11. Kapitel - Erin

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In der Mittagspause gingen Heather und ich fast sofort nach draußen. „Es gibt Hackbraten Wellington und glaub mir, den willst du echt nicht probieren!" Ich hatte meiner neuen Freundin einfach vertraut und wir hatten uns kurzerhand bei dem Snackautomat in der zweiten Etage ein paar Snacks geholt und nun saßen wir auf der kleinen Mauer vor dem Schulgebäude und stopften uns mit Süßkram voll.

„Arbeiten deine Eltern eigentlich von zu Hause aus?" Ich war so überrumpelt von der Frage, dass ich Heather einen Moment verwirrt ansah. „Na ja... ihr seid aus London hier her gezogen. Wie haben die das mit ihren Jobs gemacht?" Ich schluckte und sah auf meine Hände.

„Meine Eltern leben nicht hier", sagte ich und spürte Heathers verwirrten Blick auf mir ruhen. „Wie? Du wohnst allein bei deinem Onkel? Kommen deine Eltern nach?" Ich sah sie an und brauchte nichts weiter sagen. Erschrocken sah sie mich an.

„Oh Gott... Tut... Tut mir leid", sagte sie und griff mitfühlend nach meiner Hand.

Ich rang mir ein Lächeln ab und blinzelte die aufkommenden Tränen schnell weg. Ich wollte jetzt auf keinen Fall anfangen zu weinen. Ich hatte sowieso das Gefühl, als würden mich alle beobachten. Ich wollte nicht die Neue sein, die mitten auf dem Schulhof heulend zusammenbracht.

„Schon okay", sagte ich schnell und sah Heather lächelnd an. „Ich mach da nie ein großes Ding draus oder rede darüber. Ist halb so wild", sprach ich weiter und entzog ihr meine Hand. „Ist auch schon eine Weile her. Es hat nur länger gedauert, bis man meinen Onkel gefunden hat. Ehrlich, bitte schau mich nicht so an!" Heather nickte und schob sich einen Schokoriegel in den Mund.

„Also lebst du mit deinem Onkel alleine auf dem Anwesen?" „Nicht ganz. Celestine und Nathanael haben auch ihre Zimmer im Anwesen. Beziehungsweise einen ganzen Flügel für sich. Bis jetzt habe ich vom Anwesen auch noch gar nicht so viel gesehen. Aber wir haben anscheinend sogar Ställe. Zumindest habe ich letztens Pferde gesehen", erzählte ich und nahm mir eine Handvoll Gummibärchen.

„Klar, die McAlistair und die Nox haben die besten Pferde in der Stadt. Aus deren Linie sind schon so einige erfolgreiche Rennpferde entsprungen", sagte Heather und ich sah sie überrascht an. „Echt?" Sie nickte. „Ich interessiere mich jetzt nicht wirklich für den Pferdesport", murmelte ich. „Ich auch nicht wirklich. Mein Vater aber total! Er ist so vernarrt in Pferde, dass meine Mutter regelmäßig sagt, dass es sie nicht wundern würde, wenn er sie für ein Pferd verließe!" Heather lachte und ich stimmte in das Lachen mit ein.

Kurz herrschte Schweigen und die Zeit nutzte ich, um mich auf dem Gelände umzusehen. Ein paar Jungs, die etwas älter waren als wir, chillten am Basketballkorb. Einer von den vieren warf ständig einen Basketball in Richtung Korb, ohne auch nur einen zu versenken. Er war ziemlich süß, mit den braunen, leicht lockigen Haaren. Er hatte eine sportliche Statur, aber ein Basketballspieler würde er wohl nie werden. „Das ist Cory James Karamakov", riss Heather mich aus meinen Gedanken. Ich sah sie an und sie grinste.

„Er ist jetzt in der Abschlussklasse. Der dunkelhaarige, blasse Junge, der da im Gras liegt, das ist Kaden White. Auch in der Abschlussklasse. Und der Schwarzhaarige auf der Bank ist Henry Nox. Er ist Cathie Nox' Bruder und ein ziemlicher Blödmann, wenn man Cathie glauben will. Allerdings behaupten ja alle irgendwie, dass die Geschwister ätzend sind. Und der blonde Junge mit der Brille und dem Buch in der Hand ist Jason McCain. Er ist echt lieb und gibt in den unteren Jahrgängen sogar Nachhilfe", erklärte sie und mir entging nicht, wie ihre Stimme einen träumerischen Unterton bekam, als sie von Jason erzählte.

„Du findest ihn toll?", fragte ich und sie wurde rot. „Na ja... er ist süß und lieb und intelligent. Aber er ist viel älter als ich und hat mich auch noch nie gesehen oder so. Ich himmle ihn ehr so von weitem aus an", sagte sie. „Verstehe ich... Also was du an ihn so süß findest. Mein Typ geht ehr so in die Richtung von Cory", sagte ich und beobachtete, wie er wieder einen Korb versemmelte. Ich schmunzelte.

„Ja, die meisten Mädchen finden Cory super. Da kannst du dich gleich hinter unserem Blondinen-Club einreihen. Also zumindest hinter Cathie. Und die hat glaube ich eine reale Chance, dass da irgendwann mal mehr draus wird. Also kleine Schwester von Henry, seinem besten Freund...", sagte Heather und seufzte.

„Ich meine ich kann es verstehen. An Henry kommt man sowieso nicht ran. Seine letzte Freundin war Joanne Wilson und die ist vor zwei Jahren hier weggezogen. Danach war Henry nur noch solo. Kaden ist nicht mehr auf dem Markt. Hat eine Freundin seit zwei Jahren, die letztes Jahr ihren Abschluss gemacht hat und jetzt in Oxford studiert. Jason ist ehr der unscheinbare Typ, der nie jemanden an sich ran lässt. Und Cory... Na ja hat, beziehungsweise hatte, viele Freundinnen. Gerne auch mal zur selben Zeit. Aber trotzdem rennen ihm die meisten hinterher. Liegt glaube ich an seinem Humor und seiner Art", erklärte sie mir, während ich beobachtete, wie Cory den Ball zu diesem Henry warf, der ihn gerade so abfing und zurück schleuderte.

„Ich glaube es liegt ehr daran, dass die meisten Mädchen auf diese Art von Jungs stehen, die nicht gut für einen sind", sagte ich und sah Heather an. „Sie wollen die Eine sein, die ihn verändert und die ihn zu einem treuen und liebevollen Mann macht", fügte ich dann weiter hinzu. Heather nickte nachdenklich. „Zählst du dich auch dazu?", fragte sie und ich lachte.

„Gott nein", sagte ich und sah wieder zu der Gruppe, zu der sich mittlerweile Cathie und ihre zwei Freundinnen gesellt hatten. Allerdings zogen sie ganz schnell wieder ab. „Ich mach es wie du. Ich himmle Jungs, die ich süß finde von Weitem aus an, ohne irgendwas zu unternehmen. Vor allem Jungs, die nicht gut für einen sind!" Ich grinste Heather an und sie lachte. „Ich wusste, dass wir zwei uns sehr gut verstehen würden!", sagte sie und ich lächelte.

Ich war wirklich froh, dass Mr. Watanabe mich gestern neben Heather gesetzt hatte. Irgendwie konnte ich es mir nicht vorstellen mit jemand andere Zeit zu verbringen, als mit ihr. Sie war so lieb und fröhlich und sie erinnerte mich ein bisschen an Daisy. Mit dieser ungezwungenen, lockeren Art, die einen sofort willkommen hieß.

„Hast du echt sofort gewusst, dass wir uns gut verstehen würden?", fragte ich schließlich. „Na ja... nicht sofort. Im ersten Moment dachte ich, dass du so wie Cathie, Noelle und Felicity bist. Aber als du gestern dann Cathies Angebot, dir die Stadt und die Schule zu zeigen abgelehnt hast, wusste ich irgendwie, dass wir Freundinnen werden würden", gestand sie zögernd.

Ich lächelte. „Und dann bin ich zu meinem Onkel ins Auto gestiegen", grinste ich und Heather lachte. „Ja, das war ziemlich überraschend", sagte sie und schob sich das letzte Stückchen ihrer Lakritzstange in den Mund.

„Aber ich konnte es auch irgendwie verstehen, dass du nichts gesagt hast. Ich meine klar, du sagtest ja, dass du keine Ahnung hattest, wie wichtig dein Onkel und Mr. Nox sind. Aber wo ich gestern darüber nachgedacht habe und noch nichts wusste, außer dass du die Nichte von William McAlistair bist, da habe ich einfach gedacht, dass du nicht wolltest, dass man dich nur auf deinen Onkel reduziert", sprach sie weiter, während sie die Lakritzstange zerkaute.

Ich wollte gerade etwas darauf erwidern, als ich einen orangefarbenen Basketball auf uns zu hüpfen sah, der Heather definitiv am Kopf getroffen hätte, wenn ich den Ball nicht im letzten Moment abgefangen hätte. Erschrocken kreischte Heather auf und dann lachten wir beide los, während ein Junge mit braunen, leicht lockigem Haar auf uns zu gejoggt kam. 

Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt