Kapitel 3 - Der kleine Spion (01/05)

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Alara war bereits wach, als fern im Osten die Sonne aufging. Müde rieb sie sich die Augen und trat an ihr Fenster. Im Dunkel der Nacht zeigten sich erste Risse. Rostrot mischte sich in Schwarz.

„Heute muss es besser laufen", sagte sie sich und griff nach ihrer Lederweste. Ihr Blick schweifte zu den Bergen, die zu dieser Stunde lange Schatten warfen. Er wanderte über die Landschaft des Lindentals, einer ausgedehnten Ebene, die durchzogen war von Wäldern und Wiesen, und blieb schließlich an einem staubigen Feld hängen, das auf einer Anhöhe hinter der Burg lag. Von ihrem Lehrer fehlte jede Spur. Doch sie kannte Severin. Ehe sie ihren Turm verlassen hätte, würde er auf dem Übungsplatz auf sie warten. So, wie er es immer tat.

Ein Klopfen ertönte. Es war nur ein leises Geräusch. So leise, dass Alara es beinahe überhört hätte. Sie drehte sich um und wartete einen Moment. Wieder ein Klopfen.

„Lady Oda?", hörte sie eine Stimme rufen.

Ohne zu antworten, zog sie sich ihre Weste über und schlüpfte in eine bequeme Hose. Sie hatte es nicht eilig die Tür zu öffnen. Sie wusste bereits wer dort auf sie wartete. Es war ein Bote ihres Vaters, ein junger Kerl, dessen Namen sie sich einfach nicht merken konnte.

„Ja?", sagte Alara als sie die Tür einen Spalt weit aufzog.

„Guten Morgen, Lady Oda. Euer ... nun, euer Vater schickt mich. Er lässt ausrichten, dass er das Frühstück heute später einnehmen möchte."

„Später? Was heißt das?"

„Er ... er lässt es um eine Stunde nach hinten verschieben."

„Hat er gesagt wieso?"

„Das ähm, leider nein, Lady Oda. Solche Dinge teilt der Lord mir nicht mit, Verzeihung. Aber er, also, er bittet um Pünktlichkeit."

„Pünktlichkeit?", wiederholte sie. „Aber er ist es doch der sich verspätet."

Der Bote zuckte zusammen bei ihren Worten „Da habt ihr Recht. Nein, ich meine, ... seine Lordschaft ... er ... "

Alara betrachtete ihn eine Weile, neugierig, ob er fähig war einen geraden Satz herauszubringen. Doch sein Gestammel schien nur noch schlimmer zu werden, je länger sie ihn zappeln ließ. „Du darfst gehen", sagte sie schließlich, als sie genug von ihm hatte.

Der Junge versuchte sich mit einer Verbeugung zu bedanken. Doch selbst das wollte ihm nicht recht gelingen, fast so, als hätte das Stottern seinen ganzen Körper erfasst. Dann drehte er sich um und verließ den Turm, so schnell ihn seine Beine trugen. Alara schaute ihm hinterher. Sie dachte nach, über das, was er gesagt hatte. Die meisten Menschen hätten es wenig sonderbar gefunden, dass der Fürst, der ein vielbeschäftigter Mann war, das Frühstück um eine Stunde verschoben hatte. Doch sie kannte ihren Vater. Wenn es um die Familie ging, hatte er strikte Prinzipien. So kam das gemeinsame Essen für ihn einem heiligen Ritual gleich, das nicht gestört werden durfte. Warum also, überlegte sie, passierte das schon wieder?

Ein Sonnenstrahl berührte Alaras Haut. Der große Feuerball war jetzt am Horizont zu sehen. Wie der Vorbote eines heißen Tages brach sein Licht sich im Glas ihrer Fenster. Es schillerte in hellem Gelb, warm und angenehm, dass es für einen Moment so schien, als wäre es honigfließendes Gold. Ich muss mich beeilen, dachte sie. Über ihren Vater würde sie sich später den Kopf zerbrechen. Sie zog die Tür hinter sich zu und machte sich auf den Weg.

Wie sie erwartet hatte, war Severin bereits da. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt blickt er in ihre Richtung. Seine Augen wirkten freundlich und ruhig, seine Haltung entspannt. Nichts an ihm verriet was er gerade dachte.

Tavis Quint - Der ZauberdiebWo Geschichten leben. Entdecke jetzt