Kapitel 6

534 16 0
                                    

----------------------------------------GRACE SICHT----------------------------------------
Meine Nacht verlief ohne Alpträume, als mein Wecker am nächsten Morgen klingelt. Ich stehe auf und laufe zu meinem Kleiderschrank. Heute ziehe ich ein schwarze Jeans und einen grauen Pullover an. Bei uns ist heute Winteranfang. Schnell laufe ich ins Badezimmer, um noch vor Mason rein zukommen. Doch Louis hatte scheinbar den gleichen Plan, denn als ich ankomme, höre ich ihn im Bad. Egal bei ihm kann ich auch schnell die fünf Minuten warten, bis er fertig ist. Das mache ich und schon kann ich ins Bad.
"Guten Morgen, kleine!", begrüßt mich mein Bruder und küsst mich auf den Scheitel. Ich liebe meine Brüder ja, aber das "Kleine" nervt mich immer. Ja, ich bin die jüngste und auch die kleinste, aber dennoch mag ich das irgendwie nicht. Mason und Louis wissen das genau, ziehen mich immer mal damit auf. Ich verdrehe also die Augen und gehe ins Bad. Sobald ich im Bad fertig bin, setze ich mich nach unten zu Mason und Louis an den Tisch. Ich esse wieder ein Müsli und trinke eine Tasse Tee.
Um 7:30uhr fahren wir los. Da Mason und Louis eher Schluss haben, muss ich nach der Schule mit dem Bus zurück. Sie haben mir zwar angeboten mich abzuholen, aber ich finde sie sollten sich lieber einen Job suchen. Zum einen ist das wichtiger und zum anderen bin ich in der Lage, alleine nach Hause zu kommen.
Mein Schultag ist nicht wirklich interessant. Die Lehrer langweilen mich und mit Amanda verstehe ich mich immer besser. Einige Schüler haben mich heute wieder angestarrt, aber ich ignoriere sie einfach. Es werden auch deutlich weniger, ich denke, die Schüler freuen sich einfach, sobald an der Schule mal etwas halbwegs interessantes geschieht. So als Abwechslung von den "hoch spannenden" Schulstunden.
Nach der Schule laufen Amanda und ich nach draußen. Wir verabschieden uns und als ich gerade vom Schulhof laufen will, kommen Tyler und Nate gleichzeitig zu mir und fragen mich: "Soll ich dich mitnehmen?" Dann gucken sie sich irritiert und wütend an. Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß nicht, ob ich alleine mit einem der beiden wegfahren möchte. Ich kenne die beiden schließlich kaum. Aber nur ein Blick in Tylers Augen verrät mir, dass ich ihm vertrauen kann. Sie strahlen wundervoll, sehen freundlich und geheimnisvoll aus, außerdem erinnern sie mich an Masons.
Also nicke ich Tyler zu und an Nate gewandt sage ich: "Danke! Nächstes mal vielleicht!"
"Jo, bis dann!", antwortet er lässig, aber irgendwie habe das Gefühl, dass er enttäuscht ist. Da ich mir aber nicht sicher bin und nicht weiß, warum genau er jetzt enttäuscht ist,  kümmere ich mich nicht weiter darum und laufe zusammen mit Tyler zu seinem Auto. Wieder starren mich alle an. Allerdings habe ich das Gefühl, dass die meisten Mädchen mich gerade versuchen mit ihren Blicken zu ermorden und dass sie eher wegen Tyler so starren. Er sieht eben nicht unbedingt schlecht aus und ist einer der beliebtesten Jungen an der Schule.
Schnell setze ich mich ins Auto, während Tyler mir die Tür aufhält. Er geht um das Auto herum und fährt dann los zu uns. Die Fahrt verläuft sehr schweigsam, dennoch ist es nicht unangenehm. Im Gegensatz zu unserer Begegnung in der Küche fühle ich mich dieses Mal irgendwie wohl bei ihm.
Angekommen frage ich ihn sogar: "Willst du noch mit reinkommen?" Diese Frage überrascht mich selbst, aber ich meine sie dennoch ernst.
"Klar", lächelt mich Tyler an und parkt.
Wir steigen aus und laufen zum Tor, welches ich aufschließe. Dann laufen wir weiter und ich öffne auch noch die Tür.
"Ich bin wieder da! Und Tyler ist auch hier!", rufe ich durchs Haus.
Keine Antwort. "Hallo!?", rufe ich wieder und wieder.
Dabei renne ich durchs ganze Haus. Ich merke wie dabei die Panik in mir aufsteigt. Ich versuche sie zu unterdrücken, aber mit nicht viel Erfolg. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn ich nach Hause gekommen bin und alleine war und nicht wusste wo meine Brüder waren.
Verzweifelt komme ich die Treppe wieder runter und atme etwas hektisch. Tyler steht dort und beruhigt mich: "Hey, es ist alles okay! Sie sind unterwegs, auf Jobsuche. In der Küche lag ein Zettel."
Vorsichtig berührt Tyler meine Schulter und streicht einmal drüber. Ich merke, dass er nicht weiß, wie er mit mir umgehen soll. Ich atme erleichtert aus, meine Brüder sind nur auf Jobsuche. Es ist alles in Ordnung. "Willst du etwas Essen?", frage ich Tyler und laufe schon an ihm vorbei in die Küche.
Im Vorbeigehen sehe ich, dass er nickt und hinter mir her läuft. Dort fange ich an Spaghetti Bolognese zu machen. Tyler sitzt am Tisch und lässt mich keine Sekunde aus den Augen. 
"Ich geh kurz in den Keller und hole etwas zu trinken. Irgendwelche Wünsche?", sage ich nach einiger Zeit.
"Lass mal. Ich geh schon!", meint er und macht sich schon auf den Weg. Er hat schon mehrfach angeboten mir zu helfen, aber ich habe jedes Mal abgelehnt. Jetzt lächle ich ihn einfach dankbar an und wende mich wieder den Nudeln zu.
Als er wiederkommt, ist auch das Essen fertig. Ich stelle zwei Teller auf den Tisch, lege noch Besteck dazu und hole Gläser aus dem Schrank. Tyler nimmt die Töpfe und stellt sie auf den Tisch.
Dann essen wir gemeinsam.
"Woher kommt ihr eigentlich?", fragt er auf einmal.
"Warum fragst du?", erwidere ich.
"Ich weiß fast gar nichts über dich und das würde ich gerne ändern!"
Dabei guckt er mich mit seinen wundervollen Augen an. Diese Augen haben mich schon immer bei Mason fasziniert und ich hätte nie gedacht, dass es noch jemanden mit so tollen Augen gibt.
"Aus Washington sind wir hier her nach Boston gezogen", antworte ich zögernd.
"Und was ist mit euren Eltern?"
Ich hatte geahnt, dass diese Frage kommt, trotzdem bin ich total unvorbereitet. Wie soll man diese Frage beantworten? Nach einem Blick in seine Augen fange ich an zu erzählen.
"Meinen Erzeuger kann man vergessen und meine Mum ist vor 12 Jahren gestorben."
Bei der Erinnerung steigen mir sofort wieder Tränen in die Augen. Ich lebe zwar schon deutlich länger ohne meine Mutter, als mit ihr und ich habe kaum Erinnerungen an sie, dennoch ist sie meine Mutter. Tyler streicht mir mit seinem Finger vorsichtig eine Träne weg und legt seine Hand auf meine Hand.
In dem Moment fällt die Tür ins Schloss und Louis steht in der Küche.
"Was ist hier los? Was hat er gemacht? Wieso weinst du, Grace?", fragt er, als er meine Tränen sieht, und zieht mich in eine Umarmung. Dabei funkelt er Tyler böse an.
"Ich habe nichts gemacht. Wir haben uns nur unterhalten", verteidigt sich Tyler ruhig.
"Das sieht man! Wer weint, denn bei einer normalen Unterhaltung? Raus!", schreit Louis Tyler an.
Tyler erhebt sich und wiederholt immer noch ruhig, jedoch mit Nachdruck: "Wir haben nur geredet!"
Ich merke wie Louis sich anspannt. Ich muss was sagen, wir haben ja wirklich nur geredet.
"Louis, wir haben nur geredet. Ich habe ihm erzählt, dass Mum gestorben ist! Nicht mehr und auch nicht weniger!", sage ich, reiße mich los, renne in mein Zimmer und schließe ab. Ich habe es nicht geschafft so ruhig zu bleiben, wie Tyler es geschafft hat.
Ich höre wie Louis sich bei Tyler entschuldigt und Mason nach Hause kommt. Die Jungs reden unten etwas, doch das verstehe ich nicht mehr. Dann höre ich die drei hochlaufen. Sie klopfen an.
"Grace, es tut mir Leid!" Das war Louis.

"Grace? Sprich mir uns!" Mason.

Tyler schweigt. 

"Geht weg!", rufe ich nur. Ich will die beiden gerade nicht sehen. Also eigentlich nur Louis nicht, aber Mason hängt da jetzt einfach mit drin.
"Probier du es", Louis sagt das wahrscheinlich zu Tyler.
Schritte entfernen sich und es klopft wieder: "Grace? Ist alles okay? Lässt du mich rein?"
Langsam stehe ich auf und öffne die Tür.
Tyler kommt rein und wir setzen uns auf mein Bett.

"Es tut mit leid, wie Louis sich verhalten hat. Er hat einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt mir und auch Mason gegenüber", wende ich mich an Tyler. Eigentlich finde ich es gut, dass Louis und auch Mason mich immer beschützen, aber das war wirklich zu viel.
"Alles in Ordnung, er macht sich einfach nur Sorgen um dich. Das verstehe ich. Und das mit euren Eltern tut mir wirklich Leid! Du kannst mir alles erzählen, wenn du möchtest, ich bin ein guter Zuhörer", lächelt er mich an.
"Vielleicht irgendwann. Aber jetzt erzähl mal was über dich. Ich weiß gerade mal, dass du Tyler heißt, 17 Jahre alt bist und zur Clique der Badboys gehörst!"
Und einen Hammer Körper und wundervolle Augen hast, füge ich im Kopf hinzu.
"Ich weiß über dich ja auch nicht wirklich mehr. Aber gut, ich fang an. Meine Lieblingsfarbe ist blau, Lieblingsessen Pizza, ich habe eine kleine Schwester, sie heißt Madison und ist wie du 16. Dazu mache ich gerne Sport oder treffe mich mit meinen Freunden. Mein Vater ist Arzt und meine Mutter reist durch die Welt als Model. Sonst noch Fragen?"
Ich schüttle den Kopf.
"Dann bist du jetzt dran!", fordert er mich auf. "Also wenn du willst!", schiebt er noch schnell hinterher.
"Okay! Meine Lieblingsfarbe ist lila und mein Lieblingsessen ebenfalls Pizza. In meiner Freizeit lese ich gern oder mache Sport. Und Musik höre ich fast immer. Naja und meine Brüder kennst du ja."
Dann schweigen wir einige Zeit.
"Darf ich dich doch noch etwas fragen?", frage ich Tyler nach ein paar Minuten.
"Du darfst mich alles fragen", dabei betont er besonders das "DU".
"Wie kam es dazu, dass du zu der Badboy Clique gekommen bist? Und dann noch zum Anführer? Wenn man das so sagen kann."
Er zögerte einen Moment: "Naja, also Nate und ich sind schon seit dem Kindergarten beste Freunde und er hatte ein hartes Leben, weil sein Dad abgehauen ist und dann wurde er mehr und mehr ein Badboy, wie du es nennst. Und ich habe mich irgendwie mit verändert, wobei ich nie so extrem war wie Nate, was das Trinken, das Rauchen oder auch Mädchen betrifft. Und irgendwie wurde ich dann auch der Anführer, wenn du es so nennen willst! Wie das dann genau passiert ist, weiß ich auch nicht."
"Wenn du meinst, dass er ein hartes Leben hatte, nur weil sein Dad abgehauen ist, hast du echt keine Ahnung!"
"Wie meinst du das?", fragt Tyler.
Scheiße, wieso habe ich das laut gesagt? Er guckt mich fragend an.
"Sagen wir so mein Leben war nicht gerade leicht und das meiner Brüder auch nicht. Ich meine, unsere Mum ist, als ich vier war, an Brustkrebs gestorben. Bei mir besteht ein erhöhtes Risiko, dass es vererbt wurde, deshalb muss ich oft zu Kontrollen zum Arzt. Dazu war bei unserem Erzeuger uns zu schlagen so etwas wie Alltag."
Ich weiß nicht, warum ich ihm alles erzählt habe, aber es kam einfach alles raus. Ich habe all das noch nie jemandem so offen erzählt.
Tyler sieht mich geschockt an. "Das tut mir so Leid! Ich hatte ja keine Ahnung!"
Ich sehe wie überfordert er mit der Situation ist. Dann kommt er vorsichtig näher und nimmt mich in den Arm. Erst zucke ich leicht zusammen, doch dann entspanne ich mich und lehne meinen Kopf an seine Schulter.

A New StartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt