„ you should take it as a compliment that i'm talking to everyone here but you "
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GELSENKIRCHEN. 2019. Laute Musik dringt aus den Musikboxen. Wobei, eigentlich ist es schon eher ein Dröhnen als alles andere. Und garantiert Gift für's Trommelfell. Mit skeptischem Blick und einem Glas Cola in der Hand hat Amelie — die eigentlich viel lieber Lia genannt werden möchte — sich in eine etwas versteckte Ecke des Raumes verzogen und beobachtet ihre Klassenkameraden dabei, wie sie ein alkoholisches Getränk nach dem anderen in sich reinkippen und ausgelassen tanzen. Sie hatte es gleich gewusst; es war eine dumme Idee gewesen, überhaupt herzukommen. Auf der anderen Seite hatte Lena, eine Mitschülerin mit der sie eigentlich eher weniger zu tun hatte, die ganze Klasse an diesem Mittwoch zu sich nach Hause eingeladen um in ihren Geburtstag hinein zu feiern. Die Blondine hatte das Glück, dass dieser Tag genau auf die Pfingstferien fiel. Kein Problem also.
Als Lia ihrer großen Schwester am Telefon von der Party erzählt hatte, hatte die jetzt-nicht-mehr-Studentin, die gerade erst in den Süden Deutschlands, nach München gezogen war, sie schnell überredet hinzugehen. Und jetzt stand sie hier. In Mitten von Leuten, die sie entweder wenig leiden konnte oder die mittlerweile schon so angetrunken waren, dass sie auf ein Gespräch nicht wirklich mehr Lust hatte. Gelangweilt nippt die Brünette an ihrem Softgetränk.
„Na, wie geht's?" Lias Blick trifft auf die Person, auf deren Anwesenheit sie gerade wohl am meisten hätte verzichten können. Denn als sie Sarah erzählt hatte, dass die ganze Klasse eingeladen war, war auch die ganze Klasse gemeint. Inklusive Sidi, dem kleinen Bruder von Sarahs Ex-Freund, der leider Gottes auch noch ihr Nachbar war, seitdem sie denken konnte. „Was willst du?" Mit skeptischer Miene beobachtet Amelie, wie sich der mindestens einen Kopf größere Junge lässig neben sie an die Wand lehnt. Naja, er denkt wahrscheinlich, dass es lässig aussieht. Und zu ihrem Leitwesen scheint auch jeder andere Mensch auf diesem Planeten Sidi absolut cool zu finden. Sie selbst ausgenommen; ihre Eltern leider inklusive.
„Gar nichts will ich. Du standest hier nur so rum, da dachte ich, ich komme mal rüber." Sidi lächelt sogar, als er das sagt. Wahrscheinlich freut er sich insgeheim, dass Lia weitaus weniger beliebt ist, als sie selber. Aber wenn der große Bruder bei Manchester City Fußball spielt und man selbst in der U16 des Heimatvereins, dem FC Schalke 04, dann ist man automatisch beliebt. Zumindest ist das die Begründung, die Amelie für sich festgemacht hat. „Verzieh dich. Geh lieber mit deinen Freunden nen Shot trinken oder so." Demonstrativ trinkt sie einen weiteren Schluck Cola aus dem Glas, das sie sich vorhin eigenständig aus der Küche stibitzt hat.
„Ich trinke keinen Alkohol. Das weißt du auch." Tatsächlich wusste Lia das ganz und gar nicht. Gut, wenn sie so darüber nachdenkt hat sie Sidi noch nie beim Trinken gesehen, aber wenn die beiden sich außerhalb der Schule über den Weg gelaufen sind, dann war das meistens auf irgendwelchen Familienfeiern oder Geburtstagen; also immer wenn ihre Eltern, und auch seine, dabei waren. Bisher hatte die Brünette immer angenommen, dass ihr Mitschüler aus genau diesem Grund immer bei Wasser und anderen alkoholfreien Getränken geblieben war. Wie sie selbst und quasi konträr der sonstigen Gewohnheiten ihrer gleichaltrigen Bekannten.
„Hey, Lia—" „Ich heiße Amelie, immer noch." „Hey, Amelie. Sollen wir von hier abhauen?" Erwartungsvoll schauen Sidis braune Augen sie an. Sie sehen denen seines großen Bruders so verdammt ähnlich, dass Lia schon wieder an Sarah denken muss. Und vor allem auch daran, dass ihre Eltern und die der Sané-Brüder heute Abend etwas Essen gehen und die beiden Jugendlichen dann gemeinsam bei Lena zu Hause abholen wollten. Und so schnell würde das nicht passieren; sie war erst sein einer geschlagenen Stunde hier.
„Ich soll mit dir abhauen? Wovon träumst du nachts." Die Augen verdrehend wendet sich Amelie von ihrem, ihrerseits unfreiwilligen, Gesprächspartner ab. Wo war Klara nochmal? Die hatte sie noch vor zwanzig Minuten in der Küche gesehen, scheinbar noch verhältnismäßig nüchtern. Und damit eine deutlich angenehmere Gesellschaft als all ihre sonst noch anwesenden Klassenkameraden. „Nur von dir." Mit einem leichten Stups mit seiner Schulter gegen ihre zieht Sidi den Blick seiner Nachbarin wieder auf sich, um dann mit dem Kopf in Richtung Tür zu nicken. „Komm schon, ich sehe es dir doch an, dass du dich alles andere als wohl fühlst."
„Und was genau lässt dich glauben, dass ich das mit dir auf der Straße, Nachts mutterseelenallein eher tun würde?" Mittlerweile ist Lias Colaglas leer, der Inhalt ausgetrunken. „Klare Win-Win-Situation: Du kommst sicher nach Hause und von den ganzen Spinnern hier weg und ich bin auch früher im Bett. Ich hab morgen Training." Amelie gibt sich alle Mühe, nicht theatralisch die Augen zu verdrehen. „Und außerdem können sich unsere Eltern dann den Weg bis hierher sparen. Also?" Abwartend schaut der Junge mit dem wilden Lockenkopf sie an. Und leider muss sie zugeben, dass er Recht hat. Zähneknirschend nickt die Brünette und stellt ihr Getränkeglas auf der nächstbesten freien Oberfläche ab.
„Nur damit wir uns richtig verstehen: Ich kann dich immer noch nicht ausstehen." Kopfschüttelnd bahnt sich Sidi seinen Weg durch die Tanzenden Jungendlichen, bis er mit Lia im Schlepptau den Hausflur erreicht. Die beiden ziehen ihre Jacken an, die junge Frau wirft noch einen letzten Blick zurück in Richtung Wohnzimmer, aus dem weiterhin laute Musik dröhnt, und schlüpft dann durch die Haustür, die ihr von ihrer Begleitung aufgehalten wird, nach draußen. Schweigend gehen die beiden ein paar Meter nebeneinander her, bis Sidi die Stille durchbricht.
„Du hast es mir nie erklärt." Amelie bleibt verwirrt stehen. „Was jetzt genau?" „Na, warum wir nicht mehr befreundet sind." Sie kann nicht anders als laut aufzulachen. „Das fragst du mich? Wer hat denn in der ersten Klasse auf einmal beschlossen, dass mit Jungs spielen sowieso viel cooler ist und mich links liegen gelassen?" Eiligen Schrittes geht sie weiter. Sidi folgt ihr. „Ja, das war dumm von mir. Muss ich zugeben. Aber dann bist du auch nie wieder darauf eingegangen, wenn ich mal versucht habe, mit dir zu reden. Selbst bei Sarah und Lee hast du abgeblockt als sie noch... du weißt schon."
„Sidi, hast du schonmal darüber nachgedacht, dass es ein sechsjähriges Mädchen ganz schön verletzt, wenn ihr bester Freund vom einen auf den anderen Tag nichts mehr von ihr wissen will? Ich hatte niemanden außer dir." Der Gedanke an ihre Grundschulzeit versetzt Amelie einen schmerzhaften Stich in die Brust. „Lia, es tut mir wirklich leid. Ich habe nicht drüber nachgedacht, was ich da tue. Das war vor zehn Jahren, auch wenn das keine Entschuldigung ist." Die Brünette schnaubt.
„Du kannst eben nichts dafür, dass du im Herzen genau wie dein Bruder bist. Bei der erstbesten Gelegenheit ersetzt ihr uns eben einfach." Bevor Sidi antworten kann, stapft sie weiter den gepflasterten Gehweg entlang und dreht sich auch nicht mehr um.