32. Kapitel - Henry

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Schon bevor ich das Gespräch von Erinna und William gehört hatte, hatte ich gewusst, dass sie morgen zu dem Basketballspiel gehen würden.

Cory hatte in unseren Gruppenchat bereits alle Informationen geteilt und während Jason und Kaden ihn beglückwünschten, hatte ich mich zurückgehalten.

Ich wusste nicht, wieso ich es nicht gut fand, dass die beiden offensichtlich irgendwas am Laufen hatten. Und ich konnte dieses blöde Gefühl auch einfach nicht abschalten.

Ich lief zu den Ställen und ließ mir von Sam ein Pferd geben. Natürlich hatte mein Vater nicht dafür gesorgt, dass man Salima hier her brachte.

„Stone Age ist heute ein wenig stur. Seien Sie vorsichtig", sagte Sam und ich nickte.

Als ich an den grauen Schimmel heran trat, schnaubte er und stampfte mit den Hufen auf. Vorsichtig strich ich ihn über die Nüstern.

„Hey, ist ja gut mein Großer", sagte ich leise und strich ihm einige Mal beruhigend über den Hals.

„Sam, hätten Sie vielleicht einen Helm für mich?", fragte ich und der Stallbursche nickte.

Obwohl Stone Age sich langsam beruhigte beschloss ich,dass Sicherheit vorging. Bei Salima war ich mir sicher, dass sie mich nichtabwerfen würde. Aber Stone Age...

Schon wenig später schritt ich durch das Portal und machte mich auf den Weg zu Liron.

Anders als sonst, wartete er bereits am Seeufer auf mich und ich war wirklich froh darüber. Ich hatte nicht wirklich Lust in den See zu steigen.

In Lavandia hatte der Herbst bereits begonnen und die Temperaturen waren arg gefallen. Nicht wirklich angenehm, für ein Bad im See.

„Entschuldige, wenn du warten musstest", sagte ich und stieg vom Pferd. Liron nickte und sah mich abwartend an.

Ich wusste, dass er eine Antwort haben wollte. Er wollte wissen, ob wir bereits herausgefunden hatten, wer seine Tochter auf dem Gewissen hatte.

„Es tut mir leid Liron. Wir tun wirklich alles was möglich ist und glaube mir, Merylin und Yilva wollen genauso wie du wissen, wer dafür verantwortlich ist, aber..."

„Aber ihr seid noch nicht weiter gekommen", unterbrach der Nymphenkönig mich ruhig. Widerwillig nickte ich.

„Aber ich verspreche dir..."

„Versprich nichts, was du nicht halten kannst. Seit dem Tod meiner Tochter ist ein halber Mond vergangen. Ich möchte antworten und wenn die Elfen mir keine geben können, werden sie stellvertretend für das, was passiert ist, bezahlen müssen. Richte Yilva aus, dass sie noch Zeit bis Vollmond hat!"

„Liron..."

Ich konnte meinen Satz schon nicht mehr beenden, da verschwand er im Wasser.

Ich seufzte und stieg zurück aufs Pferd. Ohne lange zu überlegen ritt ich zum Palast um Yilva die weniger guten Nachrichten zu überbringen. Doch sie war nicht da.

Normalerweise fand man Yilva entweder im Thronsaal, oder draußen in ihrem Garten. Doch heute war der Palast wie ausgestorben. Nicht einmal einen ihren Leibwächter sah ich.

Normalerweise hätte ich einfach gewartet, bis sie zurück kam, doch irgendwas war heute anders.

Einer Eingebung folgend ging ich im schnellen Schritt die Treppe nach oben und als würde mich eine unsichtbare Kraft ziehen, stieg ich noch weiter hoch, bis ich im Turmzimmer vom alten Gambitz war.

Der alte Gambitz sah mir entgegen. Heute wirkte er sogar überraschend normal, da er in der Gestalt einer Elfe war.

„Hier, ich glaube deshalb bist du hier", sagte er und hielt mir eine Schriftrolle entgegen. Meine Schriftrolle. Die, die ich vor zwei Jahren noch nicht lesen konnte.

Jetzt spürte ich, wie mich das Pergament quasi rief und ohne zu zögern nahm ich die Rolle an mich und öffnete sie.

In geschwungenen Buchstaben, geschrieben mit Feder und Tinte, sprangen mir nur wenige Zeilen entgegen.

„Feuer erlischt unter des Wasser Kraft, doch auch Wasser schwindet bei des Feuers Macht..."

Ich sah den alten Gambitz an.

„Ich verstehe nicht...", sagte ich und er lächelte milde.

„Manchmal verstehen wir die offensichtlichsten Dinge nicht, während die kompliziertesten Dinge uns sehr einfach erscheinen", sagte er und ich seufzte.

„Der Sinn wird sich mir noch ergeben, oder?"

„Ich weiß es nicht. Wird es so sein?", fragte er alte Gambitz und sah mich vielsagend an. Frustriert drückte ich ihm das Pergament zurück in die Hand.

„Sicher", murmelte ich und wandte mich ab.

„Weißt du zufällig, wo Yilva ist? Ich muss dringend mit ihr sprechen", sagte ich und trat bereits aus dem Zimmer.

„Sie ist im Dorf. Besorgungen für den Palast machen. Henry... Manchmal wissen wir was die Prophezeiungen bedeuten, wollen es aber nicht wahr haben. Und manchmal möchte man sie falsch interpretieren, weil die Wahrheit schmerzhafter wäre", antwortete der alte Gambitz.

„Jaja...", murmelte ich und stieg die Treppen wieder nach unten.

Und manchmal hat man einfach keine Ahnung, was diese lyrischen Meisterwerke bedeuten sollen...


Avaglade - Die Hüter von Lavandia (Buch 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt