Amira wusste noch immer nicht genau, was sie von der Situation halten sollte. Er bot ihr einen Handel an, bei dem er zwar einen Vorteil hatte aber auch ein großes Risiko trug. Er war sicher nicht so dumm zu glauben, dass sie ihm gegenüber das friedliche Lämmchen spielen würde. Die Gefahr, dass sie, eine ihm unbekannte Frau, ihm eines Nachts in den Rücken stechen würde, war relativ groß. Dachte er vielleicht, dass sie sowieso keine Chance hatte? Oder brauchte er tatsächlich Hilfe, bei etwas, dass ihr Leben aufwog?
Mittlerweile waren die beiden wieder aus der Burg verschwunden. Amira hatte etwas von dem Gold mitgehen lassen, dass In Ramires Schlafgemach gewesen war. Er dachte ja sowieso schon, dass sie nur ein gieriges Menschlein war, da konnte sie sich auch so benehmen.
Wie erwartet stand Thalia noch an ihrem Platz und graste gemütlich vor sich hin, als die beiden sich ihr näherten. Weder Amira noch der Engel hatten irgendwas gesagt, als sie sich zusammen aus der Burg schlichen, was der Frau schwer fiel, da die Verletzungen doch mehr zusetzten als gedacht. Zugeben würde sie das gegenüber dem arroganten Mistkerl natürlich nicht. Das fehlte ihr noch, dass er sich darüber lustig machte, wie schwach und menschlich sie doch war, im Gegensatz zu ihm.
Die Stute hob den Kopf, als sie die beiden hörte und begrüßte Amira mit einem freudigen Schnauben. Ihn jedoch musterte sie neugierig und misstrauisch zugleich. Auch sie schien nicht zu wissen, was sie von dem Engel halten sollte.
"Und nun?" fragte sie und sah ihn scharf an. Die Diebin versuchte nicht einmal das Misstrauen in ihrer Stimme zu verbergen. "Ich hab dem Handel zwar zugestimmt aber wenn du denkst, dass ich nicht jedes Detail über diesen wissen möchte, dann bist du für ein Geschöpf des Himmels verdammt dämlich" warnte sie ihn mit eiskalter Stimme. Sie würde sich auf den Handel einlassen, doch keineswegs ohne Forderungen zu stellen. Ihr war klar, dass sie keine Chance gegen ihn hatte, doch wenn sie unvorbereitet solch eine Nummer mit ihm durchzog, dann wäre sie genauso geliefert.
"Schlaues Mädchen" brummte er mit einem amüsierten Grinsen. Er schien weder Probleme mit dem sehen in der Dunkelheit, noch mit den Verletzungen zu haben. Unmenschlich. "Du willst also Details? Nun, der Mann, denn ich, vorzugsweise WIR umbringen werden, ist eine wichtige Person. Er ist meinem Auftragsgeber im Weg... den Plan erklär ich dir wenn wir da sind, was in etwa in fünf Tagen sein dürfte, wenn wir deine Menschlichkeit in Betracht ziehen" erklärte er ihr schulterzuckend, während er sich nochmal zur Burg umdrehte, um die Feierlichkeiten noch etwas zu beobachten. Was ein arroganter Mistkerl dieser Typ doch war.
"Sagt der Engel, der es geschafft hat sich von einer einfachen sterblichen den schönen Flügel aufschlitzen zu lassen" gab Amira schnippisch zurück, als sie Thalia von dem Baum los machte und ihr dann auf den Hals klopfte. Wenn er spielen wollte, konnte er das haben aber spätestens wenn sie in dieser fremden Stadt ankamen, würde er ihr verraten müssen, was das alles zu bedeuten hatte. Bis dahin würde sie sich wohl etwas gedulden müssen. Gedulden und ihm auf den Zahn fühlen. Er war ein Engel. Eine Kreatur, die sie nur aus den glorreichsten Legenden kannte und über die sie fast nichts wusste. Amira wollte mehr darüber erfahren.
"Tsk" gab er nur zurück. Amira konnte ihn einfach nicht einordnen. Er war ein gefallener Engel, was die schwarzen Flügel und die rebellische Draufgänger nummert erklärte. Es war auch logisch, dass er sich ihr gegenüber so arrogant benahm, schließlich war er ein übermenschliches Wesen, dass sie innerhalb von Sekunden platt machen konnte. Doch da war auch diese spöttische Ader. Dieses fast menschliche Spotten, was ihn total zu amüsieren schien. Als wäre es ihm egal, dass vermutlich alles was er tat eine Sünde war.
Die junge Frau musterte noch einmal kurz die Flügel und schwang sich dann auf ihre Stute. Diese schnaubte kurz beleidigt, da sie ja nun nicht mehr grasen konnte aber setzte sich dann brav, wenn auch etwas widerwillig in Bewegung. Der Mann, der ganz in schwarz gekleidet war, setzte sich ebenfalls in Bewegung. Er kannte den Weg, weshalb sie ihm folgen musste, auch wenn ihr das ganz und gar nicht gefiel.
