Kapitel 1 (02/04)

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Das Licht der Monde schien noch immer auf sie herab. Doch mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde es ein wenig schwächer. Der Erste von ihnen war bereits verschwunden, verschluckt vom Atlasgebirge, dessen gewaltige Spitzen im Westen aufragten. Die anderen Beiden würden ihm bald folgen. Ihre Zeit wurde knapp.

Tavis und Gesa bewegten sich von einer Ecke zur nächsten. Wie Ratten schlüpften sie durch enge Löcher, die hie und da in den Wänden klafften, oder verbargen sich in dunklen Gassen. Niemals nutzten sie die großen Straßen, es sei denn sie hatten keine andere Wahl. Die Häuser in diesem Teil der Stadt waren groß und gepflegt, ihre Gärten mit prächtigen Bäumen gesäumt, und die Mauern hoch und fast genauso massiv. Sie mussten mehrere Hundert Meter zurückgelegt haben, dachte Tavis, als Gesa endlich zum Stehen kam. Hier, versteckt zwischen dicht gewachsenen Hecken, am Fuße eines kleinen Hangs, der zu einem großen Anwesen führte, erlaubte sich Gesa wieder zu sprechen.

„Wir sind da", sagte sie und zeigte auf eine hohe Mauer, die hinter der Hecke emporragte.

„Wo?"

„Na wo du heute einsteigst, du Torf."

„Nenn mich nicht so."

„Dann stell doch keine dummen Fragen."

Tavis schnaubte zur Antwort. „Verrat mir einfach, wo wir sind."

„Erinnerst du dich an die fette Frau, von der du mir letzten Monat erzählt hast?" Sie blickte ihn neugierig an.

„Du meinst ..." Er überlegte.

„Ich meine die Fette vom Rebenmarkt. Die, die den großen Meisterdieb erwischt hat, als er einen Apfel stehlen wollte."

Tavis' Miene wurde düster. „Ich wollte den Apfel nicht stehlen. Ich habe ihn mir nur angeschaut. Ich wollte ihn kaufen. Was kann ich dafür, wenn sie mit ihren dicken Fingern auf mich zeigt und hysterisch Dieb schreit."

„So so. Tavis Quint, ehrlich und unschuldig wie ein Lamm", sagte Gesa und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Auch, wenn du an diesem Tag deine Finger nicht in fremden Taschen hattest. Ein Dieb bist du trotzdem. Und im Übrigen siehst du auch aus wie einer. Du brauchst dich also nicht zu wundern, wenn dir ständig jemand Wachen auf den Hals hetzt."

Tavis schnaubte erneut. „Sag mir lieber, was mit ihr sein soll. Warum fängst du jetzt von ihr an?"

„Na ich habe sie gesehen. Deine Beschreibung war ziemlich eindeutig. Ein Arsch so breit wie der eines Ogers, gehüllt in ein scheußliches Blumenkleid. Ich dachte damals, du erzählst nur Mist. Aber bei Antea, diese Frau gibt es wirklich." Während Gesa die Frau beschrieb, pustete sie ihre Wangen auf und stapfte plump auf der Stelle herum. „Man war die gewaltig", presste sie nuschelnd hervor und spannte ihre Arme in einem weiten Bogen um den Bauch. Doch so sehr sie sich auch bemühte, Tavis schien äußerst unbeeindruckt von ihrer Darbietung zu sein.

„Na jedenfalls habe ich sie gesehen" sagte Gesa schließlich und entließ mit einem lauten Schnaufen die Luft aus ihren Wangen. „Ich habe sie bis zu ihrem Haus verfolgt. Und genau da sind wir gerade."

Tavis klappte der Mund auf, als er verstand. Seine Augen fixierten sie und Gesa wusste bereits, welche Frage er als nächstes stellen würde. „Du willst, dass ich in ihr Anwesen einbreche? Einfach so und ohne Plan?"

„Ja, warum denn nicht? Die Gelegenheit ist günstig. Und denk nur an die Ereignisse von heute Nacht. Wer auch immer diese Fremden waren, ich gehe jede Wette ein, dass sie keine Unbekannten sind. Vielleicht sind es Gesandte eines anderen Fürsten. Oder sie kommen direkt aus der Hauptstadt."

„Und wieso ist das für uns wichtig?", wollte Tavis wissen.

„Manchmal bist du wirklich schwer von Begriff. Die alte Frau", und Gesa zeigte dabei auf das Anwesen, „ist Witwe. Was denkst du macht sie den ganzen Tag? Das Einzige, worum ein Mensch wie sie sich sorgt, ist ihr guter Ruf und das Ansehen, das sie bei anderen genießt. Ich gehe jede Wette ein, dass sie längst von den Reitern erfahren hat und sofort aufgebrochen ist, um sie zu treffen."

Tavis Quint - Der ZauberdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt