Sofort ging Tavis in die Hocke und lauschte in die Dunkelheit. Auch wenn er wenig sah, bemerkte er, wie üppig dieser Garten war. Im dichten Nebel glaubte er Bäume zu erkennen. Und irgendwo vor sich – er schätzte die Entfernung auf zwanzig Schritte – hörte er das leise Plätschern eines Teichs.
Kies knarzte unter seinen Sohlen, als er sich dem Wasser nährte. Er bemerkte, wie kleine Fische davonschnellten. Und gerade, als er seinen Blick wieder abwenden wollte, entdeckte er ein silbernes Leuchten, das ihn neugierig machte.
Na, da soll mich doch, dachte er, als er den Pisci sah. „Sie besitzt einen Glücksfisch. Bei Antea. Ein echter Glücksfisch!" Die waren ein kleines Vermögen wert, wusste er. Wenn er so einen verkaufte, konnten sie gut und gerne einen Monat überleben. Zwei, wenn sie sparsam waren.
Mit geweiteten Augen beugte er sich hinab. Seine Hand schwebte vorsichtig über dem Wasser. Er musste nur warten. Er musste dafür sorgen, dass der Pisci sich in Sicherheit wähnte. Und dann ...
Tavis schreckte hoch, als ein Geräusch an seine Ohren drang. Erst ganz leise – mehr wie ein leichtes Schlurfen – hörte er es jetzt deutlich. Sein Herz begann wild zu klopfen. Er sah nicht, wer oder was dort kam. Doch was immer es war, es näherte sich schnell.
Oh verflucht, stöhnte der junge Dieb innerlich. Staub und Asche, wer verflucht ist das? Sein schlanker Körper sank in sich zusammen. Er duckte sich, soweit er konnte, während sein Blick durch den Nebel glitt. Die wabernde Masse machte es fast unmöglich etwas zu erkennen. Ein nervöses Kribbeln zuckte durch seine Glieder. Und dann, wie aus dem Nichts, tauchte ein dunkler Schatten auf.
Tavis verlagerte sein Gewicht. Wieder knarzte Kies unter seinen Sohlen. Staub und Asche. Er hat mich gehört, dachte er erschrocken und sprang auf. Er floh vom Teich und huschte hinüber auf das weiche Gras. Er rannte an einem Baum vorbei. Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Und während er sich einen Weg durch den Garten bahnte, wusste er, dass der Schatten ihm auf den Fersen war.
Wohin jetzt, überlegte Tavis. Dieser Ort war ein verdammter Irrgarten. Er folgte einer kleinen Treppe hinauf. Das Moos auf den Stufen schluckte seine Schritte. Und zum ersten Mal, seit er losgerannt war, glaubte er einen Moment verschnaufen zu können. Seine Freude darüber währte nur kurz. Kaum war er zu Luft gekommen, hörte er erneut, wie etwas näherkam. Ihm blieb keine Zeit mehr. Er warf sich auf den Boden. Feuchte Erde spritzte ihm ins Gesicht. Und nur einen Augenblick später lag er unter einer dornigen Hecke versteckt.
Sein Herz hämmerte wild gegen seine Brust. Der Schatten stand jetzt neben ihm, schien jedoch nicht zu begreifen, wohin der Dieb verschwunden war. Vorsichtig zog Tavis Arme und Beine an, lag völlig still in der Dunkelheit. Er zwang sich ruhig zu atmen. Seine Augen spähten nervös durch das Blattwerk. Und dann – er brauchte einige Sekunden, um zu begreifen – erkannte er, was ihn da verfolgt hatte.
Ein Almuni! Ein verdammter Almuni, grollte Tavis. Ich hätte es wissen müssen. Natürlich besitzt sie eine dieser verfluchten Kreaturen. Alle reichen Leute halten sie sich, als wären sie was Besonderes. Das Wesen stand nur eine Handbreit von ihm entfernt und gab ein tiefes, kehliges Brummen von sich. Seine langen, spitzen Ohren zuckten in wilder Erregung. Am liebsten hätte Tavis sich auf ihn gestürzt. Doch jetzt war nicht die Zeit für dumme Ideen. Nein, er brauchte eine Ablenkung, um den Alm fortzulocken. Und er wusste auch, wie er das anstellen würde.
Noch immer lag er still auf dem Boden. Seine Augen fanden einen Stein, kaum größer als seine Faust. Er war perfekt. Während er sich darauf konzentrierte, stieg ein angenehmes Gefühl in ihm auf. Er lenkte dieses Gefühl. Wie ein Bach aus klarem Wasser floss es durch seinen Arm, durchzog seine Hand, und verließ auf einen Befehl hin seinen Körper, bis es den Stein erreichte.
Mal sehen, wie clever du wirklich bist. Der Brocken schwebte vor Tavis in der Luft. Er wippte hin und her, hielt aber die Balance, ohne den Boden zu berühren. Als die Kreatur sich wegdrehte, gab er ihm einen Stoß und der Stein zischte davon.
Lautes Rascheln hallte durch die Nacht, irgendwo in der Ferne. Nur einen Lidschlag später, setzte der Alm sich in Bewegung, wie ein Bluthund auf der Jagd. Jetzt oder nie, dachte Tavis, als die Kreatur in der Dunkelheit verschwand. Er schlüpfte aus seinem Versteck und lief in die Richtung, wo er das Haus vermutete. Kalt strich ihm der Nebel über die Haut. Nachdem er einige Meter gelaufen war, fand er eine Wand, die hoch hinaufragte und sich nach oben wieder im Dunst verlor. Er blickte zurück in den Nebel. Stille hatte sich über den Garten gelegt. Doch irgendetwas war seltsam daran. Tavis spürte, wie sich die kleinen Härchen in seinem Nacken aufstellten. Er glaubte zu spüren, dass er nicht allein war, dass ihn jemand beobachtete, sich aber verborgen hielt. Mach dich nicht lächerlich. Der Alm ist in die falsche Richtung gelaufen und jagt einem Geist hinterher. Er vertrieb die Gedanken. Da ist nichts. Nur Einbildung.
Kurze Zeit später hatte der junge Dieb eines der Fenster geöffnet und sich Zutritt zum Haus verschafft. Die Dunkelheit im Innern ließ ihn nur erahnen, dass alles an diesem Ort prunkvoll, ja fast schon verschwenderisch war. Er sah hohe Regale, vermutlich mit seltenen Büchern gefüllt. Er bemerkte Bilderrahmen an den Wänden und Skulpturen auf hüfthohen Säulen, die mit toten Augen zu ihm hinüberspähten.
Die Dielen unter Tavis' Füßen knarzten, während er sich einen Weg durch den Raum bahnte. Am anderen Ende sah er eine Tür, die einen Spalt weit offenstand. Er zog sie auf, schlich hinaus auf den Flur, und fand sich in der Stille des Hauses wieder.
Nichts regte sich, während er durch die Dunkelheit schlich. Ab und zu knackte es in den Wänden. Das alte Holz ächzte unter der Last seiner Jahre. Doch davon abgesehen, war es gespenstisch still. Zu still. Erst nach einer Weile – Tavis hatte seine ganze Konzentration aufbringen müssen, um sich nicht zu verirren – fand er eine Treppe, die ihn nach oben führte. Am Ende angekommen, atmete er erleichtert aus. Hier war es besser. Blasses Mondlicht erhellte den Gang. Es fiel durch die Fenster im Westen und wies ihm den Weg, bis er eine schwere, mit Ornamenten versehene Tür fand.
Während Tavis die Tür betrachtete, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Hier ist es, dachte er. Hier muss ich suchen. Es war bloß ein Gefühl gewesen, ein Funke von etwas, das er nur schwer beschreiben konnte. Doch dieses Gefühl hatte ihm schon oft geholfen. Es hatte ihn an die richtigen Orte geführt und würde das auch heute tun, überlegte er, während er den Griff der Tür langsam hinunterdrückte.
Eine kühle Brise wehte ihm entgegen, als er den Raum betrat. Eines der Fenster stand offen und ließ leichte Schwaden von Nebel hinein. Er waberte über den Boden und berührte Tavis' Füße, während dieser sich neugierig umsah. In einer Ecke, am Fuße eines gewaltigen Spiegels, fand er teure Kleider. Sie lagen hier und dort oder waren wild ineinander verschlungen, als hatte jemand in großer Eile nach etwas Passendem zum Anziehen gesucht, nur, um am Ende ein fürchterliches Chaos zu hinterlassen. Weiter hinten im Raum – er schätzte, dass das Zimmer größer war als die Hütte, in der er lebte – entdeckte er ein riesiges Bett. Auch hier herrschte ein einziges Durcheinander. Doch Tavis ignorierte all das. Er ignorierte die Schränke, die vor Kleidern nur so überquollen. Er achtete nicht auf die Kommode, die wer-weiss-was enthalten mochte. Er sah noch nicht einmal die kleine Skulptur aus feinstem Rosenquarz, die bereits zum Greifen nah war, die sich ihm fast entgegenreckte, als wollte sie von ihm gestohlen werden. Nein, Tavis' Augen hatten etwas anderes erspäht. Mit vorsichtigen Schritten näherte er sich einem Tisch. Die Spitzen seiner Finger kribbelten. Sein Mund war wie ausgetrocknet.
„Ich wusste es. Staub und Asche. Natürlich besitzt sie so etwas." Vor ihm lag ein Runenkästchen aus dunklem Ebenholz. Das Material war glatt und fühlte sich kühl an, als er mit einem Finger darüberstrich. Den Goldring daneben beachtete er kaum. Ein kurzer Blick. Ein flinker Griff. Und schon war der Ring in seiner Tasche verschwunden. Wirklich wichtig war jetzt nur das Kästchen. Sein Herz klopfte schneller, als er seine Finger danach ausstrecke. Doch kaum hatte er es in die Hand genommen, erlosch seine Freude fast augenblicklich.
„Es ist leer." Enttäuschung lag in seiner Stimme. „Beim verfluchten Golgon. Wieso ist es leer?"
„Das kann ich dir verraten", kam eine Antwort aus der Dunkelheit.
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Tavis Quint - Der Zauberdieb
FantasyTavis ist ein Dieb. Mit seiner Freundin Gesa streift er durch die Straßen von Myrne, immer auf der Suche nach der nächsten guten Gelegenheit. Doch die beiden verbindet mehr als das. Vom Schicksal zusammengeschweißt träumen sie von einem besseren Leb...