Lautlos bewegte ich mich durch den Wald. Es war, als würden meine Füße von selbst wissen, wo sie hintreten mussten, um kein Geräusch zu verursachen. Elfynns, in allen Grünschattierungen gefiedert, glitten neben mir durch die Luft, flogen in engen Wendungen an den wellenförmigen Stämmen der Bäume vorbei und begleiteten mich auf meinem Weg. Sie waren von Natur aus neugierig, doch es hatte Zeit gebraucht, bis sie sich so nahe an mich herangewagt hatten. Irgendwo krächzten Perokins um die Wette, doch darauf achtete ich nicht. Mein Blick glitt unaufhörlich über das Unterholz, während ich so schnell lief, wie kein anderer Mensch es im Wald gekonnt hätte. Man konnte es fast als Rennen bezeichnen, und ich genoss das Gefühl, das mich dabei überkam. Freiheit.
Abrupt stoppte ich, verharrte einfach an Ort und Stelle, während die Elfynns mit angelegten Flügeln eine Runde um mich drehten, bevor sie zwischen den Bäumen verschwanden. Ich jedoch rührte mich nicht von der Stelle. Ein Geräusch war an meine Ohren gedrungen, das so leise war, dass ich es vor zwei Jahren noch nicht einmal vernommen hätte, geschweige denn genau hätte lokalisieren können, woher es kam. Jetzt jedoch blieb ich stehen und lauschte. Ein kaum hörbares Rascheln verriet die Venérherde, gefolgt von einem leisen, röhrenden Laut. Sie waren nicht mehr weit entfernt.
Langsam setzte ich mich wieder in Bewegung, darauf bedacht mich so geschmeidig wie möglich zu bewegen, bis ich an eine kleine Lichtung gelangte. Zu dieser Zeit des Jahres wuchs Gras in kurzen Halmen aus dem fruchtbaren Boden, zusammen mit einigen Wildkräutern, die in Kalorius Gerichten oft eine entscheidende Zutat waren.
Ich atmete tief ein und aus, um meinen Herzschlag herunterzuschrauben. Meine Arme hingen locker an meinem Körper herab und mein Blick war auf die gegenüberliegende Seite der Lichtung gerichtet. Wieder ertönte ein leises Rascheln und der braune Kopf eines Venérs erschien zwischen den Büschen und dem Gestrüpp. Es erfasste mich sofort mit seinen braunen Augen und ich nahm eine lockere, friedliche Haltung an. Entspannt senkte ich den Kopf, drehte mein Gesicht ein Stück weg und ließ mich dann langsam auf den Boden sinken. Das Gras war weich unter meinen Fingerspitzen, und ich spürte, wie das Venér langsam auf die Lichtung schritt und ihm der Rest der Herde folgte.
Noch ein paar Atemzüge lang verharrte ich in meiner Position, bevor ich es wagte, den Kopf wieder zu heben. Wie von selbst zählte ich die Tiere durch, um mich zu vergewissern, dass sie vollzählig waren. Alle neun Venérs drängten sich auf die Lichtung und zupften gierig an dem jungen Gras, vertilgten die Wildkräuter und kamen mir dabei so nah, dass ihre mit braunem Fell bedeckten Leiber mich beinahe streiften. Seit drei Jahren kam ich nun fast täglich hierher, und diese sanftmütigen Tiere mit den schimmernden Hörnern auf dem Kopf, hatten gelernt, mir zu vertrauen.
Mit einem Mal brach eine kleine Gestalt aus dem Unterholz und die Herde hob alarmiert den Kopf. Auch ich spannte mich an, reckte den Hals und sah... ein Kitz. Mit noch etwas staksigen Schritten schritt es gradewegs auf eine Venérkuh zu, die, wie ich jetzt feststellte, um einiges schmaler war, als sonst. Ich hatte nicht gewusst, dass sie tragend gewesen war. Ein warmes Gefühl ergriff mich, als die Herde sich beruhigte und fortfuhr, zu fressen. Eine Weile beobachtete ich das Kleine, dass bei seiner Mutter etwas trank und schließlich neugierig die Lichtung abschritt. Es war so vertieft in all die neuen Gerüche, dass es mich erst bemerkte, als es mit der Nase gegen mein Bein stieß. Ein hoher Laut drang aus der Kehle des Kitzes und es sprang erschrocken zurück und ließ die gesamte Herde ein weiteres Mal aufschrecken. Ein kleines Lächeln erschein auf meinem Gesicht.
„Na komm, Kleines", flüsterte ich und streckte lockend meine Hand aus. Zögerlich trat das Kitz wieder ein Stückchen näher, während die Herde wieder die Köpfe senkte. Die Mutter beobachtete uns, eines der großen, gespaltenen Ohren zuckte nervös.
Geduldig wartete ich und verharrte still, während das kleine Venér sich mit jedem winzigen Schritt näher heranwagte. Die Venérkuh ließ uns keinen Moment aus den Augen. So zutraulich die Herde auch mir gegenüber war, bei neugeborenen Tieren waren sie meist übervorsichtig.
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Seelenwahrheit - Runde 1
FantasyLimeana verlor fast alles, was ihr lieb war- ihre Mutter, ihre Schwester und das Leben, das einst zu ihr gehört hatte. Doch auf wundersame Weise scheint sie eine neue Chance zu bekommen, eine Chance, die ihr Leben verändern wird. Jedes Jahr wählt...