Die Nacht in finsterem Gewand II

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Ciacas legte eine Hand an Sorahs Taille und schob sie sanft vorwärts. »Lächle, meine Liebe«, flüsterte er ihr ins Ohr.

Sie wollte nicht mehr lächeln. Sie wollte umkehren, fliehen und die Ecke suchen, in der ihr Mut sich versteckte, um sich zu ihm zu gesellen.

Einige der Menschen standen am Rande, unterhielten sich, hielten Gläser in den Händen und tranken. Andere wirbelten auf der Fläche umher und ... lachten.

Sorah lief ein Schauer über den Rücken. Wie sollte nur irgendjemand an so etwas Spaß haben?

Ciacas leitete sie vorsichtig zu einer Säule, an der sie ein wenig Abstand zu den Adeligen hatten und nicht mehr mitten in der Tür standen.

»Du siehst aus, als würdest du tanzen wollen«, sagte er. Ehe Sorah aber ihre Maske fallen lassen und ihn vor aller Augen verprügeln konnte, ergänzte er: »Zu schade, dass ich selbst kein guter Tänzer bin. Aber sieh nur dort.«

Er deutete unauffällig in eine Ecke des Raumes. »Der junge Herr dort in Mitternachtsblau hat dich ins Auge genommen, seit wir den Saal betreten haben. Er würde dich gern in vielen Dingen unterweisen, die weit über das Tanzen hinausgehen. Achte aber darauf, dass du ihm nicht auf die Füße trittst. Mit Ablehnung kann er nicht gut umgehen.«

»Hundesohn«, murmelte Sorah.

Ciacas lachte leise. »Er oder ich?«

»Beide.«

»Und dort die Dame in Rot.« Er deutete mit dem Kinn in eine andere Ecke. »Sie findet dich auch sehr attraktiv und würde dich gern ansprechen. Ich bezweifle aber, dass sie sich trauen wird. Von ihrer Familie hat sie stets eingebläut bekommen, dass sie einen Ehemann finden und ihren Eltern Enkel gebären muss. Armes Mädchen.«

Sorah schob die Brauen zusammen. »Und all das konntest du in einem Augenblick erkennen? Oder erzählst du mir nur, was dir gerade in den Sinn kommt?«

Ciacas' Lächeln bröckelte leicht. »Ein bisschen was von beidem. Die zwei haben wirklich Interesse an dir. Seine Augen ruhen ein wenig zu lange auf dir, als dass es nur zufällige Betrachtung wäre.«

»Und sie?«

»Sie wirft dir verstohlene Blicke zu, versucht sie aber zurückzuhalten. Den Rest habe ich mir ausgedacht, das gebe ich zu. Doch viele Adelige, die an dem gleichen Geschlecht interessiert sind, teilen dasselbe Schicksal. Ihre Aufgabe ist es, ihre Blutlinie fortzuführen, und niemanden kümmern ihre eigenen Wünsche.«

Er seufzte leise und schüttelte den Kopf. Sorahs Blick ruhte auf ihm und als er ihn erwiderte, zog sie eine Augenbraue hoch.

»Du glaubst mir nicht, das verstehe ich«, sagte er. »Aber weißt du, wir lernen anderes als ihr. Wir müssen weit mehr mit unseren Zielen interagieren als ihr. Wir müssen ihre Stärken und Schwächen sehen und erkennen, wann sie unaufmerksam sind und wir zuschlagen können. Wir kommen ihnen so nah, dass sie glauben, sie könnten uns vertrauen.«

Sorah stockte. Er hatte sich beim Sprechen zu ihr hinuntergebeugt, sodass sein Atem auf ihrer Wange kitzelte. Die warme Berührung seiner Hand strich an ihrer Taille entlang.

»Und wenn sie es bemerken«, flüsterte Ciacas und richtete sich wieder auf. »Dann ist es meistens schon zu spät.«

»Wie viele Edelsteine sind noch am Kleid?«, fragte Sorah mit gesenkter Stimme.

»Ein paar«, sagte er mit seinem gewohnt selbstgefälligen Lächeln. »Wenn ich schon gezwungen werde, hier zu sein, möchte ich auch etwas davon haben. Ich werde schließlich Terbet verlassen und einige Zeit auf der Flucht leben müssen, damit dein Partner mich nicht findet.«

The Tale of SorahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt