Kapitel 5

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28. Juni 1998 (vormittags)

"Ich bin froh, dass du das Gespräch zu mir gesucht hast. Ich wollte dich schon seit einer Weile fragen, warum du dich so zurückgezogen hast", begann Ginny, als sie und Harry sich nach dem Frühstück unter einen Baum im Garten der Weasleys setzten.

"Ich dachte, wenn ich dich in Ruhe lasse, kannst du ganz in Ruhe um Fred trauern und musst dich nicht auch noch mit meinen Problemen auseinandersetzen. Ich wollte dir noch mehr Leid ersparen. Es ist meine Schuld, dass Fred gestorben ist und ich wollte nicht, dass du mir deswegen Vorwürfe machst. Deshalb habe ich dich gemieden. Ich wollte dich, glaube ich, instinktiv schützen. Jetzt ist mir bewusst geworden, dass ich dir mit meinem Verhalten nur noch mehr Anlass zur Sorge gegeben habe, als wenn ich von Anfang an offen mit dir gesprochen hätte. Das tut mir leid", meinte Harry zerknirscht. Ginny musste lächeln. Er sah so süss aus, als er sie aus seinen grünen Augen entschuldigend ansah. In ihrem Bauch tanzten die Schokofrösche Samba. Doch sie riss sich zusammen und sagte entschlossen: "Also zuerst einmal: Du bist nicht schuld an Freds Tod. Es war ein Unfall!"

"Ja, aber..."

"Kein aber! Es hätte jeden treffen können. Wenn du nicht genau so gehandelt hättest, wie du es getan hast, könnte ich jetzt auch tot sein. Du hast alles richtig gemacht", stellte Ginny klar. Doch nun war sie in Fahrt und konnte nicht anders als Harry die Meinung zu geigen. 

"Warum nur bist du so felsenfest davon überzeugt, dass du die Schuld an der ganzen Misere trägst??!! Herrgott nochmal, du bist erst siebzehn! Du hast in deinem bisherigen Leben schon mehr durchgestanden und geleistet als manch Anderer, der dreissig Jahre älter ist als du. Du hast mehrmals die gesamte Zauberergemeinschaft vor Lord Voldemort beschützt! Du bist ein Held!", ereiferte sie sich. Nach dieser Tirade fühlte sie sich etwas besser. Hoffentlich hatte Harry es jetzt endlich begriffen

"Du hast ja recht", murmelte er nach einer Weile vor sich hin. Er schien Ginny gar nicht mehr richtig wahrzunehmen, denn er starrte gedankenverloren ins Leere. Dann besann er sich und wiederholte noch einmal, diesmal nachdrücklicher: "Du hast ja recht. Es tut mir leid, dass ich so viele Selbstzweifel hatte. Ich war wie in einem Tunnel gefangen, sah nichts mehr um mich herum, nur das Schlechte in mir."

"Schon gut", meinte sie versöhnlich. "Ich hätte ja auch auf dich zukommen können. Stattdessen habe ich mich im Selbstmitleid gesuhlt."

"Das kann dir ja auch niemand zum Vorwurf machen. Schliesslich ist dein Bruder vor kurzem gestorben. Ausserdem habe ich mich nicht viel besser verhalten", meinte Harry mit beruhigender Stimme und zog sie in eine Umarmung. Ginny vergrub den Kopf an seiner Brust und liess sich von Harry über den Rücken streicheln. Es tat so gut ihm so nah zu sein. In ihrem Inneren kämpften die unterschiedlichsten Gefühle miteinander. Eine leise Stimme flüsterte ihr zu: "Ihr seid nur befreundet! Hör gefälligst auf damit, dich in seiner Nähe so wohl zu fühlen!"

Eine andere flüsterte zurück: "Es ist nur eine Umarmung! Ist doch nicht so schlimm! Ausserdem, was wäre falsch daran, wenn sie wieder ein Paar würden!"

Insgeheim gab Ginny der zweiten Stimme recht, denn tief in ihrem Inneren fühlte sie noch immer eine seltsame Wärme, die sich immer dann breitmachte, wenn sie sich in Harrys Nähe befand oder auch nur an ihn dachte. Nach einer Weile hob sie den Kopf und fragte: "Hast du es eigentlich jemals bereut, mich nicht mit auf die Suche nach den Horkruxen zu nehmen?"

Harry schaute sie an, überrascht von diesem plötzlichen Themenwechsel. Er schien zu überlegen

"Nein", sagte er dann schlicht.

Ginny wurde heiss und kalt. Sie stiess ihn von sich und schaute ihm entgeistert in die Augen.

"Was soll das heissen, nein!?", rief sie. Wollte er damit sagen, dass er bereute sich mit ihr eingelassen zu haben. Dass er es bereute, sie damals, nach dem Quidditchspiel, im Gemeinschaftsraum der Gryffindors geküsst zu haben!?

"Lass mich erst mal ausreden", sagte er beschwichtigend und legte ihr die Hände auf die Schultern.

"Ich bereue es nicht dich in Hogwarts gelassen zu haben aber nur, weil ich mir die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht hätte, wenn du dabei gewesen wärst. Ich hätte dir befohlen, in Deckung zu bleiben und dich zu verstecken um dich in Sicherheit zu wissen. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn dir etwas passiert wäre und ich die Schuld daran getragen hätte."

Bei diesen Worten stiegen Ginny Tränen in die Augen. Sie wollte gerade etwas sagen, ein ganz ähnliches Geständnis machen, wie er es eben gemacht hatte, doch er redete weiter.

"Irgendwann hätten wir uns darüber in die Haare gekriegt, weil du es nicht ausgehalten hättest, von mir so beschützt zu werden. Unsere Beziehung hätte darunter gelitten und wäre vielleicht sogar zu Bruch gegangen. Das wollte ich nicht riskieren. Deshalb habe ich schon vorher mit dir Schluss gemacht. Ich wollte es gar nicht tun, doch es war notwendig. Unter diesen Umständen hätten wir uns früher oder später sowieso getrennt. Aber nun, da Voldemort besiegt ist könnten wir nochmal ganz von vorne anfangen. Weil, meine Gefühle für dich sind immer noch da und ich könnte mir vorstellen, eine gemeinsame Zukunft mit dir zu verbringen."

Bei seinen letzten Worten schaute er ihr tief in die Augen und Ginny schmolz förmlich dahin. Ihr Bauch fühlte sich wieder an, als würden darin Schokofrösche Samba tanzen. Wenn alleine ein Blick von ihm ausreichte um so ein Gefühl in ihr heraufzubeschwören, wie würde es sich dann bei einem Kuss anfühlen? Harrys Gesicht kam langsam näher, doch bevor seine Lippen die ihren berührten legte sie ihm eine Hand auf die Brust und hielt ihn zurück.

"Warte kurz", wisperte sie. "Ich möchte dir etwas sagen."

Harry Potter (Danach)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt