025 - Kapitel 7.3

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„Wir wurden beide offiziell auf eine Silvester-Hausparty eingeladen. Billige Drinks, bodenständige, einfache Frauen... was meinst du? Klingt doch nach einer netten Abwechslung", sagte Alexey zu Kayden.

„Danke, aber ich glaube heute passe ich." Kayden zuckte mit den Schultern. 

„Du bist echt spießig geworden", brummte Alexey.

„Noch so ein Kommentar und ich schick dich zur Weiberrunde."

„Oh, bitte, hast du denen mal eine Sekunde zugehört?" Alexey stöhnte auf und schob Kayden ein Glas Tequila zu.

„Darauf, dass das neue Jahr etwas weniger beschissen wird wie dieses", brummte er und hob das Glas an.

Er ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Die beiden Frauen saßen noch immer entspannt an ihrem Tisch. Die hübschere von beiden hielt ihr Heineken fest umklammert und blickte immer wieder verstohlen in seine Richtung. Mit ihrer Hand zwirbelte sie verspielt an einer ihrer Strähnen, während sie ihrer Freundin eine Geschichte zu erzählen schien. Er ließ seinen Blick weiterschweifen, zu Peter in seiner Ecke. Das Ende seines alten Füllers hatte er sich gedankenverloren zwischen die Lippen geklemmt, während er mit konzentriertem Blick auf sein Blatt Papier schaute. Alexey beobachtete, wie Peter den Kopf immer wieder schüttelte, seinen Stift nahm und etwas durchzustreichen schien.

Am anderen Ende der Theke saßen zwei ältere Herren, die schweigend in ihre fast leeren Gläser starrten. Die Kategorie Herren, die an Weihnachten und zu anderen Feierlichkeiten gerne in einer Bar wie dieser Zuflucht fanden. Einem Ort, an dem sie nicht dafür verurteilt wurden. 

Weiter hinten tummelten sich einige jüngere Leute um den Billardtisch. Einige Gesichter erkannte Alexey wieder, denn sie kamen nicht selten für ein paar Bier mit Freunden zum Spielen her. Meist war der großgewachsene, schlaksige Typ dabei. Seine Cap trug er falsch herum auf dem blonden Haar. Sein kariertes Holzfällerhemd war ihm einige Nummern zu groß und die verblichene Jeanshose hing ihm viel zu tief in den Knien.

Oftmals brachte er ein bleiches, dünnes Mädel mit. Ihre dunklen Haare fielen ihr auch diesmal platt und leicht fettig auf die dürren Schultern. Sie trug ein billig aussehendes rotes Kleid, welches definitiv schon bessere Tage erlebt hatte.

Alexey war sich sicher, dass die meisten Gäste nicht gerade zur Bildungselite des Landes gehörten. Aber diese Art von Klientel zog die Bar nicht gerade an. Genau das war es, was ihm so gefiel. Die Bar bot ihm den größtmöglichen Kontrast und somit Abstand zu seinem sonst so gelecktem Leben. Hier kam niemand herein, der nur durch sein Outfit Reichtum und Protz präsentierte. Der dadurch zu verstehen gab, wer welcher Klasse angehörte. Hier musste er nicht den reichen, russischen Sohn spielen, der sich zu fügen hatte. Hier konnte er diesem Schauspiel entkommen. Vor allem konnte er hier dem entfliehen, was ihm jedes Mal aufs Neue heimsuchte, wenn sich das große, imposante Tor zum Sitz der Familie Jershow vor ihm öffnete. Diese Wut machte ihn wahnsinnig. Doch so oft er überlegt hatte, die Stadt und somit seine Familie zu verlassen, wusste er, dass er dies nie tun könnte. Denn das würde bedeuten, dass er sie - Vika - nicht mehr beschützen könnte. Solange er in ihrer Nähe war, hatte er zumindest das Gefühl, ein Stück seiner Schuld abarbeiten zu können. 

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus den Gedanken. „Wenn man vom Teufel redet", brummte er und stöhnte. 

„Vika", rief er ins Telefon, nahm seinen Whiskey und ging zur Abstellkammer. 

„Bruder", hörte er seine Schwester. „Willst du mir vielleicht verraten, wo du bist?"

„Ich sagte doch, ich komme heute nicht. Ich bin auf einer anderen Feier", knurrte Alexey. Er knallte die Tür der Abstellkammer zu. 

„Welche Feier ist denn bitte wichtiger als unsere Silvesterfeier? Die ganze Familie ist da, alle! Wichtige Kunden und Bekannte. Die reichsten Russen der Stadt und du bist auf einer anderen Party? Du willst mich doch verarschen, oder?", schrie seine Schwester. Er konnte sich genau vorstellen, wie sie im Raum auf- und ab-lief. Wie ihr Gesicht ganz rot angelaufen war und sie sich durch ihr helles Haar fuhr.

„Vika, hör mir jetzt gut zu: Du brauchst dich gar nicht so aufzuregen, ich komme nicht. Ich habe tatsächlich heute Abend etwas anderes vor. Ich verspreche, ich komme zum Neujahresessen. Es tut-"

„Dir tut überhaupt nichts leid! Mutter ist ganz aufgebracht, weil sie dich nicht auffinden kann, und Vater ist mächtig enttäuscht, dass du uns einfach sitzen lässt. Weißt du überhaupt, in welche Position sie das bringt? Dass sie den Gästen erklären müssen, du hättest heute etwas Besseres vor? Mutter hat schon angefangen zu erzählen, du leidest unter einer Magendarmgrippe", rief Viktoria. 

„Vika, stell dich nicht so an. Du hast doch deinen wunderbaren Sergej, der sich um dich kümmern kann", sagte Alexey und versuchte, den sarkastischen Unterton zu verbergen. „Und wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, ich habe eine Magendarmgrippe. Viel Spaß heute Abend."

Alexey drückte seine Schwester weg, ehe sie etwas erwidern konnte. Genervt schob er sein Handy in die eine Hosentasche und holte ein kleines Plastiktütchen aus der anderen. Er hatte heute Abend sicherlich keine weiteren Pläne als hier in der Bar zu hocken, sich mit einigen Drinks das Leben schön zu trinken und einige einfachen, mittelschichtigen Mädels den Kopf zu verdrehen. Er hatte keine Lust auf seine Familie, auf das alljährlich aufgesetzte Getue. Auf die hässliche Fratze von Jegor, auf seine Eltern, seine großkotzigen Cousins und seine naive Schwester. Er hatte keine Lust, mit irgendwelchen Verwandten über irgendwelche Fonds zu reden oder über wohltätige Projekte zu berichten. Er holte seine goldene Kreditkarte aus dem Geldbeutel und öffnete die kleine Tüte. Nur ein bisschen dachte er sich. Nur für die Stimmung.  

Einsame SeelenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt