Kematian wartete schon ungeduldig unweit der Fürstenresidenz auf sie. Woran sie erkannte, dass er ungeduldig war? Seine Miene war finsterer als normal.
Vielleicht freute er sich aber einfach nicht, sie zu sehen, und hatte gehofft, die Diebe hätten sie umgebracht. Wer verstand ihn schon?
Als sie bei ihm ankam, streckte er wortlos seine Hand aus. Sie überreichte ihm ihre Rabenmaske, die sie schon abgenommen hatte, kurz nachdem sie das Diebesversteck verlassen hatte.
Er verstaute die Maske. »Hat er dir weiterhelfen können?«
Sorah nickte und setzte schon an, zu erklären, da fragte er: »Was war sein Preis?« Offenbar verkehrte Kematian so oft mit den Dieben, dass er wusste, wie es ablief, wenn man ihre Hilfe in Anspruch nahm.
»Ich ...«, fing Sorah an. »Ich denke, es ist das Beste, wenn ich es Euch erkläre, während ich den Weg hinein beschreibe.«
So ähnlich hatte der Dieb es schließlich auch getan.
Kematians Miene hatte sich immer weiter verfinstert, je mehr Sorah ihm erzählt hatte. Als sie fertig war, meinte er jedoch: »In Ordnung.« Vielleicht hatte der Klang ihrer Stimme ihn nur genervt.
»Du bist auf sein Angebot eingegangen, dann wirst du es auch ausführen«, sagte der Rabe.
Sorah schwieg kurz. Sie blinzelte, erwartete, dass sie aus einem bösen Traum erwachte. Doch nichts dergleichen geschah.
Sie zog den Kopf ein und flüsterte: »Was?«
»Du bist auf sein Angebot eingegangen«, wiederholte er. »Ich würde es auf meine Art tun, aber das würde die Diebe nicht zufriedenstellen.«
Seit wann interessiert es ihn, ob er irgendwen befriedigt? ... zufriedenstellt! Bevor Sorah die Vorstellung noch vertiefen und rot anlaufen konnte, fuhr Kematian fort und erlöste sie damit von ihren Gedanken.
»Wir begleichen unsere Schuld und der Preis der Diebe wird stets bezahlt«, sagte er. »Wir holen uns später die Einladung von Ciacas, damit du morgen auf den Ball gelangst.«
Sie senkte den Kopf und nickte langsam. Wenn er doch davon gewusst hatte, dass die Diebe einen Preis verlangten, weshalb hatte er sie allein dorthin geschickt? Wenn er nun nicht glücklich darüber war, was sie herausgefunden hatte, weshalb hatte er sie nicht begleitet?
»Da das nun geklärt ist«, sagte Kematian, »gehen wir hinein.«
Sorah konnte ein wenig eloquentes ›Hä?‹ zurückhalten und tauschte es gegen ein leises »Warum?« Hatte er nicht gerade noch gesagt, dass sie den Auftrag erst am folgenden Tag ausführen sollte?
Kematian warf ihr einen düsteren Blick zu. »Um herauszufinden, wie unfähig du bist.«
Autsch. Sie hätte nicht fragen sollen.
Er wartete nicht, ob sie noch etwas erwiderte, und machte sich auf den Weg zur Nordseite der Mauer, von der die Residenz umschlossen war.
Sorah folgte ihm.
An der Nordseite war ein Gestrüpp, wie Ciacas gesagt hatte. Nur hatte er vergessen, zu erwähnen, dass die gesamte Mauer von einer Hecke umrahmt war. Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn ein Busch aus meterweiter Entfernung geschrien hätte: ›Du suchst einen versteckten Eingang? Hier ist er!‹
Kematian deutete auf die Hecke und sagte: »Such.«
Sorah stieß ein Schnauben aus. Schon so manches Mal hatte sie sich in seiner Nähe wie ein Hund gefühlt, der stets seinem Befehl nachkommen musste.
Sie ging auf die Knie und suchte erst von Außen ab, ob sie einen Hinweis auf den Eingang finden konnte – konnte sie nicht. Selbstverständlich nicht.
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The Tale of Sorah
FantasySorah ist ein Rabe in Ausbildung und eigentlich nicht für das Leben eines Attentäters geeignet. Ihre rebellische Natur und ihr Unwille, Befehlen zu folgen, machen es ihr schwer, sich den Assassinen anzupassen. Dennoch verbringt sie mehrere Monate be...