „Wenn wir vor ihm stehen, kniest du dich hin und senkst den Kopf. Ganz so, wie du es an deinem ersten Tag getan hast. Verstanden?" fuhr er etwas strenger fort, lächelte aber, als Dimitri eifrig nickte.
Mit Dimitri an der Hand ging Raphael in die Bibliothek, wo Andros bereits in einem Sessel wartete.
Kaum, dass sie die Bibliothek betreten hatten, schob Raphael das Kind sanft vor sich und stupste ihn leicht an.
Etwas zögerlich trat Dimitri vor den König und kniete sich mit gesenktem Kopf hin.
Zufrieden beobachtete Andros den Knaben und in diesem Augenblick schwanden die letzten Zweifel, ob seine Entscheidung richtig war.
„Sieh mich an, Dimitri." forderte er den Jungen auf und Dimitri hob vertrauensvoll den Kopf.
„Ich habe meine Entscheidung getroffen, wie es mit dir weitergeht." erklärte er dann ruhig.
„Ich weiß, dass mein Sohn sich in der letzten Woche mit dir angefreundet hat." setzte er an und schmunzelte, als Dimitri verlegen wurde.
„Du musst nicht mehr zurück zu deinem Vater, der übrigens zur Strafe, was er mit dir gemacht hat, im Gefängnis sitzt. Du darfst also hier bleiben. Du darfst hier bleiben als Aaron's Spielkamerad und als sein Sklave."
Dimitris Blick wurde etwas unsicher, wusste er doch sehr wohl, was ein Sklave war.
Andros lächelte beruhigend. „Er wird dir ein guter Herr sein. Dafür werde ich sorgen. Und wenn du weiterhin so gehorsam bist, wie diese Woche, wirst du es hier gut haben."
Dimitri lächelte zaghaft. „Ich danke Euch,...Herr."
Andros nickte ihm zufrieden zu.
In diesem Augenblick öffnete sich die Türe und Aaron stürmte herein. Als Andros ihm lächelnd zunickte, zog Aaron Dimitri strahlend auf die Füße. „Komm mit in den Garten, Dimitri."
Kurz wanderte sein Blick zu seinem Vater. „Wir dürfen doch, Vater?"
Andros neigte schmunzelnd den Kopf und die beiden Kinder liefen Hand in Hand aus dem Raum.
Raphael blickte fragend zu seinem König und als dieser ihm zunickte, folgte er den beiden Kindern.
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Dimitri
VampireEin kleiner Spin-off zu meiner Finya Geschichte. Einsam und allein stapft Dimitri als Kind durch den kalten Winterwald. Schon drohen die Kräfte ihn zu verlassen. Eine glückliche Fügung wird sein Leben für immer ändern und mit der Zeit wird er zu...