020 - Kapitel 5.2

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„Richard, du bluffst! Das seh ich dir an! Du kannst nie lügen, ohne dass es mir auffällt", hörte Alexey einen der Männer aus der Pokerrunde an Tisch 21 sagen. Alexey war aufgestanden, um drei neue Gläser zu zapfen. Er hatte darüber lachen müssen, wie ernst die älteren Herren ihre Pokerangelegenheit nahmen. Er hatte einen der Männer überhört wie er das Maximum auf 100 Dollar für den Abend beschränkte. Sie wollten schließlich nicht, dass der arme David, der anscheinend schon in der Misere war was Frau und Geld anbelangte, noch Bankrott ging. Alexey musste lachen als er vorbei ging und beobachtete, wie der vermeintliche Richard seine Karten auf den Tisch schmiss, die Hände resigniert in die Luft riss und „...ach halt die Klappe, du alter Schwätzer" rief.

Hundert Dollar, dachte sich Alexey. Das er nicht lache. Hundert Dollar waren im Poker gar nichts. Es erinnerte ihn wieder daran, dass der Dreckskerl, der seine Schwester flachlegte, ihm so einiges mehr an hundert Dollar schuldete. Nicht mal wirklich Pokern konnte er. Aber eine große Klappe hatte er und schwätzen konnte er auch. Er hatte ihn so oder so nur einmal mit eingeladen, um herauszufinden, was wirklich hinter seiner Visage steckte. Wie seine Schwester nur auf so einen Verlierer stehen konnte, fragte er sich. Das letzte Mal, dass er ihn am Telefon hatte, war er fast ausgetickt vor Wut. Er musste sich diese Ratte dringend noch einmal vis a vis vorknüpfen.


Vor einigen Monaten,

"Jegor, schön dich zu sehen!", sagte Alexey mit falschem Lächeln auf den Lippen.

"Die Freude ist meinerseits!", gab Jegor mit provokantem Blick zurück. Er reichte Alexey seine Hand, die er nur widerwillig entgegennahm. Der Gedanke, dass Jegors Drecksfinger seine Schwester anfassten, ließ rasende Wut in ihm aufkommen.

"Darf ich ihnen die Jacke abnehmen?", fragte die Hostess und schaute Jegor mit geübtem Lächeln an.

Jegor zog die linke Augenbraue hoch und grinste sie dreckig an. "Sehr gerne!", gab er zurück und reichte der jungen Frau seinen schweren Mantel. Alexey entging nicht wie Jegors Blick über ihren Körper wanderte. Einen kurzen Moment schaute er der Hostess hinterher und blickte dann schließlich zu Alexey. "Nach dir!"

Alexey atmete merklich laut aus und ging gefolgt von der Ratte in das Wohnzimmer, das für den heutigen Abend in ein exklusives Pokeretablissement verwandelt worden war. Schon sein Vater hatte seit den Achtzigern diesen Raum genutzt, um private Pokerrunden der Familie Jerschow zu organisieren. Nun war es an Alexey die Tradition fortzuführen.

Hohe Decken von denen zwei große Kronleuchter hingen, ließen den Raum imposant wirken. Die großen Fenster, die bei Tageslicht einen Blick auf den peniblen gepflegten Garten ermöglichten wurden von roten, schweren Gardinen umrandet. In der Mitte des Raumes stand der Pokertisch aus alter Mooreiche.

Zu den geladenen Gästen zählte unter anderem Alexeys Vetter Sergej Jershow. Sohn von Ivan Jershow. Einem der einflussreichsten Geschäftsmännern New Yorks. In Smokings standen sie alle mit geleckten Haaren im Raum und tranken teuersten Dom Perignon, den die Hostess mit breitem Lächeln auf ihren roten Lippen großzügig einschenkte. Einige hatten kubanische Zigarren zwischen den Fingern.

"Gospoda! Darf ich ihnen meinen werten Freund Jegor Romanov vorstellen!", rief Alexey in die Runde, die sich aus sogenannten Familienfreunden und einflussreichen Geschäftspartnern zusammengestellt hatte. Es fiel ihm schwer das Wort Freund in Verbindung mit Jegor zu bringen, doch er wollte gute Miene zu bösem Spiel bewahren. Er wollte wissen, mit welchen Absichten Jegor sich versuchte in die Familie Jerschow einzunisten. Jegor, Sohn von Igor Romanow, einem russischen Diplomaten dessen Familie in den letzten Jahren immer mehr an Ruf und Vermögen verloren hatte.

"So sieht man sich also wieder...", begrüßte Sergej Jegor und nickte ihm zu.

Heute werde ich dein wahres Gesicht kennenlernen, dachte er sich grimmig.

"Was machst du noch mal, Jegor?", fragte Alexey mit gespielt interessierter Miene. Sowohl er wie auch Jegor wussten genau was er tat, doch Alexey wollte sicherstellen, dass auch die restliche Runde wusste, dass der liebe Jegor auf Kosten seiner Eltern lebte.

"Ich bin derzeit dabei mich... neu zu orientieren!", log Jegor ohne mit den Wimpern zu zucken. "Ich überlege mir gerade einige Immobilien zu kaufen. Wie wir alle wissen, boomt der Markt derzeit hier."

Alexey schüttelte den Kopf und seufzte. Immobilien, das ich nicht Lache. Mit deinem Geld kannst du dir nicht mal 'ne 20 Quadratmeter Wohnung in Brooklyn leisten, du Wichser.

"Wenn ich sie dann bitten dürfte!", leitete Alexey schließlich den Abend ein. Er deutete mit schwenkender Handbewegung durch den Raum. "Heute Abend erweist uns Anastasia die Ehre und wird sich um ihr Wohl kümmern. Also keine Hemmungen, sie wird die Wünsche gerne erfüllen. Wenn dann alle die Startgebühr bezahlt haben, sind sie willkommen am Tisch Platz zu nehmen." Alexey drehte sich zu Jegor und lächelte ihn hinterlistig an. "Es sind heute Abend fünftausend Dollar Startgebühr, Jegor. Freundschaftspreis, versteht sich!"


Während Alexey an der Theke stand und die Gläser füllte, schaute er rüber zur Männerrunde. Richard schien immer noch kein Glück zu haben. Sein vermeintliches Pokerface verriet ihn dennoch. Mit leicht zittrigen Händen und einigen Schweißperlen auf der Stirn saß er dort und schaute unsicher in die Runde. Alexey konnte erkennen, dass Richards Gegenüber ebenfalls ein schlechtes Blatt hatte. Doch schien es ihn nicht davon abzuhalten den Einsatz immer wieder zu erhöhen. Mit provokanter Stimme und sicherem Auftreten verunsicherte er den armen Richard immer mehr. „Na gehst du mit?"

Richard blickte auf sein Blatt, schaute auf und zuckte die Schultern.

Alexey lachte leise auf. Leicht hilfesuchend schaute Richard dann auf. Alexey nickte ihm von der Bar aus zu. Er versuchte ihm ein Zeichen zu geben. Das Blatt seiner Konkurrenz war zu schlecht, um überhaupt unterboten zu werden.

Alexey hustete merklich auf. Der arme Richard blickte noch einmal auf und schien Alexeys Rettungsversuch zu bemerken. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus.

„Ich geh mit, ich mach dich alle, du Schwätzer!", rief er etwas zu erfreut und schob die geforderten Chips in die Mitte.

Für eine Sekunde schien der Schwätzer verwirrt zu sein. Doch er ließ sich nicht verunsichern. Würde er noch erhöhen?

Alexey nahm die drei Biere und verließ die Bar. Richard warf ihm ein dankendes Nicken zu und als sich Alexey wieder zu seinen Kollegen setzte hörte er Richard laut rufen: „Hab ich dich gekriegt. Her mit der Kohle du verdammter Bluffer".

Alexey grinste in sich hinein. Der arme Richard musste noch viel lernen. Sehr viel. 

Einsame SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt