11 Omega

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Ich kann nicht glauben, dass ich bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche bin. Die letzten sechs Wochen im Haus Cavendish waren eine Achterbahnfahrt. Zwischen der Einrichtung meiner Zimmer, Gesprächen mit Alpha über Politik und der Übernahme administrativer Aufgaben innerhalb des Haushalts mit Griffin, verbrachten wir alle drei Zeit miteinander, um uns kennenzulernen und das Team aufzubauen, über das ich nach meiner ersten Löffelchen-Nacht mit Griffin gesprochen hatte. Sie haben ihr Versprechen gehalten, ihre Pflicht als meinen großen Löffel zu teilen, aber ich brauche ihn nicht täglich. Also bitte ich nur höchstens einmal die Woche darum.
Trotzdem passiert es öfter, denn manchmal kommt Alpha nach einem harten Tag im Vorstand nach Hause, um alle Geschehnisse mit mir zu besprechen, und schläft dann einfach in meinem Bett ein. Und manchmal hat er Besprechungen bis spät in die Nacht, weshalb Griffin dann beschließt bei mir zu bleiben, statt dass jeder von uns alleine bleibt. Es kommt auch vor, dass wir alle drei alleine schlafen, aber mir ist vor allem wichtig sicherzustellen, dass sie auch ihren fairen Anteil an Partner-Tagen und -Nächten haben, ganz ohne mich. Es ist nicht so schwer, wie es sich anhört. Meistens passiert es einfach ganz automatisch. Es passt einfach mit uns.

Ich nutzte die Zeit für mich hauptsächlich dafür, über die Familie meines Oms und Alphas Gendefekt zu recherchieren. Griffin hilft mir bei letzterem. Er hat Freunde in medizinischen Berufen, die er danach fragen kann, ohne unsere Geheimnisse preiszugeben, und sie sind eine besonders große Hilfe, um die Wahrscheinlichkeit einer Vererbung an Junior zu ermitteln. Ironisch wird das Ganze erst, als ich erfahre, dass man einen Test machen kann, um den Gendefekt beim ungeborenen Kind herauszufinden. Es ist derselbe invasive Test, den mein Vater von mir wollte, um seine Klasse herauszufinden. 

Ich muss nicht lange überlegen, um zu wissen, welche Entscheidung er jetzt für mich treffen würde. Ich habe meinen eigenen Entschluss mittlerweile gefasst und muss jetzt mit Alpha darüber sprechen. Griffin habe ich dazu gebeten, weil wir ein Team sind und er mein Doula ist, also muss er es wissen und mir gegebenenfalls auch beistehen.
"Hör zu", räuspere ich mich, um Alphas Aufmerksamkeit zu erlangen und ihm von dem zu berichten, was ich herausgefunden habe.
"Dein Ompa hat diese Fehlfunktion in die Familie gebracht und sie seinem Sohn vererbt. Das liegt auch daran, dass sie von Omega zu Omega weitergegeben wurde. Du hast sie auch, wie du mir gesagt hast. Aber du hast vermutlich auch eine gesunde Kopie dieses Gens von deinem Vater geerbt, die du weitergeben könntest. Selbst wenn nicht und du das geschädigte Gen weitergibst, besteht immer noch eine große Chance, dass die gesunde Kopie meiner Gene den Defekt ausschaltet. In meinem Stammbaum sind nicht nur Richmond, sondern auch de Audley-Gene, die als besonders stark eingestuft werden."
Ich lege ein Diagramm vor, um die Berechnungen zu zeigen, die ich in diesem speziellen Fall gemacht habe. Ich habe in diesen 6 Wochen auch sehr viel über Statistiken, Aufstellungen und Diagramme gelernt.
"Es besteht also eine fünfzigprozentige Chance, dass unser Sohn ein Alpha und nur leicht von dieser genetischen Krankheit betroffen ist, mit einer großen Chance, sie überhaupt nicht zu erben. Und selbst wenn er ein Omega ist, wird er den Defekt vielleicht nicht erben oder doch bekommen, aber nicht darunter leiden, weil die von mir vererbten Gene übernehmen. Alles in allem ist die Chance, dass er die volle Wirkung des Gendefekts abbekommt, nicht sehr groß, sie liegt unter 20 %."
Ich atme tief ein und aus und schaue Alpha ernsthaft an. "Ich verstehe deine Entscheidung, kein Kind zeugen zu wollen und das zu riskieren, und im Voraus betrachtet würde ich wahrscheinlich zu dem gleichen Schluss kommen. Aber so wie es jetzt ist, bin ich nicht bereit, die Verletzung oder sogar den Tod eines wahrscheinlich gesunden Babys zu riskieren, weil es vielleicht darunter leiden könnte, oder auch nicht. Selbst wenn wir herausfinden würden, dass unser Sohn tatsächlich ein Omega ist und dieses fehlerhafte Gen hat, würde ich keine Abtreibung wollen, weil es letztendlich inaktiv sein könnte. Also worin liegt der Sinn es überhaupt zu testen?"

Alpha hört aufmerksam zu, unterbricht mich nicht und denkt anschließend schweigend über meine Worte nach. Damit gibt er mir immer das Gefühl, mich und meine Meinung ernst zu nehmen. Und das ist mehr als nur ein Gefühl.
"Wie wir bereits wissen, birgt der invasive Test nicht nur ein zusätzliches Risiko, das Kind zu schädigen oder eine Abtreibung auszulösen. Jede Abtreibung kann auch Cosimo schaden und seine Chancen für weitere Kinder auslöschen." Griffin hilft mir bei meiner Argumentation und ich liebe es, dass er meine Entscheidung auf diese Weise unterstützt.
Schließlich nickt Alpha bedächtig.
"Ich habe dir gesagt, dass ich deine Entscheidung in jedem Fall unterstützen würde, aber ich muss dir sagen, dass ich von deiner Forschung beeindruckt bin und deiner Schlussfolgerung voll und ganz zustimme. Also vereinbaren wir einen Termin bei OCC nur für die monatliche Untersuchung und um zu sehen, ob wir das erste Bild von unserem Sohn bekommen können."
Er zieht mich in seine Arme und ich schlinge meine eigenen um seinen Hals und umarme ihn fest. "Danke, AJ." Ich kann sein Lächeln spüren, während ich mich Wange an Wange an ihn schmiege.

Als wir ein paar Tage später das OCC betreten, werde ich komplett in meinem Selbstbewusstsein zurückgeworfen, als ich sehe, wer am Empfang steht und auf uns wartet. "Warum sind sie hier?" Ich lehne mich an Alpha, der sofort einen Arm um mich legt und seine Lippen nah an mein Ohr bringt, um direkt und nur mir zuzuflüstern.
"Ich habe sie eingeladen. Dein Vater weiß noch nichts von deiner Entscheidung, also könnte er etwas überrascht werden und entsprechend verärgert reagieren. Aber ich weiß doch, wie sehr du deinen Om vermisst. Mir war klar, dass er ihn hierher mitbringen würde. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen."

Wow, plötzlich staut sich das Wasser in meinen Augen, bevor es überläuft um mir die Wangen herabzulaufen, aber mir ist das egal. Sobald Om mich sieht, kommt er eilig auf mich zu, ohne auf meinen Vater zu hören, der ihn an seine Seite zurückruft. Sekunden später werde ich in einer heftigen Umarmung zerquetscht und mein Om weint mit mir. Wir sind beide dabei, mitten in diesem Warteraum einen neuen See zu erschließen. Ich höre nur am Rande, dass AJ mit meinem Vater und einem anderen Alpha spricht, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Ich muss nicht genau hinhören, aber sobald mein Vater anfängt zu zetern und zu fluchen, weiß ich, was ihm gesagt wurde. Dennoch merke ich, dass Papa einen Teil seiner rigiden Haltung in dieser Sache verloren hat und der junge Alpha an seiner Seite scheint tatsächlich glücklich mit meiner Entscheidung zu sein.

"Wer ist er?" Meine Frage ist nur geflüstert und direkt an meinen Om gerichtet, der daraufhin errötet und mit den Schultern zuckt. Ich bin sprachlos. Ich habe mein Om noch nie erröten sehen.
"Das ist ein Cousin von mir. Sein Name ist Maurizio. Er ist mein persönlicher Beschützer und ein Vertreter des Hauses de Audley. Du wirst den Test also nicht machen, um zu erfahren, ob du einen Alpha oder Omega in dir trägst?"
AJ kommt mit Papa und Maurizio im Schlepptau zu mir zurück, Griffin ist die ganze Zeit nicht von meiner Seite gewichen. Er hat nichts weiter getan, als einfach da zu stehen und mir bei Bedarf Halt zu geben. Nichts anderes habe ich gebraucht.
"Es ist sowieso unwichtig für dich, Richmond. Dieser kleine Junge ist mein Sohn und er wird meine Blutlinie weiterführen, egal ob er ein Alpha oder ein Omega ist."
Ich warte darauf, dass Papa explodiert, aber anscheinend hatte er in den letzten Wochen auch Zeit, seine Situation zu überdenken. "Ich habe einen großen Fehler gemacht, dich zu unterschätzen, nicht wahr?" Alle um ihn herum nicken, sogar mein Om, und das verdrängt meine emotionalen Tränen und tauscht sie gegen ein Kichern.

"Du hast noch ein paar weitere Fehler gemacht", sage ich ihm direkt ins Gesicht und seine Augen werden groß, weil er es nicht gewohnt ist, dass ich in der Öffentlichkeit so mit ihm rede. Vor allem nicht vor anderen Alphas. Aber es ist mir egal. Ich würde ihm so gerne die Geschichte über einen Omega-Erben erzählen und dass er die Gelegenheit, den Namen des Hauses Richmond am Leben zu erhalten, vielleicht nicht verpasst hätte, wenn er mit mir gesprochen hätte, anstatt mich zu verkaufen. Aber das kann ich nicht. Es ist ein Geheimnis des Hauses Cavendish und der einzige, der das Recht hat es auszuplaudern, ist AJ. "Aber ich verzeihe dir trotzdem", sage ich ihm stattdessen und erteile meine Vergebung auch an meinen Om. Der wird darüber wieder ganz emotional und zieht mich in eine weitere Runde der Heulerei. Ich spüre die raue Hand von Griffin an meinem unteren Rücken und kann sehen, wie Maurizio näher kommt, um mein Om zu stützen und ich frage mich, ob zwischen den beiden mehr ist.

"Warum hast du mich hierher eingeladen, wenn nicht wegen der Untersuchung? Gefällt es dir, dich über mein Scheitern lustig zu machen und mir deinen Sieg unter die Nase zu reiben?" Die Stimme meines Vaters ist weniger wütend als seine Wortwahl. Ich kann die Niederlage darin hören. Und ich beschließe, es AJ zu überlassen, mit diesen Vorwürfen umzugehen. Ich vertraue darauf, dass er die richtigen Worte findet, und das tut er auch.
"Ich habe dich deshalb eingeladen", sagt er nur und zeigt auf mich und mein Om. Wir umarmen uns immer noch, keiner von uns ist bereit loszulassen. "Ich bin nicht so gefühllos, Cosimo von seinem Om fernzuhalten oder umgekehrt." Es ist eine klare Botschaft an meinen Vater und ein Hinweis darauf, wie sich seine weiteren Handlungen in diesem Fall auf seinen Ruf im Haus Cavendish und wahrscheinlich auch im Haus de Audley auswirken könnten.
Als ich zu meinem Termin gerufen werde, nehme ich AJ mit, bitte die anderen aber, bis danach zu bleiben. "Ich hoffe, ich kann euch schöne Bilder von Junior zeigen. Wollt ihr die sehen?"

Albetome 2 / Beta ✔️⏯️3️⃣Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt