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Peter sitzt an seinem Schreibtisch und macht seine Hausaufgaben. Der Unterricht ist zwar ziemlich langweilig für ihn, immerhin kennt er schon alles, aber die Hausaufgaben nehmen dennoch immer den Großteil seiner Zeit nach der Schule ein.

Völlig vertieft in seinen Englischaufsatz über die Unabhängigkeitserklärung, überhört er das Schlüsselgerassel vor der Haustür und das erschöpfte Rufen von Tante May. Peter realisiert ihr Ankommen erst, als sie ihm auf die Schulter tippt und er vor Schreck mitsamt dem Stuhl zur Seite kippt. "Entschuldige, ich wollte dich nicht so erschrecken.", kichert Tante May, "Hilfst du mir beim Einräumen der Einkäufe? Ich muss gleich wieder los, du weißt ja, dass ich eine extra Schicht heute arbeite. Wir brauchen einfach das Geld."

Noch immer sein Hintern vor Schmerz reibend, macht sich Peter auf in die Küche und beginnt die Einkäufe einzuräumen. Er weiß zwar, dass sie nicht viel Geld haben, aber der Anblick der spärlich bepackten Tüten und dem gänzlich leeren Kühlschrank lassen ihn dennoch schwer schlucken. Peter versucht sein Bestes das hungrige Grummeln seines Magens zu unterdrücken beim Anblick des leeren Kühlschranks. Er weiß, dass Tante May viel zu viel arbeitet, um genug Geld für die Miete und Essen zusammenzubringen und dennoch reicht das Geld am Ende des Monats kaum noch aus, um für beide genug Essen kaufen zu können, wenn Peter kein vielfach schnelleren Stoffwechsel hätte. So kann er nur das Grundbedürfnis an Nahrung stillen, wobei er kränklich dünn wirkt und auch seine Heilungsfähigkeiten stark bis völlig eingeschränkt sind. Bei der ganzen Geldproblematik hilft es natürlich auch niemanden, dass Peter ständig neue Rucksäcke braucht, weil er seine offiziell verliert. Inoffiziell lässt er sie in kleinen, dunklen Seitenstraßen, wenn er als Spiderman unterwegs ist, wo sie meisten geklaut sind, wenn er wieder zurückkommt.

Kaum sind die Einkäufe fertig eingeräumt und der Apfel als Ersatz zum Mittagessen von Tante May aufgegessen, zieht sie Peter in eine enge Umarmung und gibt ihm einen Kuss auf sein widerspenstiges lockiges Haar. "Du musst mehr essen, du bist ja ganz mager.", sagt sie mit einem strengen Blick zu Peter. "Ach je, so spät schon. Ich muss los. Hab dich lieb und vergiss deine Hausaufgaben nicht", und schon war sie wieder aus der Tür verschwunden, auf dem Weg zur Arbeit. Peter macht sich wieder an seinen Aufsatz und versucht sich nicht allzu einsam zu fühlen. Der letzte Abend, an denen sie beide daheim waren, gemeinsam gekocht haben und den Abend mit einem Serienmarathon  geendet haben, ist schon ziemlich lange her. Tante May muss viel arbeiten und deshalb ist Peter die meiste Zeit alleine in der kleinen Wohnung, wenn er nicht als Spiderman unterwegs ist, um den kleinen Menschen zu helfen.

Die Uhr zeigt bereits nach 21 Uhr, als er endlich mit all seinen Hausaufgaben fertig ist. Eigentlich wollte er schon seit einer Stunde auf Patrouille sein. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, springt er schnell auf, streift sich seine Alltagskleidung ab und schlüpft in seinen improvisierten Anzug, der eher einem Schlafanzug ähnelt, aber Peter liebt ihn. Allein bei dem Gedanken, wie vielen Menschen er in diesem Anzug bereits geholfen hat, lässt ihn über die vereinzelten Löcher und den angesenkten Ärmeln vom Hausbrand letzter Woche, bei dem er ein kleines Mädchen und ihr Kaninchen vor den Flammen gerettet hat, hinwegsehen.

Für Juni ist es eine selten kalte Nacht und deswegen sind auch weniger Menschen als sonst auf den Straßen unterwegs. Dennoch hat Peter einen Überfall auf eine Bank verhindert, ein geklautes Fahrrad zurückgebracht, eine Katze vom Baum geholt und einer alten Dame über die Straße geholfen, wofür er Churros geschenkt bekommen hat. Sein knurrender Magen verrät ihm, dass es wieder Zeit ist etwas zu essen. Wenn er sich Recht erinnert, war das letzte Mal ein schrumpeliger Apfel zum Frühstück gewesen, den er sich auf dem Sprint zur U-Bahn noch schnell in die Tasche gesteckt hat. 

Umso genüsslicher nimmt er einen Biss von dem noch warmen Churro auf einem Dach, von dem er eine gute Sicht auf die noch lebende Stadt hat. Ein unterdrückter Schrei, den Peter nur durch sein verstärkter Hörsinn wahrnehmen konnte, durchbricht den kurzen Moment des Friedens. Ohne darüber nachzudenken, wirft er seinen angebissenen Churro zu Seite und schwingt los. Am Ort des Geschehens angekommen, eine dunkle Gasse, sieht er einen verängstigen Geschäftsmann, der versucht seine Aktentasche schützend vor sich zu halten. Vor ihm steht eine hochgewachsene dunkle Gestalt, in der einen Hand ein großes Messer haltend.

"Hat dir Mami nicht beigebracht, dass man mit Messern nicht spielt?", ruft Spiderman, als er hinter der dunklen Gestalt landet und mit einem Webschuss dem Angreifer das Messer abzunehmen versucht. Um einen Meter verfehlend, trifft er nicht das Messer, sondern die Aktentasche des Geschäftsmannes, die dieser daraufhin fallen lässt und an den beiden vorbeirennt, um in Sicherheit zu gelangen. Kaum eine Sekunde verstreicht, als der Maskierte bereits auf Spiderman mit gezückten Messer zu rennt. Sich duckend und mit einem Faustschlag in die Magengegend bringt Spiderman den Angreifer ins Wanken, was aber nicht lange anhält. Bereits macht er sich bereit für einen erneuten Angriff und sticht mit dem Messer auf Spiderman ein. Diesmal kann er sich nicht schnell genug wegducken und merkt einen schmerzenden Schnitt am rechten Oberarm. Das fehlende Essen fordert letztendlich, doch sein Tribut, denkt Peter noch, als er plötzlich einen stechenden Schmerz im Unterbauch spürt und daraufhin zusammensackt. Seine Umgebung beginnt langsam zu verschwimmen, der klebrig feuchte Fleck, der sich an seinem Anzug ausbreitet, spürt er schon nicht mehr, ebenso den Tritt, den der Angreifer ihm beim Vorbeirennen noch verpasst. Dann wird alles um ihn rum schwarz.

"Ugh", mit dröhnendem Kopf und schweren Lidern versucht Peter langsam seine Augen zu öffnen. Jede Bewegung lässt eine unerträgliche Schmerzwelle durch seinen Körper schießen. Langsam versucht er sich auf dem kalt feuchten Boden aufzusetzen. Als seine Sicht sich nicht mehr dreht, begutachtet er vorsichtig den Schlitz in einem Anzug, durch das der Angreifer sein Messer stoß. Der Stoff klebte klamm an seinem Körper, aber sein erhöhtes Heilungsvermögen, scheint die Blutung gestillt zu haben. Peter weiß, dass er nicht länger in dieser dunklen Gasse sitzen kann. Heute ist eine Schulnacht und diese Verletzung muss schleunigst gereinigt werden. Mit seinen letzten Kräften, stemmt er sich hoch und schwingt langsam zurück in Richtung des kleinen Apartments, dass er sich mit seiner Tante teilt.

Dort angekommen, erkennt er erleichtert, dass diese noch bei der Arbeit ist und schleppt sich unter Schmerzen ins Bad, wo er vorsichtig sein Anzug abstreift. Den muss er flicken und wieder saubermachen, bevor er ihn wieder verwenden kann. Aber zuerst muss die Wunde gereinigt werden. Sich im Spiegel anschauend, zuckt er unter erneuten Schmerzen zusammen. Nicht nur hat er dunkle Schatten unter den Augen, die Rippen kann man ohne Schwierigkeiten abzählen, so mager ist er und über sein gesamter Oberkörper ziehen sich blaue Flecken in unterschiedlichen Heilungsstadien. Hätte er genug zu essen, wären diese schon längst verheilt, aber er möchte Tante May keine Vorwürfe machen, immerhin arbeitet sie fast nur noch, um genug Essen kaufen zu können.

Aus der Schublade unter dem Waschbecken nimmt Peter einen Waschlappen und befeuchtet ihn mit lauwarmen Wasser, um mit Zähnen zusammenbeißend das getrocknete Blut und den Dreck aus der Wunde zu entfernen, die er schließlich mit einem Pflaster abdeckt. In der Hoffnung, dass die Wunde zum Morgen wieder geheilt ist, schleppt er sich erschöpft in Richtung Bett und sinkt in einen unruhigen Schlaf.

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