Kapitel 3

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P.O.V. Amy


Gestern Abend hatte ich mich in unsere Unterkunft geschlichen ohne, dass jemand mitbekommen hat, dass ich zu spät war. Ich hatte einige Zeit damit verbracht nur auf meinem Bett zu sitzen und über den Tag nachzudenken. Niall bedeutete mir jetzt schon so viel mehr, als viele andere Personen in meinem Leben. Ich wusste, dass es leichtsinnig war einen wildfremden Mann zu treffen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Niall nicht einfach ein wildfremder Mann war. Für mich war er bereits jetzt mehr. Aber wie konnte ich ihm erklären, dass ich übermorgen zurück nach Deutschland fliegen würde? Nach etwa einer halben Stunde machte ich mich fertig, um schlafen zu gehen. Aber ich lag noch bis weit in die Nacht wach und starrte an die Zimmerdecke. Es war schwierig zu begreifen, aber ich hatte mich verliebt. In seine Art, wie er mich anschaute, wie er mit mir umging und wie wir gemeinsam Spaß haben konnten.

Mein Hochgefühl verschwand jedoch am nächsten Morgen, als ich in den Frühstücksraum kam und bereits alle Mädchen über der Zeitung hingen, die wie jeden Morgen auf den Esstischen auslag. Interessiert ging ich auf die Gruppe von Mädchen zu. Ich hatte noch nie bemerkt, dass diese Tussis, die sich nur schminken und über irgendwelche Stars schwärmen konnten, anscheinend ein ernsthaftes Interesse am Zeitungslesen hatten. Ich schlussfolgerte, dass wohl etwas wichtiges passiert sein musste. Ich stellte mich hinter Luise und blickte über ihre Schulter. Geschockt ließ ich meine Tasse mit Tee fallen, als ich das Bild in der Zeitung sah.

"Hey, meine Hose ist nass", Luise hatte bemerkt, dass ich die Tasse hatte fallen lassen, weil ihre Hose jetzt unten mit Tee durchtränkt war. Ich reagierte nicht auf sie, sondern schob sie ein Stück weg, um einen Blick auf die Zeitung werfen zu können. Ich kannte diese Augen und würde sie auch überall wieder erkennen. Dieses unendliche Blau. Niall blickte mich von der ersten Seite der Zeitung an. Er lief gerade durch eine Tür. Und da sah ich es. Ich war auch auf dem Bild. Meine roten Haare lugten hinter Nialls Schulter hervor. Das Foto musste gestern aufgenommen worden sein, als wir gemeinsam die Pizzeria verlassen hatten. Die Frage war nur: Wieso war dieses Foto in der Zeitung abgedruckt. Ich ließ meinen Blick ein Stück höher schweifen und las die Schlagzeile über dem Foto.

"Niall Horan mit unbekannter Frau gesehen: Seine neue große Liebe!?"

Ich war verwirrt, las dann aber doch den Artikel, der unter dem Foto weiter ging.

Dublin. Am gestrigen Abend schossen einige unserer Leser dieses Foto in einer kleinen Pizzeria in Dublin. Darauf zu sehen ist der berühmte Popsänger Niall Horan, der durch die Boy Band "One Direction" berühmt wurde. Hinter ihm ist klar und deutlich eine junge Frau zu erkennen. Die beiden verließen die Pizzeria händchenhaltend, weshalb wir darauf schließen, dass es sich um die neue Partnerin von Niall Horan handelt. Sollte es so sein, werden wir in den nächsten Tagen sicherlich mehr wissen. Im Innenteil finden Sie auf der Seite 15 einen ausführlichen Artikel über Niall Horan.

Ich hatte die Zeilen zu Ende gelesen und starrte noch immer wie hypnotisiert auf die Zeitung. Das konnte doch nicht wahr sein. Wieso sollte er mir gestern nicht erzählt haben, wer er ist? In mir breiteten sich Enttäuschung und Wut aus. War ich etwa nur eine von vielen? Hatte er das gestern alles nicht ernst gemeint? Bilder vom gestrigen Tag schossen mir durch den Kopf. Wir beim arbeiten in der Bibliothek, wir beim Essen der Pizza, wir beim Lachen darüber, dass seine Brille schief saß, wir als Niall meine Hand genommen hatte, wir beim umarmen vor der Pizzeria, wir beim Verabreden für heute. Ein Stechen fuhr durch mein Herz. Das konnte ich nicht ertragen. Wie sollte ich Niall jemals wieder in die Augen sehen können. Er hatte mich angelogen, meine Gutherzigkeit ausgenutzt. Das war nicht fair gewesen. Ich hatte mich in ihn verliebt, ohne zu wissen, was das bedeutete. 

Ich drängelte mich an Luise vorbei, die gerade anfangen wollte mich zu beschimpfen, und rannte die Treppe nach oben in unser Zimmer. Die Tür zum Badezimmer erhielt eine neue Macke, als ich sie aufschlug und sie gegen die Wand krachte. Ebenso schnell, wie ich die Tür geöffnet hatte, fiel sie auch wieder zu und ich drehte den Schlüssel im Schloss um. Als ich in den Spiegel blickte, sah ich nicht mich sondern jemand anderen. Die Tränen liefen mir, wie Sturzbäche die Wangen hinunter und tropften nacheinander in das Waschbecken. Ich wollte Niall nicht mehr sehen. Ich hasste ihn. 

"Ich hasse dich", schrie ich in den Spiegel. Diese Worte auszusprechen tat weh. Sehr weh. Aber es musste sein. Ich zog das Handy aus meiner Hosentasche und gab in die Google-Suchleiste "one driection" ein. Ich tippte den Wikipedia-Artikel an und überflog ihn in Sekundenschnelle. Niall war also ein irischer Sänger, der in einer Boygroup namens "One Direction" gesungen hatte, bis sich diese im Prinzip 2016 auflöste. Offiziell war es zwar nur eine Pause, aber eine Pause, die so lange anhielt, wirkte auf mich eher wie ein Ende. Als nächstes googelte ich "niall horan". Es fühlte sich nicht richtig an das einzutippen, aber ich konnte es auch nicht einfach so stehen lassen. Als sich die Suchergebnisse öffneten, sah ich als erstes sofort einige Vorschläge zu Nachrichtenportalen, die von dem Foto berichteten.

Ich blieb noch etwa eine Stunde im Badezimmer und suhlte mich im Selbstmitleid, bis schließlich jemand an die Tür klopfte. "Amy, bist du da drin?" Ich nickte, bis ich registrierte, dass das die Person vor der Tür ja nicht sehen konnte. "Ja", sagte ich deshalb nur vorsichtig. "Kann ich hineinkommen?" Jetzt erkannte ich auch, wer vor der Tür stand. Es war Karo. Ich stemmte mich vom Boden hoch und schlurfte auf die Tür zu. Bevor ich sie öffnete, machte ich aber den Fehler noch einmal in den Spiegel zu sehen und erschrak. Ich hatte geschwollene Augen und mein gesamtes Gesicht war rot geheult. So sah man also aus, wenn man Liebeskummer hatte. Ein tiefer Atemzug sorgte dafür, dass ich mich beruhigte und den Mut zusammenbekam die Tür zu öffnen. 

"Wie siehst du denn aus", begrüßte mich Karo. Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ist ja auch egal. Ich sollte dir nur sagen, dass wir in einer halben Stunde losgehen, um uns diese komische Kirche anzugucken." Müde schüttelte ich den Kopf. "Ich glaube ich kann nicht mitkommen. Mir geht es nicht besonders gut." Karo ging aus dem Zimmer, um unsere Lehrerin zu holen. Ich legte mich in mein Bett, hielt es aber nicht einmal fünf Minuten aus, dann rannte ich schon auf die Toilette und übergab mich. Ich hing noch immer über der Kloschüssel, als Frau Jägers hineinkam und mich besorgt ansah. "Ich glaube du solltest wirklich besser hier bleiben. Ich sage unten bescheid, dass du im Zimmer bleibst und besorge dir eine Kanne Tee, damit du schnell wieder gesund wirst." Sie verließ eilig das Zimmer und ließ mich alleine zurück. 

Nachdem meine Klasse aufgebrochen war, setzte ich mich im Bett auf und zog erneut mein Handy hervor. Eine Nachricht ploppte auf dem Bildschirm auf. 

"Niall Horan gibt Statement zu Foto ab"

Ich tippte auf die Nachricht und wurde zu einer Website mit einem Artikel weitergeleitet. 

Vor einer Stunde twitterte Niall Horan, dass es sich bei der unbekannten Frau auf dem Foto nicht um seine neue Partnerin handelte, sondern es nur seine Cousine war. Dieser Tweet lässt aber trotzdem Grund zum Zweifeln auf, denn wieso sollte Niall Hand-in-Hand mit seiner Cousine gehen?

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es zwanzig nach elf war. Versuchte Niall gerade alles zu retten? Oder war es purer Egoismus? Ich wusste mittlerweile einfach nicht mehr, was ich noch glauben sollte.

I'd still dance with youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt