Chapter 6

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Kurz nachdem Jaxon den Raum verlassen hat, stehe ich auf, um ihm zu folgen. Oder vielleicht auch in mein Zimmer zu rennen und meine Sachen zu packen - ich hab mich noch nicht entschieden.
Mein kaum vorhandener Appetit hat sich verflüchtigt und da die Haferflocken in meinem Müsli mittlerweile nur noch eine schlammige Masse ergeben, hält mich nichts mehr an der morgendlichen Tortur. Wofür also warten?

Cassy und Demon schauen mich gleichzeitig an, als ich plötzlich meinen Stuhl zurückschiebe und aufstehe. "Ich geh schon mal vor, wenn das für euch okay ist?" Das Strahlen in Cassys Augen, weil ich ihr sozusagen ein Date mit Demon ermögliche, reicht mir als Antwort. "Wir sehen uns dann später."

Demon, ganz der Gentleman, reicht mir meine Rucksack hoch, wobei er eindeutig von dessen Gewicht überrascht ist. "Hast du da Steine drin?"

"Wie gesagt: Ich bin gerne vorbereitet.", zwinker ich ihm zu, bevor ich schließlich mich abwende und gehe. Die verächtlichen Blicke in meinen Rücken sind noch niederdrückender als das Gewicht meines Rucksacks - vier Bücher, drei Blöcke, ne Trinkflasche und die wichtigen Utensilien, wie Mäppchen und Taschenrechner summieren halt Gewicht -, doch ich versuche den Rücken durchzustrecken und den Kopf hocherhoben zu halten, während ich aus der Gefahrenzone flüchte. Jetzt grade scheine ich eines der am meisten gehassten Mädchen der Black Forest zu sein. Hoffentlich schaffe ich es bald diese Position wieder zu verlieren. Dürfte eigentlich nicht schwer werden, wenn ich es schaffe, dass Demon endlich sein Interesse an uns verliert. 

Es sei denn mein Geheimnis kommt ans Licht. 

Nein, darüber denke ich jetzt lieber nicht weiter nach.

Draußen angekommen, erkenne ich, dass ich keinen Plan habe, wo Jaxon hingegangen sein könnte. Woher sollte ich auch? Wir sind uns im Prinzip Jahre lang aus dem Weg gegangen. Er könnte draußen sein und rauchen - sollte er das überhaupt tun. Oder zu seiner ersten Stunde aufgebrochen sein. Vielleicht ist er auch wieder in den dunklen Einöden seines Zimmers verschwunden. Fakt ist: Ich hab nicht den Hauch einer Ahnung. Also beschließe ich kurzerhand zum Klassenzimmer meiner ersten Stunde zu schlendern. 

Wie immer wenn ich durchs Schulgebäude der Black Forest wandere, bin ich wie am ersten Tag von ihr Fasziniert.
Dabei kann ich nicht sagen, ob es an den bunten Wandteppichen, auf denen die verschiedenen Zeit Epochen dargestellt sind, in der Eingangshalle oder den verstreuten Gemälden und Kunstwerken in den Korridoren liegt. Denn auch das Gebäude selbst ist für mich unglaublich.
Während es von außen für die meisten Schüler wie eine Festung aussieht, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt, ist es für mich ein Schloss in dem alles möglich ist. Die Wände und Gänge sind in dunklen Granit gehalten, wodurch die Flure von riesigen Fenstern unterbrochen werden, um Licht ins Gemäuer zu lassen. Es ist jedes Mal aufs neue ein Spektakel, wie die Düsternis der Gänge vom Tageslicht durchbrochen wird, wobei ich ganz klar die Regentage bevorzuge, da an ihnen die Kerzenlampen an den Wänden angeschaltet werden und man sich wirklich wie ins 18. Jahrhundert zurückversetzt fühlt.
Im krassen Gegensatz dazu stehen die Klassenzimmer, da bei ihnen die Wände in Weiß gehalten sind und die mit Neonleuchten und jedem sonstigen neumodischen Schnickschnack ausgestattet sind. Lediglich der dunkle Boden erinnert an das alte Gebäude. Die Zimmer von uns Schülern sind zwar auch recht hell gehalten, jedoch machen die dunklen Möbel diesen Eindruck etwas zunichte. Manchmal frag ich mich, ob der damalige Gründer Frank Goldstine, sich nicht entscheiden konnte, ob er die Zimmer altmodisch oder modern halten möchte. Oder ob das Geld bei den Renovierungen für neue Möbel nicht mehr gereicht hat.

Der Rest des Vormittags verbleibt Ereignislos, sodass ich mich einfach nur auf den Unterricht konzentrieren und meine eigenen Problemen mal aus dem Weg gehen kann. Da ich heute keine Stunde gemeinsam mit Cassy habe, fällt es mir nicht schwer einfach in den Hintergrund zu rücken und für die anderen unsichtbar zu werden. Sogar in Mathe habe ich es heute geschafft relativ unbemerkt zu bleiben. Und auch wenn sich meine Beine jedes Mal weigern den naturwissenschaftlichen Trakt zu betreten, so bin ich die letzten Tage dennoch immer pünktlich erschienen. 

Invisible - Ich sehe deine GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt