Kapitel 22

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2. September 1998 (abends)

"Hey, da bist du ja. Ich hatte schon Angst, du hättest unsere Verabredung vergessen. Warum warst du denn nicht beim Abendessen?"

Harry sass auf einem der Sofas im Gemeinschaftsraum der Gryffindors, als Ginny die Treppe zum Schlafsaal herunterkam. Sie sah atemberaubend aus, mit den roten Haare, die in sanften Wellen um ihr Gesicht und ihre Schultern bis weit über ihren Rücken flossen und im Licht des Gemeinschaftsraums glänzten. Sie hatte sich umgezogen und trug nun statt der Schuluniform eine Jeans, eine Bluse und darüber eine Strickjacke. 

"Ich musste nachdenken", lautete die knappe Antwort. Harry zog verwundert die Augenbrauen hoch. Sie setzte sich neben ihn, behielt aber ein wenig Abstand, was Harry einen kleinen Stich versetzte. Sonst kuschelte sie sich immer an ihn, doch jetzt blieb sie weiterhin ein wenig auf Abstand.

"Hey, was ist denn? Habe ich etwas falsch gemacht?", wollte er besorgt wissen und versuchte Ginny in den Arm zu nehmen. Doch sie stand schnell auf und wich ihm damit aus. Nun war Harry erst recht beunruhigt. Er stand ebenfalls auf, unternahm aber keinen weiteren Versuch sie zu berühren. Sie hatte ihm deutlich signalisiert, dass sie das im Moment nicht wollte und so liess er es.

"Lass uns ein paar Schritte gehen, dann erkläre ich es dir", schlug sie vor und ging in Richtung des Porträts der fetten Dame. Harry folgte ihr. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her durch die Gänge von Hogwarts bis Ginny sich räusperte.

"Also. Ich war vorhin, als ihr bei Hagrid wart in der Bibliothek um meine Hausaufgaben zu erledigen. Dort habe ich Olivia und Astoria getroffen und wir habe etwas gequatscht. Danach bin ich in den Gemeinschaftsraum. Auf einmal sind drei Mädchen hereingekommen. Sie haben mich nicht bemerkt und ich wollte sie eigentlich auch nicht belauschen, bis ich gehört habe, dass sie über dich sprechen. Sie haben regelrecht von dir geschwärmt."

"Von mir?"

Sie waren in der Zwischenzeit am Treppenaufgang zu einem der vielen Türme in Hogwarts angelangt und machten sich an den Aufstieg.

"Du bist der Auserwählte, derjenige, der uns alle gerettet hat. Dazu kommt noch, dass du Kapitän der Quidditchmannschaft von Gryffindor bist. Du bist so ziemlich der reichste Zauberer Englands und siehst obendrauf auch noch aus wie ein verdammtes Muggel-Model! Noch Fragen?"

In der Zwischenzeit waren sie oben angekommen und standen nun an der Brüstung. Beide waren von dem Aufstieg noch etwas ausser Atem. Heute Nacht war Neumond, weshalb man die Sterne gut erkennen konnte. Sie funkelten wie Diamanten am Himmelszelt, das sich bis zum Horizont über den See und den Verbotenen Wald spannte.

"Ach das. Du weisst doch, dass ich es nicht mag, wenn die Leute mich nur nach Oberflächlichkeiten beurteilen. Aber wieder zurück zu dir. Was ist dann passiert?"

"Eine hat dann in die Runde gefragt, was die anderen von mir halten. Weil ich deine Freundin bin und so weiter. Eine andere hat angefangen über mich zu lästern und ich habe alles mitbekommen. Sie meinte, du bist nur mit mir zusammen, weil ich dei Schwester deines besten Freundes bin und war überhaupt total oberflächlich. Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin aufgesprungen um sie zur Rede zu stellen. Sie hat alles abgestritten und da habe ich gesagt, dass ich mich frage, wieso sie überhaupt in Gryffindor und nicht in Slytherin ist."

Gegen Ende des Satzes brach ihre Stimme ab und stumme Tränen liefen ihr übers Gesicht. Harry erschrak. Ginny weinte höchst selten und wenn doch, dann aus Wut. Nun nahm er sie doch in den Arm, und sie liess es ohne Widerstand geschehen, worüber Harry ziemlich erleichtert war. Nach einer Weile hob sie den Kopf.

"Weisst du, in solchen Momenten bin ich mir einfach nicht sicher, ob unsere Beziehung das aushalten wird. Ich bin mir nicht sicher ob sie dem Druck der Öffentlichkeit standhalten wird, wenn wir erstmal unseren Abschluss haben und noch viel mehr im Rampenlicht stehen werden.  So viele Frauen würden alles tun um an meiner Stelle zu sein und hätten dabei wahrscheinlich auch keinerlei Skrupel, dies zu erreichen. Ich habe ja gewusst, dass mir als Freundin von Harry Potter auch Kritik und Hass entgegenschlagen würde. Und wenn dieses Mädchen mich schon so geschockt hat, wie wird es dann später sein?" 

Immer noch liefen ihr Tränen über die Wangen. Harry wischte eine mit dem Daumen weg und sah ihr in die Augen. Hatte sie ihm gerade durch die Blume sagen wollen, dass es besser wäre, wenn sie sich trennten?

"Ginny, hör auf so zu denken. Wir schaffen das, auch wenn es vom heutigen Standpunkt aus schwierig erscheinen mag."

"Aber..", warf sie ein.

"Nein nichts aber! Ignorier die blöden Kommentare einfach. Die Leute haben sowieso immer etwas zu meckern, egal ob man etwas gemacht hat oder nicht."

"Du hast recht", flüsterte sie und drückte sich wieder an ihn. Er strich ihr über den Rücken und wartete, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Dann standen sie einfach so da und schauten in den Himmel, der mit Sternen übersät war.

"Du Harry?"

"Hmm?"

"Ich liebe dich." 

Dadurch, dass sie geflüstert hatte, hatte die Aussage viel mehr Kraft, als wenn sie die Worte über die Ländereien von Hogwarts gebrüllt hätte. Harry stand stocksteif da und versuchte ihre Aussage zu verarbeiten doch insgeheim wusste er, was er sagen würde. Sein Herz hatte es die ganze Zeit über gewusst und nun wurde es auch seinem Kopf bewusst. Ginny gab ihm die Zeit während sie sich in die Augen schauten. Dann schloss er die Augen und atmete er tief ein und wieder aus.

"Ich liebe dich auch. Mehr als du dir jemals vorstellen kannst."

Mehr gab es dazu nicht zu sagen, denn ihre Blicke sagten mehr als tausend Worte. Sie schauten beide wieder in den Himmel wo in diesem Moment eine Sternschnuppe vorbeizog. Harry wünschte sich, dass die Zeit in stehen bleiben würde. Er schaute zu Ginny, die in diesem Moment ebenfalls den Kopf drehte und wusste, dass sie sich dasselbe gewünscht hatte. Er beugte sich zu ihr herunter und küsste sie sanft auf die weichen Lippen. Die Schokofrösche machten sich in seinem Bauch bemerkbar und auch das wunderbare Gefühl, das er nun benennen konnte, erfüllte ihn ganz und gar. Liebe. Er liebte Ginny und sie liebte ihn. In diesem Moment war Harry so glücklich wie nie zuvor. Nur die Sterne erhellten die finstere Nacht um sie herum etwas. Dieser Kuss fühlte sich anders an als die anderen. Jetzt lag etwas ernstes aber auch leichtes darin. Vielleicht lag es daran, dass er sich gerade darüber bewusst geworden war, dass er Ginny liebte und hoffentlich den Rest seines Lebens mit ihr verbringen würde.

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