"Wie heißt du?" fragte der Engel sie, nachdem sie circa eine halbe Stunde unterwegs gewesen waren. Sie hatten nicht miteinander geredet und er schien genauso stolz wie sie zu sein, wenn es darum ging zuerst Neugier zu zeigen. Die unangenehme Stille schien ihm jedoch so sehr auf die Nerven zu gehen, dass er sich entschied doch etwas zu sagen.
"Das geht dich einen feuchten Dreck an" knurrte sie ihm schnippisch entgegen. Als ob sie ihm seinen Namen verriet. Andererseits... "Da ich aber keine Lust mehr habe weiterhin als "Mensch" oder "Mädchen" bezeichnet zu werden... Amira. Mein Name ist Amira." gestand sie dann schließlich. Es half ja doch nichts. "Und deiner? Oder willst du weiter Engelchen genannt werden?" fragte sie und ihr Mundwinkel zuckte ganz kurz.
Der Mann schien es bemerkt zu haben, denn in seinen rabenschwarzen Augen funkelte kurz ein abenteuerlustiges Leuchten auf. "Castile." antwortete er knapp. Der Name schien aus dem Reich der Götter zu sein, denn sie hatte ihn noch nie zuvor gehört. Castile. Das klang so elegant und doch so Finster wie die Nacht. Ja, das passte zu ihm. Er schien rein und kalt, doch auch dunkel und einsam, genau wie die Nacht.
"Du bist ein... gefallener Engel oder?" fragte sie dann etwas, dass ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge brannte. Sie würden fünf Tage lang durch die Gegend reiten, da musste sie ja wohl irgendwie die Zeit rumkriegen. Außerdem sollte sie wissen, mit wem sie da gezwungenermaßen zusammenarbeitete.
"Ach was? Ich dachte ihr Menschen denkt, dass der liebe Gott uns verschiedenfarbige Flügel gegeben hat, weil er sich für besonders lustig hielt" gab er ihr eine äußerst sarkastische Antwort. Scheinbar hatte sie direkt einen wunden Punkt getroffen. Er fuhr sich durch das schwarze Haar, als wollte er verbergen, dass diese Frage ihn doch etwas verunsicherte.
"Und du? Wo kommst du her? Eine gerissene Diebin, wird sich wohl kaum in Ramires nähe aufhalten ohne ihn auszurauben" brummte er und ignorierte ihre Frage damit ganz gezielt. Er schien nicht in der Stimmung zu sein einer fremden seine Lebensgeschichte zu erzählen und das war sie genauso wenig. Natürlich war sie nicht sein Todfeind, doch wirklich froh über die Situation war sie nicht. Castile zwang sie in eine fremde Stadt und zu einem Auftrag, zu dem sie weder Details kannte noch ihrem "Partner" vertraute. Wie viel sollte sie ihm also über sich verraten?
"Ich komme aus Zinambra" gab sie knapp zurück. Wenn er nichts von sich preis geben wollte, dann würde sie es ihm auch nicht so leicht machen. Thalia ging noch immer in einem genüsslichen Tempo und hin und wieder sah sie sich neugierig um. Die beiden waren jetzt schon sehr weit weg von Zuhause und Thalia war sehr interessiert an der neuen Umgebung. Nach einigen, sanften Ermahnungen trottete sie jedoch brav weiter.
Castile warf einen neugierigen Blick zu dem Pferd hinüber, das Amira verlässlich durch den Wald trug. Warum sah er ihr Pferd so an? Gab es im Himmel solche Vierbeiner überhaupt? Er schien jedenfalls nicht ängstlich oder genervt zu sein. Ganz im Gegenteil. Er schien... fasziniert?
"Gefällt sie dir?" fragte Amira und streichelte Thalia sanft über den Hals. Die Stute war wirklich eine Schönheit, mit ihrem braunen Fell und der hellen Mähne. Castile schien das ähnliche zu sehen, denn nachdem er noch einen langen Blick auf Thalia geworfen hatte, schaute er zu ihr hoch. Sein Blick war durchdringend und er nickte. "Sie ist wundervoll" war das einzige was er sagte. Noch immer lief er neben ihr her, was angesichts der Strecke die sie noch laufen würden, ziemlich beeindruckend war.
"Eigentlich gehört sie mir nicht, doch trotzdem bringt sie mich überall hin, wo ich möchte" fügte sie dem ganzen hinzu. Warum? Das wusste sie nicht genau, schließlich wollte sie ihm eigentlich keine Informationen über sich geben, doch irgendwas hatte er an sich, dieser Engel.
"Kleine Diebin" brummte er amüsiert und damit war das Gespräch beendet. Nun liefen sie einfach schweigend nebeneinander her.
Ein gefallener Engel
und eine gerissene Diebin.
Teuflisch und zerstörerisch.
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A fallen angel
FantasyAmira verlor ihre Eltern schon früh, doch das hinderte sie nicht daran sich als gerissene Diebin durchs Leben zu schlagen. Als sie 19 Jahre alt ist, bekommt sie durch Zufall eine wichtige Information. Im Haus eines Adligen findet ein Fest statt, wa...