Die nächsten Tage vergingen im Flug. Ich verbrachte sie damit, durch den Wald zu streifen und nach der Venérherde Ausschau zu halten, und wenn ich nicht dort war, dann war ich auf dem großen Grundstück hinter unserem Haus und baute. Ich wollte Demurí so schnell wie möglich zu mir holen, doch das konnte ich erst, wenn ich ihm ein gutes Zuhause bieten konnte. Und wenn er schon alleine sein musste, da jeglicher Eingliederungsversuch in eine wilde Herde gescheitert war, dann zumindest in einer schönen Umgebung.
Als der Abend, der womöglich meine Zukunft verändern sollte, gekommen war, erfasste mich eine ungewohnte Unruhe. Eigentlich war ich keine Person, die schnell nervös wurde und diese Nervosität auch zeigte, doch heute glich ich eher einem aufgedrehtem Elfynn als dem Menschen, den ich sonst zu zeigen pflegte. Immer wieder strich ich mir die Haare hinter die Ohren, die Mena leicht gelockt hatte und strich das Kleid glatt, das sie mir geliehen hatte. Normalerweise trug ich Kleider oder Röcke nur, wenn ich in der Akademie war, doch sie waren länger, als das Exemplar, das ich momentan trug. Nicht viel, aber sie bedeckten meine Knie. Der hellgelbe Stoff, der jetzt um meine Beine strich, endete knapp darüber.
„Hör schon auf", sagte Mena und steckte die gelbe Blüte zurück an ihren Platz in meinen Haaren. „Du ruinierst die Frisur und meine Nerven.
Ich presste die Lippen aufeinander und setzte mich auf meine Hände, um nicht schon wieder damit durch mein blondes Haar zu fahren. Mena warf mir durch den Spiegel hinweg einen Blick zu und wandte sich seufzend um.
„Es wird alles gut, Limmy. Hab Vertrauen in dich. Du weißt, dass du erwählt wirst." Sie hockte sich vor mich hin und sah mir eindringlich ihre Augen. Das Braun ihrer Iriden erinnerte mich an den Wald, der beinahe mein zweites Zuhause war, und ich entspannte mich ein wenig.
„Es ist nur so... ich habe lange darauf gewartet. Und ich weiß nicht, was ich tun würde, wenn ich nicht erwählt werden würde. Ich meine, dann habe ich die ganze Zeit umsonst daraufhin gearbeitet. Ich habe Angst." Meine Worte waren zum Ende hin immer leiser geworden, bis ich schließlich ganz verstummte.
Menas Miene wurde weich. Sie legte eine Hand auf mein Knie und drückte es leicht. „Es wäre nicht umsonst gewesen. Du würdest die Ausbildung an der Akademie beenden und eine erfolgreiche Zukunft vor dir haben. Du würdest eine Arbeit finden, die dich erfüllt und dich glücklich macht und vielleicht würdest du ja auch auf jemanden treffen, an dessen Seite du dein Leben verbringen willst."
Ich wandte den Blick ab und kämpfte die Trauer nieder, die sich wie Gift in mir breitmachen wollte.
„Limmy." Menas Stimme war nur noch ein Flüstern. Ich wusste, dass es ihr sehr naheging, wenn ich mich schlecht fühlte, deswegen versuchte ich meist, es zu verbergen. Doch manchmal war ich schlichtweg nicht stark genug dazu, und es tat auf seltsame Weise gut, meinen Schmerz offen zu zeigen. „Ich weiß, dass... ich nichts von dem verstehe, das du gerade fühlen musst." Sie nahm meine Hand und ich wandte mich ihr wieder zu. „Aber sie... hätte nicht gewollt, dass du für immer unglücklich bist und auf ewig an etwas hängst, das nicht mehr da ist."
Ich atmete tief durch und nickte schließlich. Mein Kopf fühlte sich an, als wäre er voller Steine und die Bewegung schien unglaublich träge, doch Menas Gesicht hellte sich ein wenig auf.
„Ich weiß", sagte ich leise und wischte mir übers Gesicht.
Mena lächelte mir noch einmal ermutigend zu, stand auf und drehte sich wieder zum Spiegel, um sich fertigzumachen.
•••
Unzählige Kerzen brannten und beleuchteten mit flackerndem Licht das rötliche Gemäuer der Akademie und den mächtigen Manarienbaum, dessen altes Holz ab und zu kaum hörbar ächzte. Seine Äste warfen lange, verzerrte Schatten auf den Boden und erinnerten mich an Klauen, die sich der Menschenmasse, welche sich auf dem Hof der Akademie dicht zusammendrängte, verzweifelt entgegenstreckten. Ich unterdrückte das Verlangen, geradewegs auf den Baum zuzumarschieren, um mich dort zu verstecken. Weg von all den Menschen, denen ich mich nicht zeigen wollte.
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Seelenwahrheit - Runde 1
FantasyLimeana verlor fast alles, was ihr lieb war- ihre Mutter, ihre Schwester und das Leben, das einst zu ihr gehört hatte. Doch auf wundersame Weise scheint sie eine neue Chance zu bekommen, eine Chance, die ihr Leben verändern wird. Jedes Jahr wählt...