Gemeinsam saßen sie schließlich am Tisch. Während Aaron und Andros einen Becher Wein vor sich stehen hatten, hatte Dimitri einen weiteren Becher Blut vor sich.
"...also habt Ihr deswegen von 'meiner' Wohnung gesprochen, Hoheit?" ergriff Dimitri das Wort.
Immer häufiger gelang es ihm bereits jetzt, die passende Lautstärke zu nutzen.
Andros nickte schmunzelnd.
"...du hattest übrigens Recht, ich habe dir in Bezug auf den Angreifer etwas verheimlicht..." ergriff er dann das Wort und atmete tief durch.
Dimitri legte fragend den Kopf schief. "Es war dein Vater, der den Pfeil abgeschossen hat." erklärte Andros dann ruhig.
Dimitris Blick wurde kalt. "Ich habe keinen Vater. Mein sogenannter 'Vater' wollte mich nicht. Er hat mich als wehrloses Kind in den Wald gebracht, um mich dort den Kältetod sterben zu lassen. Er hat nicht das Recht, sich so zu nennen." Dimitris Stimme war eisig. "Der einzige, der sich so nennen darf ist Raphael, der mir die ganzen Jahre wie ein liebevoller Vater war." fügte er etwas milder hinzu.
Andros nickte nur. "Ich dachte mir schon, dass du so denkst." erwiderte er. "Der Mann sitzt hier im Kerker. Ich wollte warten, bis auch du deine Meinung äußern kannst, bevor ich ihn verurteile."
Dimitris Augen blitzten rot auf. Wortlos füllte Aaron den Kelch seines Freundes auf. "Macht mit ihm, was Ihr wollt, Hoheit. Ich verspüre keinerlei Sympathien für den Mann."
Dimitri nickte Aaron dankend zu, schaffte es aber, sich zu beruhigen, ohne erneut Blut zu trinken.Einige Tage später verließ Dimitri das erste Mal in Begleitung von Aaron und Raphael seine Wohnung. Inzwischen kam er mit der neuen Intensität seiner Sinne immer besser zurecht. Auch das Sonnenlicht machte ihm kaum noch Probleme - zumindest solange es nicht zu intensiv war.
Gemeinsam betraten sie das Büro des Königs. Dimitri beugte sein Knie und neigte respektvoll den Kopf.
"Steh auf, Dimitri." forderte der König und wies auf den Stuhl ihm gegenüber.
"Fast dein ganzes Leben hast du hier auf dieser Burg verbracht, Dimitri." ergriff er schließlich das Wort.
"Du warst mir und meinem Sohn stets treu ergeben. Du warst Aaron stets ein guter Freund und Ratgeber. Du hast nicht nur einmal deine Loyalität uns gegenüber bewiesen." fuhr der König fort und stand auf.
Langsam ging er um den Schreibtisch herum und blieb vor Dimitri stehen.
"Ich würde mich daher freuen, wenn du weiterhin bei uns auf der Burg bleibst, um mir und meinem Sohn als freier Mann zu dienen. Dir fehlt es zwar noch an Übung, aber ich möchte dir dennoch einen Platz unter den Königswachen anbieten. Du hast innerhalb kürzester Zeit gelernt, dich zu kontrollieren, ich bin mir also sicher, dass du mehr als nur geeignet bist."
Nur kurz senkte Dimitri den Blick und sah auf sein Handgelenk, an dem er nach wie vor das lederne Armband trug, das Aaron ihm vor so vielen Jahren geschenkt hatte.
Dann sah er seinen König jedoch bereits wieder offen an und sank erneut auf sein Knie. "Ich danke Euch und nehme Euer Angebot an, Hoheit. Ich werde stets Euer loyaler Diener bleiben - egal ob als Sklave oder als freier Mann in Eurer Wache."
Andros trat noch einen weiteren Schritt auf Dimitri zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. Nur kurz spannte Dimitri sich an, hatte sich dann aber bereits wieder unter Kontrolle. "Steh auf, mein Junge." forderte der König Dimitri lächelnd auf. "Dein Training beginnt morgen."
Kurz ruhte sein Blick schweigend auf seiner neuen Wache. "Vorerst wirst du noch Einzeltraining erhalten. Sobald du deine Kräfte sicher kontrollieren kannst, darfst du am allgemeinen Training teilnehmen."Die Wochen vergingen und Dimitri fand sich von Tag zu Tag besser in seinem neuen Leben zurecht.
Inzwischen kostete es ihn kaum noch Konzentration, sich zu kontrollieren.
Geduldig hatte Raphael jeden Tag mit ihm geübt, auch seine Kräfte kontrolliert einzusetzen, hatte ihm aber auch die Möglichkeit gegeben, seine Fähigkeiten bis an ihre Grenzen auszutesten.
Von Tag zu Tag schienen sich Dimitris Fähigkeiten zu verstärken und zu stabilisieren, so dass Andros schließlich sein Einverständnis gab, dass die Aaron und Dimitri erneut alleine Ausritte machen durften.
Doch eines hatte sich mit Dimitris Wandlung nicht geändert.
Auch wenn Andros Dimitri ursprünglich allein für die Wache vorgesehen hatte, hatte er schnell erkannt, dass sein früherer Sklave für mehr geeignet war.
"Wie macht sich Dimitri im Training?" fragte er eines Abends Raphael, als sie, wie so oft, zusammen saßen.
"Sehr gut. Es zahlt sich aus, dass Ihr ihn bereits als Kind das Kämpfen habt lernen lassen." erwiderte Raphael schmunzelnd.
"Er war bereits als Mensch ein guter Kämpfer. Jetzt als Vampir sind seine kämpferischen Fähigkeiten noch gestiegen. Aber das ist noch nicht alles..."
Fragend blickte Andros zu seinem Gegenüber.
"Du weißt, dass ich mit den Wachen regelmäßig Manöver veranstalte." erklärte Raphael und Andros nickte leicht.
"Wer die Einheiten dabei anführt, wechselt regelmäßig. Dies hilft, die Flexibilität der Wachen zu erhalten und sie zu motivieren. Die letzten Male war Dimitri an der Reihe." fuhr Raphael fort.
"Dimitri hat definitiv Führungsqualitäten. Bei vielen Anderen gibt es gerade bei den älteren Wachen Widersprüche oder Diskussionen, wenn sie eine Strategie vorschlagen. Aber nicht bei Dimitri. Sein Wort scheint selbst bei den ältesten Wachen Gesetz zu sein. Allerdings schlägt er auch stets gute und erfolgreiche Strategien vor..."
Nachdenklich ließ Andros seinen Wein im Kelch kreisen. "Ein Kunun also?"
Raphael nickte langsam. "Ja. Ich glaube, Dimitri ist ein Kunun."
Andros nickte. "Schick mir Aaron und Dimitri morgen Vormittag in mein Büro."Am nächsten Tag betraten Aaron und Dimitri gemeinsam Andros Büro.
Wie immer beugte Dimitri respektvoll das Knie vor seinem König, bevor er sich, auf ein Zeichen hin, erhob.
"Aaron, Dimitri, ich muss etwas mit Euch besprechen." erklärte Andros und wies auf die Plätze ihm gegenüber.
"Dimitri.", begann er. "Raphael hat mir gesagt, dass du gute Dienste als Wache leistest. Er hat mir aber auch gesagt, dass du zu mehr bestimmt bist, als nur eine einfache Wache zu sein." erklärte er.
"Aaron.", wandte er sich dann an seinen Sohn. "Dimitri war dir von Kindheitstagen an ein treuer Freund, Ratgeber und Diener. Seine Loyalität ging sogar soweit, dass er sein Leben geopfert hat, um deines zu retten." fuhr er fort.
"Es ist längst überfällig, dass du einen persönlichen Leibwächter ernennst und ich würde dir empfehlen, Dimitri zu erwählen." fuhr er lächelnd fort.
Mit einem freudigen Blitzen in den Augen sah Aaron zu seinem Freund. "Meine Entscheidung ist längst gefallen, Vater." erwiderte Aaron nur.
"Dimitri? Bist du auch einverstanden?" Dimitri lächelte. "Ja, Hoheit. Es ist mir eine Ehre."
Zufrieden nickte Andros.
"Dann wirst du nach der Feier zu Kyndanir Aaron offiziell deine Treue schwören."
Gemeinsam verließen Aaron und Dimitri das Büro des Königs.
Für sie brauchte es keinen offiziellen Schwur.
Für sie war Dimitri schon immer Aarons Vertrauter und loyalster Diener gewesen und so würde es auch immer bleiben.
Und dennoch. Zurück in Aarons Wohnung würden sie sich gegenseitig die Treue schwören.
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Dimitri
VampireEin kleiner Spin-off zu meiner Finya Geschichte. Einsam und allein stapft Dimitri als Kind durch den kalten Winterwald. Schon drohen die Kräfte ihn zu verlassen. Eine glückliche Fügung wird sein Leben für immer ändern und mit der Zeit wird er zu...