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Mit jedem Schluchzen bebt Peters Körper, die heißen Tränen fließen über sein bleiches Gesicht in Strömen und seine Hände hat er so fest zu Fäusten geballt, dass die Knöchel bereits weiß hervorstehen. "Es tut mir so leid, dass ich dich nicht beschützen konnte. Ich war nicht auf deiner Beerdigung, sie ließen mich nicht.", eine weitere Welle von Schluchzern erschüttert Peters Körper. "Ich vermisse dich so. Ich hab niemanden mehr. May, es ist alles so furchtbar. Bitte komm zurück, bitte." Peter lässt sich auf die Knie sinken und stützt sich mit den Fäusten vor sich ab, als wären seine Beine nicht mehr dazu fähig, seinen Körper aufrecht zu halten. "May, sie geben uns nichts zu essen. Wir werden gezwungen, das ganze Haus zu putzen, davor dürfen wir nicht schlafen gehen. Sie sind immer betrunken. Es ist so furchtbar. Überall stinkt es nach Bier. Bitte, May, komm wieder. Ich schaff' das nicht länger." Peters Stimme bricht, "Ich brauch' dich, bitte." Mit vor Tränen verschleierter Sicht blickt Peter auf den Grabstein seiner Tante und unterdrückt ein lautes Schluchzen. Hier liegt seine letzte Familienangehörige, jetzt ist er ganz allein auf dieser Welt. Heute vor einem Monat saß Peter in dem Zimmer des Direktors, gemeinsam mit seinem Sozialarbeiter, der sich nicht um Peter kümmert, und Miss Sun, die ihn anschließend mit ins Waisenhaus genommen hat. "May, ich halt das nicht länger aus ohne dich. Ich kann nicht mehr, bitte. Sie sollen aufhören, sie sollen doch nur aufhören." Atemlos kniet Peter auf der feuchten Erde, die Kälte kriecht bereits seine Beine hoch, doch Peter fühlt nichts, außer diesen vernichtenden Schmerz, wenn er an seine Tante denkt. Erschöpft rutscht er von seinen Knien hoch und umarmt mit erstickten Schluchzern ihren Grabstein, um irgendwo Halt zu finden. Vielleicht spürt er ja so die Nähe seiner Tante. Im Waisenhaus muss Peter den Starken spielen, er tröstet die Kleinen, wenn die Suns mal wieder schreiend durch das Haus rennen, er stellt sich schützend vor sie und erträgt die körperliche Züchtigungen für sie. Sie sind noch zu klein, um diesen Schmerz zu fühlen. Sie sollten Kinder bleiben dürfen, solange es irgendwo möglich ist. Peter ist doch der Älteste, er muss für sie stark bleiben. Hier bei seiner Tante ist der einzige Ort, wo auch er schwach sein darf.

Kraftlos stemmt Peter sich hoch und versucht erfolglos sich die Grasflecken aus der Jeans zu reiben. Es wird Zeit, dass er sich auf den Weg zu Stark Industries macht, nachdem er seine Tante in der Freistunde besucht hat. Mit hängendem Kopf streift er sich seine Kopfhörer über die Ohren und läuft los. Am liebsten würde er sich in seinem Bett vergraben und erst wieder morgen herauskommen, aber sein Bett steht nicht länger in dem kleinen Apartment von Tante May. Nein, sein Schlafplatz besteht aus alten Decken und Kissen, die er zu einem Nest hingerichtet hat, da es nicht genug Betten im Zimmer für alle gibt. Und ein weiteres Problem ist, dass sich sein Schlafplatz im Waisenhaus Sonnenschein bei den Suns befindet. Wenn sie ihn während dem Tag in dem Zimmer finden würden, bei dem Gedanken läuft es Peter kalt den Rücken runter. Erst am Vortag ist Anna ein Glas heruntergefallen und das Glas ist natürlich auf den kalten Steinfliesen zersprungen. Vor Schreck hat Anna zu weinen begonnen und Peter konnte sie gerade noch rechtzeitig nach oben schicken, bevor Mr. Sun gekommen ist und Peter neben den Glasscherben gesehen hat. Dafür hat er ihm auf den nackten Rücken 15 Hiebe mit seinem Ledergürtel gegeben. Peter musste laut mitzählen und sich nach jedem Hieb bedanken. Nachdem 15. Hieb lag Peter blutend und erschöpft am Boden. Mr. Sun hatte ihn nur ausgelacht, wie erbärmlich er doch ist, dass er dankbar sein soll, dass sie solchem Ungeziefer überhaupt ein Dach über dem Kopf geben und ist gegangen. Peter weiß nicht mehr viel von dem Abend, er muss irgendwann auf diesem Boden das Bewusstsein verloren haben. Das Nächste, dass er wieder weiß ist, wie er im Jungzimmer wieder zu sich gekommen ist und Tom seine Wunden am Rücken behandelt hat.

Vor dem imposanten Gebäude angekommen, holt Peter nochmals tief Luft und geht hinein. Am Empfangstresen sitzt wie immer Rosa. Wie jeden Tag bleibt Peter kurz bei ihr stehen, redet mit ihr und macht sich weiter auf die Etage 25 in sein winziges Büro. Auf seiner Etage angekommen, reden alle wie wild durcheinander und Peter versteht zu Beginn kein Wort, bis sich langsam herauskristallisiert, dass die Avengers nur 3 Blocks weiter einen Kampf hatten. Den Medien zufolge, hat ein unbekannter Genforscher mit der DNA eines Krokodils geforscht und sie dabei so stark verändert, dass dieses Krokodil auf die Größe eines zweistöckigen Einfamilienhauses gewachsen ist und die Stadt verwüstete. Der Genforscher konnte noch nicht ermittelt werden und es muss davon ausgegangen werden, dass weitere dieser Vorfälle bevorstehen werden. Das erklärt natürlich auch die Unruhe unter Peters Kollegen. Peter dagegen ist nicht unruhig oder besorgt, sondern niedergeschlagen. Er hätte als Spiderman dabei sein müssen. Wer schaut denn nach den kleinen Leuten? Nach Leuten, wie seinen Geschwistern? Sein Spiderman-Anzug konnte er nicht mit zu den Suns nehmen und mit der Verantwortung, sich um seine Geschwister zu kümmern, Schule und Geld für Essen zu verdienen, hat Peter keine Möglichkeit weiter als Spiderman unterwegs zu sein. Selbst wenn er es zeitlich könnte, Peter muss sich eingestehen, dass er es körperlich nicht mehr schafft. Die andauernde Unterversorgung mit Nährstoffen hat dafür gesorgt, dass fast alle Fähigkeiten, die mit dem Spinnenbiss gekommen sind, zum größten Teil von seinem Körper eingestellt wurden, da er nicht genug Energie mehr hat.

Das Klopfen von Louis an seiner Bürotür reißt Peter unsanft aus seinen Gedanken: "Peter, unten am Tresen steht eine Kaffeebestellung, die auf Etage 52 hoch muss. Kannst du das übernehmen? Danke", und damit ist Louis auch schon verschwunden, bevor Peter etwas erwidern konnte. So steht Peter schließlich mit zwei Kaffeebechern von Starbucks im Aufzug: "Ebene 52, bitte", abwartend schaut Peter nach oben, aber der Aufzug setzt sich nicht in Bewegung. "Ihre Autorisierungsstufe ist nicht ausreichend für diese Etage." Verunsichert schaut sich Peter im Aufzug um und schließlich auf die beiden Kaffeebecher in seinen Händen. "Ich..ähm..ich soll diese Bestellung nach oben bringen." Nach einem kurzen Moment, in dem Peter Angst hatte, Louis um Hilfe bitten zu müssen, setzt sich der Aufzug in Bewegung und lässt ihn auf Etage 52 raus.

Fasziniert von dem, was er sieht, bleibt Peter vor dem Aufzug stehen und schaut sich im Raum um. Etage 52 besteht nicht wie sein Stockwerk aus einem langen Gang mit durch Glasscheiben voneinander getrennte Arbeitsbereiche, stattdessen steht Peter in einem großen Raum. Dieser Raum ähnelt auch eher einer Werkstatt mit den vielen technischen Geräten, die wild verstreut im Raum stehen. Zwischendrin stehen vereinzelt Tische und auf jedem einzelnen herrscht ein Chaos aus losen Papierblättern. "Stell die Becher einfach da ab.", erst da bemerkt Peter den Mann, der mithilfe eines Rollboards unter einem alt aussehenden Auto liegt und mit einer freien Hand in die vage Richtung von einem Tisch zu Peters rechten deutet. Darauf bedacht, auf keinem Werkzeug oder Bauteile, die überall im Raum auf dem Boden liegen, zu treten, steuert er den Tisch an und nimmt ein loses Papierblatt in die Hand, um an dessen Stelle die Kaffeebecher abzustellen.

Peter kann der Neugier nicht widerstehen und mustert aufmerksam das Blatt. Wie wild stehen Formeln und Berechnungen darauf beschrieben. Die Gleichungen unter den Formeln kommen Peter seltsam vertraut vor, doch bei einer stört ihn etwas und schließlich findet er auch einen Vorzeichenwechselfehler, wodurch sich die Gleichung nicht löst. Ohne darüber nachzudenken, greift sich Peter einen Stift und korrigiert den Fehler, als er plötzlich ein aufgeregtes Rufen hört: "Lass das liegen, du verstehst davon nichts!" Schnell lässt Peter das Papier los und schaut beschämt auf seine schmutzigen Chucks. "Es tut mir leid Sir, ich, ähm.. Da war ein Fehler und ich dachte...". Sich in der Situation sichtlich unwohl fühlend, verlagert Peter sein Gewicht erst auf den einen Fuß und dann auf den anderen. "Zeig ihn mir." Peter nimmt das Blatt mit zittrigen Händen wieder auf und deutet verunsichert auf seine Korrektur. Der Mann studiert das Papier aufmerksam und anschließend den verunsicherten Jungen vor sich, der noch immer auf seine Schuhspitzen starrt. "Ich kann verstehen, dass Sie mich kündigen möchten, ich geh' mal lieber." Und damit machte Peter schon einen Schritt auf den Aufzug zu, als der Mann ihn an der Schulter fassend zurückhält. Er zieht sofort seine Hand zurück, als er Peter darunter zusammenzucken spürt, er entscheidet sich aber dagegen, es anzusprechen. "Mach mal halb lang, Kiddo. Niemand wird hier gekündigt. Du scheinst Verstand zu haben, ich suche seit Tagen nach dem Fehler in dieser Gleichung." Der Mann macht eine kurze Denkpause und schaut Peter nachdenklich an. "Weißt du was, wie wärst, wenn du morgen wiederkommst. Ich könnte Hilfe gebrauchen und du scheinst fähig zu sein. Wie findest du das?" Als Antwort nickt Peter hastig und huscht dann schleunigst in den Aufzug, um der unangenehmen Situation entfliehen zu können. Er spürt auch noch mit geschlossenen Aufzugtüren die aufmerksamen Blicke des Mannes auf seinem Rücken.

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