Kapitel 17

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Langsam schlich ich, ohne den Blick von den anderen zu nehmen, auf den Ausgang zu. Sobald ich mit meiner Mutter gesprochen hatte, würde ein Gespräch mit Fabi nötig sein. Sofern ich in der richtigen Position war, ihn zu irgendwas zu verordnen.

Als ich die Umrandung des Eingangs um mich herum erkannte, drehte ich mich um und begann zu rennen. Ich wusste, wo Fabi meine Mutter gesehen hatte. Er hatte es zwar nicht direkt gesagt, doch sein Gesichtsausdruck war mehr als deutlich.

Nach einigen Minuten hatte ich den Rand des Feldes erreicht. Irgendwo hier in der Nähe hielt sich eine Frau auf, welche mich die letzten Jahre lang beinahe durchgängig misshandelt hatte. Mir war definitiv nicht bewusst, warum ich überhaupt nach ihr suchte. Jeder normale Mensch würde rennen solange er nich konnte.

Allerdings konnte ein Teil von mir dem Verlangen nicht widerstehen. Vor knapp zwei Wochen hatte ich meine Mutter von jetzt auf gleich hinter mir gelassen. Die Schuldgefühle fraßen mich noch immer auf. Ich hätte nicht fliehen dürfen. Es war mein Schicksal, vor welchem ich geflohen bin.

Doch nun war ich hier. Ich war bereit, mich meinem Schicksal hinzugeben. Auch wenn ich Angst hatte, Angst, dass es sehr viel unangenehmer werden würde, wenn sie mich wieder mitnehmen würde.

Aber vielleicht würde sie mir ja verzeihen. Wenn sie endlich die ganze Wahrheit kannte, würde sie mich in ihre Arme nehmen und wir würden einen gemeinsamen Neustart machen.

Und Fabi? Den würde ich häufiger besuchen. Aber nur, wenn er aufhören würde, Geheimnisse vor mir zu haben.

"Wo bist du...?" flüsterte ich, mehr zu mir selbst als irgendwem anders, und sah mich suchend um.

Plötzlich vernahm ich eine Bewegung in einiger Entfernung. Mein Herz schien automatisch in dreifacher Geschwindigkeit zu pochen. Der Moment in dem mir klar wurde, dass ich nicht umdrehen konnte, traf mich irritierend stark. Denn in diesem Augenblick fühlte ich all diese Angst, welche ich ebend noch so leicht verdrängen konnte.

Während ich langsam über das Feld zu besagter Person schritt, überschlugen sie die Gedanken in meinem Kopf beinahe.

Es war meine Schuld damals. Hatte sie mich vermisst? Würde sie mir verzeihen? War sie noch wütend? Sie würde mich umbringen, falls sie noch wütend war. Vielleicht liebt sie mich wieder? Hat sie mich jemals geliebt? Sie war doch noch die selbe Person, wie früher...?

Mein Hals fühlte sich seltsam rau an, als ich einige Meter entfernt von ihr stehen blieb. Sie war es ohne Zweifel. Ihr Blick ging in die andere Richtung während sie aufgebracht vor sich hin schimpfte.

"Mama...?" murmelte ich leise, mit überraschendem Ton, da ich selbst nicht erwartet hatte, überhaupt einen Ton herauszubekommen.

Ihre Bewegung erstarrte und für einen Moment schien die ganze Welt um uns herum mit ihr zu erstarren.

Dann unterbrach ihr Lachen die befremdliche Stille. Sie lachte, laut und mit einer drohender Stimme. Ich zitterte. Es war, als ob ihr Lachen in meinem Kopf hallte. Überall konnte ich es hören.

Verunsichert trat ich einen Schritt zurück, doch es war zu spät. Sie drehte sich um und starrte mich mit aufgerissen Augen und einem psychopathischen Grinsen an.

Ihr Anblick versetzte mir einen Stich im Herzen. Ihre Augen waren dunkel und ihr Blick wirkte seltsam leer. Ich versuchte ihr altes Bild in meinen Kopf zurückzurufen. Die Person, welche sie einmal war. Doch es schien, als könnte ich mich plötzlich nicht einmal mehr erinnern, wer ich selbst war. Alles schien in sich zusammenzufallen.

"Y/n...mein Kind..." flüsterte sie mit dem noch immer auf ihrem Gesicht verbleibenden Grinsen. Allmählich kroch die Angst meinen ganzen Körper hinauf. Mein Herz pochte.

Ich war so dumm. So furchtbar dumm. Wie konnte ich hier alleine hergehen? Wie konnte ich es für klug halten?

Wie konnte ich sie für dieselbe Person von damals halten...?

Bisher hatte ich sie noch immer so gesehen. Ihr Aussehen, ihre Stimme, ihr Geruch, alles erinnerte mich an meine Vergangenheit. Doch in diesem Moment, in dem sie mich mit diesen großen, leeren Augen ansah, spürte ich nichts. Keinerlei Verbindung. Sie war nicht mehr da. Die Person, auf die ich so sehnlich gewartet habe, ist fort.

Das Klacken eines Klappmessers unterbrach meine Gedanken. Ich wendete meine Aufmerksamkeit wieder meiner Mutter. Ihr Blick hatte sich verändert. Sie wirkte abwesend. Lediglich eine Sache verriet, dass sie überhaupt noch da war. Ein Messer. Sie hielt es in der Hand und langsam richtete sie ihren Blick wieder auf mich.

Ich erstarrte. Sie wollte- sie konnte doch nicht-

"Mama bitte- hör mir zu- e-es tut mir leid! Ich kann dir jetzt alles erklären", sie trat langsam aber sicher auf mich zu, "du musst mir nur zuhören!"

Ich stolperte rückwärts davon. Das war sie nicht. Das war nicht meine Mutter.

Mein Körper verlor sein Gleichgewicht, als ich in eine Vertiefung in der Erde trat. Für einen Moment stand alles still. Dann stürzte ich mit einem erschrockenen Aufschrei zu Boden.

Mit wenigen Schritten stand sie direkt vor mir. Es folgte kein Zögern. Nicht einmal ein Hauch von Liebe. Sie beugte sich zu mir herunter und bewegte das Messer an meine Wange. Langsam drückte sie es in meine Haut.

Der Schmerz war unbeschreiblich. Ich schrie. Heulte. Versuchte mich freizukämpfen. Doch nichts geschah. Sie stoppte erst, als sie das Ende meiner Wange erreicht hatte. Für einen Moment dachte ich, ihre Augen würden zucken in Trauer. Vielleicht eine ferne Erinnerung an ihre Tochter. Vielleicht hatte ich mich auch nur getäuscht.

"Du verdienst das." Ihre Worte brannten sich in meine Seele. Ich wollte irgendetwas erwidern, irgendetwas tun. Doch es schmerzte zu sehr. Das Blut lief meine Wange hinunter während meine Mutter ihr Gewicht von mir nahm. Sie zog mich an meinem Arm hoch und bohrte ihre Fingernägel in diesen.

Sie würde mich mit zu sich nehmen. Es ging nicht mehr um die Wut, die sie einst empfunden hatte. Oder die Trauer. Das hier war Rache. Sie wollte Rache an ihrer eigenen Tochter für dessen Verrat.

"Nein." antwortete ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

"Was?" fragte sie. Ich konnte die Überraschung in ihrer Stimme hören.

"Nein!" schrie ich und riss meinen Arm aus ihrem Griff. Ihre Fingernägel kratzen mir die Haut auf doch dieses Mal spürte ich den Schmerz nicht. Ich rannte. Schneller als ich es je für möglich gehalten hatte. Zurück zum Steinbruch. Zurück zu Fabi.

Hinter mir hörte ich ihre Schritte während meine Beine über den Boden flogen. Sie war schon immer schnell gewesen, wenn wir früher fangen gespielt haben. Doch dieses Mal durfte ich nicht verlieren.

Ich stürmte zum Eingang des Steinbruchs in welchem eine regelrechte Panik ausgebrochen war. Bevor irgendwer mich hätte bemerken können, machte ich mich bemerkbar.

"FABI!" meine Stimme hallte, lauter und schmerzverzehrter als ich es je für möglich gehalten hätte, durch den Steinbruch. Augenblick sah ich ihn. Er stand nervös in der Mitte des Steinbruchs und drehte sich, meinem Schrei folgend, augenblicklich um.

Ich klammerte mich an ihn und vergrub mein Gesicht in seiner Brust. Der Schmerz an meiner Wange erschien mir dabei vollkommen nebensächlich. Seine Arme umschlungen meinen zitternden Körper. Plötzlich schienen die Schreie in den Hintergrund zu rücken. Ich nahm sie mit jeder Sekunde weniger war, bis meine Gedanken verstummten.

Fabi X Reader // Die wilden KerleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt