014 - Kapitel 3.1

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»Weißt du Jane«, begann eine der Frauen »dein Sohn hat komplett den Boden unter den Füßen verloren«. Der Frauentisch war schließlich nach drei langen Stunden aufgestanden und machte sich auf den Weg zur Tür. Besagte Jane schnaufte und antwortete mit leicht bissigem Tonfall: »Immerhin sitzt meiner nicht den ganzen Tag alkoholisiert in seiner Wohnung und spielt Online-Poker!«
Kayden hatte sich abgewandt und tat so, als würde er die Etiketten der Whiskeyflaschen studieren. Er hatte keine Lust, einer Gruppe älterer Damen dabei zuzuhören, wie sie um die Wette jammerten. Aus dem Augenwinkel beobachtete er wie Jane mit ihren dicken Fingern einige zerknüllte Dollarscheine aus ihrer Geldbörse fischte und auf den Tresen legte. »Junger Mann, nächstes Mal kannst du die Cocktails ruhig etwas stärker machen.«
Kayden wandt sich vom Regal ab, schaute grimmig auf und antwortete:
»Wir sind hier nicht im Ritz, meine Ladies!«
Eine der anderen Frauen lachte laut auf und klopfte Jane auf die Schultern. »Wo er recht hat!«
»Nächste Woche gleiche Uhrzeit!«, rief Jane mit ihrer rauchigen Stimme über ihre Schulter hinweg in Richtung Kayden. Das laute Knallen der Tür ließ die gesamte Kundschaft erleichtert aufatmen.
»Sind sie endlich gegangen?«, fragte Alexey hoffnungsvoll der wie aus dem nichts wieder aufgetaucht war.
»Sie haben sich für nächste Woche wieder angekündigt!«, rief Kayden ihm zu. »Brauchst du einen Drink?«
Es schien seine Antwort auf jegliche Probleme zu sein. Ohne auf eine Zustimmung zu warten, drehte er sich zum Regal um und holte eine Flasche hervor.
»Du stehst ja immer noch hinter dem Tresen, Kayden.«, ertönte Saras Stimme. Auch sie war aus dem Nichts wieder aufgetaucht. »Jetzt geh bitte heim, das kann ja keiner mit ansehen.«
„Wo kommst du auf einmal her, Sara?", fragte Alexey verwundert und nahm das Glas entgegen, das Kayden ihm hinhielt.
„Ich habe Flaschen im Keller sortiert", gab sie mit breitem Grinsen zurück. „Dieses Theater kann ich mir nicht anhören."
Auch Alexey musterte Kayden eine Weile.
„Sie hat recht, sieh zu dass du hier rauskommst!", unterstützte Alexey Saras Aufforderung.
»Ist ja gut!«, ergab sich Kayden schließlich. Heute war nicht sein bester Tag gewesen. Seine Gedanken waren kreuz und quer geschossen. Immer wieder war sein Vater darin erschienen. Sein starres, ernstes Gesicht mit den eisblauen Augen. Wie er Pfeife rauchend im Wohnzimmer gesessen hatte. Eine Flasche Bier neben ihm auf dem alten Holztisch stehend. Mit mürrischer Stimme hatte er Kayden gefragt, wie es in der Schule gelaufen war, ob er auch fleißig war. Er erinnerte sich, wie er die schlechten Noten so lange verheimlichte, bis sein alter Herr zwei, drei Bier im Kopf hatte. Seine Mutter war ebenfalls in seinen Gedanken aufgetaucht. Er erinnert sich an ihr Lachen, während sie in der Küche stand und Apfelkuchen buk. Wie sie immer bunte, schwungvolle Kleider trug und ihrem Mann mit dem Holzlöffel auf die fettigen Finger schlug, wenn er sich am Teig versuchte zu vergreifen.
Nicht selten erwischte er sich wie er dort stand, in der Ecke der Theke, neben dem Whiskeyregal stehend, mit einem Poliertuch in der einen und einem Glas in der anderen. Seine Gedanken, irgendwo in seiner Kindheit. Die Ereignisse seines Lebens wie auf einer Leinwand vor seinen Augen erscheinend. Es fiel ihm schwer sich von diesen zu lösen.
Sein Vater, war kein netter Mensch gewesen. Seine Mutter zu jung und naiv, um dies zu sehen.

Vor 20 Jahren, 
„Kayden Schatz, schläfst du?", hörte er die leise Stimme seiner Mutter flüstern. Kayden lag hellwach, mit geschlossenen Augen in seinem Bett. Die Bettdecke hatte er sich bis zum Kinn hochgezogen, sein kleines Herz laut pochend. Zwischen seinen Armen hielt er den alten, verbrauchten Teddybären fest an sich. Eins seiner Augen hing nur noch an einem dünnen Faden herunter.

Kayden öffnete seine Augen und konnte die Umrisse seiner Mutter im dunklen Zimmer erkennen. Leise kam sie herein, schloss die Zimmertür vorsichtig hinter sich und schlich zu ihm herüber.
„Wo ist Dad?", fragte er mit zittriger Stimme und rückte ein Stück zur Seite. Seine Mom schlug die Bettdecke zur Seite und legte sich zu ihm.
„Komm her!", murmelte sie nur und zog den kleinen Jungen eng an sich. „Nicht hier."
„Kommt er wieder?", fragte Kayden. Er spürte das pochende Herz seiner Mutter an seinem Rücken.
„Ich weiß es nicht...", sagte sie leise. Sie fuhr mit ihren Fingern durch seine strubbeligen Haare. Strich ihm schließlich besänftigend über die Stirn.
„Mom?", fragte er flüsternd und drückte den Teddy enger an seine Brust.
„Schlaf mein Schatz", antwortete sie nur und gab ihm einen saften Kuss auf den Hinterkopf.
Doch Kayden war weit entfernt davon, Schlaf zu finden. Irgendwer musste wach bleiben und aufpassen. Irgendwer musste sich um Mom kümmern.


Kayden warf das Poliertuch zurück in die Schublade und verließ die Theke. Die Szene aus seiner Kindheit verfolgte ihn schon seit Jahren. Es war nicht die einzige. Er spürte Wut in sich aufkommen. Nur schwer konnte er sie kontrollieren.
„Sieh zu, dass der Laden spätestens um zwölf zu ist, ja!", rief er in Richtung Sara. Dabei schaute er sie nicht einmal an. Den unfreundlichen Ton, konnte er kaum verstecken. Missmutig lief er auf die Abstellkammer zu. Ein wenig tat ihm Sara leid. Doch ihren Blick, wollte er nicht sehen müssen. Vermutlich würde Enttäuschung darin liegen. Er riss die Tür zur Abstellkammer auf und versuchte dem Bedürfnis, seine Wut herauszubrüllen, zu widerstehen. Wie konnte einer so einen Hass verspüren, dachte er sich und zog sich griesgrämig den Pullover vom Leib. Der Geruch von Whiskey und Schweiß ließ ihm schlecht werden. Er musste hier raus. Doch wo sollte er hin? Es gab niemanden, der auf ihn warten würde.

Sara schaute Kayden mit leicht wehmütigem Blick hinterher. Mit hängenden Schultern lief er in Richtung Tür. Damals, als sie für ihn angefangen hatte zu arbeiten, war er anders. Zumindest war er anders zu ihr. In seinem Blick war mehr Wärme gewesen. In seiner Stimme Hoffnung. Sie fragte sich, was gewesen wäre, hätte sie nach diesem einen, verhängnisvollen Abend, eine andere Entscheidung getroffen.
Ob er jemals daran zurückdachte, an die einzige Nacht, die sie je gemeinsam verbracht hatten?

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