021 - Kapitel 6.1

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Alexey ließ die Tür hinter sich zu fallen und lief mit leicht hinkendem Bein in Richtung Bar. Seine Mütze hing ihm schräg ins Gesicht. Sein Gesicht war blutverschmiert. Eins seiner Augen war dick angeschwollen und von blau-roten Farben umgeben. Es ging ihm so schlecht, wie seit langem nicht mehr.

Holly starrte ihn mit offenem Mund an. Kayden blieb tonlos am Tresen stehen. Für einen Moment herrschte absolute Ruhe im gesamten Pub. Jeder schien darauf zu warten, dass Alexey etwas sagte. Das Theaterstück hatte begonnen.

"Was guckt'n ihr alle so blöd!", fragte er lallend und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Alexey platzierte sich schwerfällig auf einen der Barhocker. Er riss sich die Mütze vom Kopf und schmiss sie vor sich auf die Theke. Daraufhin lehnte er sich nach vorne, hob den Zeigefinger an und deutete auf Kayden.

"Ich brauch dringend 'nen Bier und 'ne Kippe!", rief er.

"Wisch dir erstmal dein Gesicht ab.", brummte Kayden, nahm sich eins der Poliertücher und wickelte einige Eiswürfel ein. "...und wehe du tropfst mir auf die Theke" fügte er hinzu und reichte Alexey das Tuch über die Theke. "... die ist frisch mit Holzöl poliert"

"Dieser Dreckssack...", brummte Alexey nur gedankenverloren und griff nach dem Tuch.

Er ließ ein leises Stöhnen von sich als er das kalte Tusch gegen die Stirn drückte und nuschelte einige unverständliche russische Worte in seinen Bart. Sein Kopf drehte sich so sehr, dass er sich mit der freien Hand am Tresen festhalten musste. Jede Faser seines Körpers schien zu schmerzen. Sein geschwollenes Auge pochte stark und ein unheimlicher Druck hatte sich hinter seiner Stirn aufgebaut. Das gesamte Adrenalin, welches zuvor noch durch seinen Körper geströmt war, hatte sich abgebaut.

"Muss ich mir Sorgen machen, dass hier gleich die Hölle los ist im Pub und die russische Mafia auftaucht?"

Alexey lachte nur gequält auf und griff nach dem Bierglas, das Kayden ihm hingestellt hatte.

Dieser Scheißkerl, dachte er sich, da kommt er in mein verdammtes Haus und meint ihm gehöre die Welt. Benimmt sich vorne herum wie der wohlwollende Schwiegersohn und spielt hinten rum verdammte Drecksspielchen. Allein bei dem Gedanken schien sich das Adrenalin und die Wut wieder aufzubauen. Er hatte es satt gehabt. Auf einmal war ihm eine Sicherung durchgegangen.


Alexey stand draußen auf der Terrasse. Er wollte einfach nur eine Zigarette rauchen, um beim familiären Weihnachtsessen nicht die Nerven zu verlieren. Er wollte die kalte Luft einatmen und eine Pause von dem ganzen aufgesetzten Geschehen haben. Er konnte die hohe, grelle Stimme seiner Tante nicht mehr hören, dessen einziges Gesprächsthema irgendeine Fundraising Gala war, mit dessen Geld sie irgendeinem Entwicklungsprojekt in Afrika helfen wollte. Doch im Endeffekt würde es so oder so niemals auch nur ein Dollar dort landen. Konnte seinen Vater nicht mehr abhaben, wie er der Freundin seines Neffens Sergej penetrant in den Ausschnitt starrte und sich dabei auffällig die Lippen leckte. Von seiner Mutter wollte er gar nicht erst anfangen. Wie sie dort in ihrem viel zu engen, viel zu tiefen ausgeschnittenen Designerkleid saß, an ihrem Vermunt nippte und alles mit Ja und Amen hinnahm.

Und dann war da noch dieser eine, in seinen Augen, sehr unerwünschte Gast. Wie er mit selbstgefälligem Grinsen neben seiner Schwester saß. Sie mit schmalzigen Worten umgarnte, ihr den Hof machte und dabei immer wieder mit provokanten Blick über den Tisch schaute, um auch ja sicherzustellen, dass er, Alexey, wusste, wer wo seinen Platz hatte. Diese ganze gespielte Tirade. Wie ein schlechtes Theaterstück.

Er wollte doch nur fünf Minuten für sich haben und diesen ganzen Haufen an geleckten Affen entkommen. Doch die Ratte öffnete die gläserne Tür zum Balkon und trat zu Alexey in die Kälte hinaus. Sein Anzug war ihm eine Nummer zu groß und hing schlaff an seinen Schultern herab. Seine blonden Haare hatte er sich schnöselig nach hinten gegelt. In der einen Hand hielt er eine Zigarre und ein Glas Wodka.

"Stört es dich, wenn ich dir Gesellschaft leiste?", fragte die Ratte mit falschem Grinsen. Daraufhin steckte er seine freie Hand in seine innere Anzugtasche und zog eine weitere Zigarre hervor. "Darf ich dir eine anbieten?"

Lieber erschieß ich mich, als mit dir auch nur eine Zigarre zu rauchen, dachte er sich. "Nein, ich wollte gerade wieder gehen!", antwortete Alexey. Er versuchte seine Stimme ruhig zu halten.

"Alexey, ich habe das Gefühl, wir sind uns damals auf dem falschen Fuß begegnet!", sagte Jegor kopfschüttelnd und stellte sein Glas Wodka auf einen der Stehtisch ab. Er hatte die Zigarre zurück in die Anzugstasche gesteckt und ein Feuerzeug herausgeholt. "Ich will nur das Beste für deine Schwester und wie man sieht, kann sie nicht klagen. Ich kann ihr alles bieten, was sie sich nur wünscht. Ich weiß es ist schwierig, wenn man feststellen muss, dass man nicht mehr der wichtigste Mann im Leben seiner Schwester ist, aber so ist nun mal der Lauf der Dinge...".

Alexeys Hände ballten sich zu Fäusten. Noch ein Wort, hatte er sich gedacht, und ich hau dir eine rein.

"Du weißt genau, dass du ihr nie das bieten kannst, was ich ihr bieten kann. Du magst zwar ihr Bruder sein, aber ich bald ihr Mann. Und du weißt, was das zu bedeuten hat, nicht wahr?"

Jetzt reichts, dachte sich Alexey. Sein Adrenalinspiegel schoss in die Höhe. Er spürte merklich wie seine Adern an Stirn und Hals auf Hochtouren pumpten.

"Du sagst mir, wir haben uns auf dem falschen Fuß erwischt und dann erzählst du mir so einen absoluten Schwachsinn?", zischte Alexey. Nahm er ihn für nicht ganz voll? "Diplomatie ist wohl keine Stärke der Romanows was. Ach warte, wie auch Loyalität und Respekt nicht".

"Alexey, du musst dich nicht gleich so echauffieren!", sagte Jegor kopfschüttelnd. "Du musst nur akzeptieren, dass bestimmte Dinge nicht immer in deiner Macht stehen. Ich will das Beste für Vika! Sie ist unglaublich intelligent und bezaubernd."

"Lüg doch nicht, du Bastard. Das Einzige was du dir erhoffst ist durch eine Ehe Anspruch auf Geld und Erbe zu erlangen!", rief Alexey nun mit zorniger Stimme. "Du musst doch selber merken, wie falsch du dich anhörst, wenn du deinen Mund auch nur aufmachst. Es gibt ein paar Eigenschaften, die die Jerschows sehr zu schätzen wissen und Hinterlistigkeit und Betrug ist sicherlich keine. Wo wir dabei sind, was ist eigentlich mit dem Geld was du mir von der Pokerrunde neulich schuldest, he?"

Alexey schaute die Ratte wütend an. Jegor hatte beim Pokern ein Spiel nach dem anderen verloren und immer mehr seiner Pokerchips waren von seiner Seite des Tisches hinüber zu der anderen gewandert. Zum Ende hin hatte Alexey im mit Hintergedanken angeboten ihm ein wenig Geld vorzustrecken, um es noch einmal zu versuchen. Er wollte herausfinden wie Loyal Jegor war. Ob er ihm die von ihm generöse Summe mit Selbstverständlichkeit wieder zurückgab.

"Wir sind doch quasi eine Familie, Alexey. Das mit dem Geld das regeln wir anders und jetzt beruhigen wir uns erstmal und gehen wieder rein, bevor hier irgendjemand deinen Aufstand miterleben muss!", gab Jegor mit einem Grinsen zurück.

Alexeys Gesicht verzog sich wütend und im nächsten Moment konnte er nicht mehr an sich halten. Seine Faust schlug mit voller Wucht auf die nichtsahnende Ratte ein. Er verspürte so eine Wut dass er direkt erneut ausholen wollte, doch die Ratte wich aus, schmiss die Zigarre zur Seite und startete einen Rückangriff. Die beiden Männer befanden sich schließlich rangelnd auf dem Boden. Blut floss aus Alexeys Nase. Jegors Oberlippe war aufgeplatzt. Ein Wortschwall aus vulgären Schimpfwörter in Kombination mit Fäusten sorgte schließlich für Aufmerksamkeit und so dauerte es nicht lange bis die Terrasse zum Schauplatz eines brutalen Boxkampfes wurde.


Allein der Gedanken an den Kampf zwischen ihm und der Ratte ballten sich Alexeys Hände erneut zu Fäusten. Er wollte die Erinnerung in die Tiefen seines Gedächtnisses verbannen. Doch auch jetzt noch, wo er an der Bar saß und an seinem heiligen Ort war, frass ihn die Wut von innen auf. 

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