Chapter 12

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Ich bin verloren. Rückhaltlos. Ohne jede Hoffnung auf Erlösung verloren.
"Mensch, du hättest wenigstens mein Handy auflanden können, wenn du es mir schon stiehlst!", schimpft Cassy. Ihre goldenen Locken hüpfen zustimmend auf und ab. Wie sie wohl tanzen würden, wenn Cassy's Geheimnis rauskommt? Und sie dann noch erfährt, dass ich die Schuldige dafür bin? Dass ich ihr Vertrauen nicht nur missbraucht sondern mir schahmlos zu eigen gemacht habe? Für jeden zugänglich. Ungeschützt. Un-

"Hey!" Ein Hieb ihres Ellenboges soll verdeutlichen, dass ich ihr antworten soll. Mich entschuldigen soll.

Es gibt so vieles für das ich mich bei ihr entschuldigen muss.
"Tut mir leid ... hab einfach nicht dran gedacht." Ich versuche etwas zu lächlen, um sie zu überzeugen, dass ich ihren Spaß verstehe und es mir gut geht. Meine Gedanken schweifen wieder zu gestern Morgen zurück. Zu dem Fetzenhaufen, der offenen Tür, dem Zettel...

Cassys Augen verkleinern sich zu schlitzen. Ich weiß was das heißt: Test nicht bestanden. Ihre Lüge wurde enttarnt. Es wird nun gegen Sie ermittelt. "Was ist los mit dir?"

Ich versuche ihrem Laserblick stahlhart und gleichzeitig mit purem Desinteresse entgegen zu blicken. Wenn ich ausweiche hat sie ein sicheres Spiel. Wenn ich zu eisern bin, auch. Um durch Cassys Lügendetektor zu kommen, bedarf es einem regelrechten Seiltanz an normaler Gleichgültigkeit. "Alles gut, bin nur etwas müde." Um meine Lüge zu untermauern, stütze ich meinen Kopf auf meiner Hand ab, blicke kurz nach vorne zur Tafel, wo Mrs. Fisher ihren Monolog über irgendwelche Grammatik-Regeln (wofür auch immer. Ich meine wir sind in der Oberstufe. Mittlerweile dürften wir es verstanden haben) hält und wieder zurück zu Cassy.

Die Itensität ihres Blickes hat nicht abgenommen.
Mist.
"Destiny, gehts dir wirklich gut? Hat dich vielleicht irgendjemand auf der Party blöd angemacht? Ist irgendwas passiert?" Ihr Gesicht wird weiß, bei ihrem nächsten Gedanken. "Hat etwa jemand dich angerührt?! Ich schwöre bei Gott, dass-"

"Was? Nein, Cas!", versuche ich so laut wie möglich Cassy davon abzuhalten sich ein Vergewaltigungsszenario von mir zusammen zu spinnen und gleichzeitig nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns zu lenken. Seh ich wirklich so mitgenommen aus, dass meine Beste Freundin denkt, ich sei sexuell misshandelt worden? Ich muss mein Pokerface wieder richten. Wenn es für Cassy schon so deutlich zu sehen ist, dass ich kurz vor einer Panikattacke stehe, wie sieht es dann beim Rest aus? "Es ist alles gut. Wirklich. Ich bin nur die letzten Tage nicht wirklich zu Schlaf gekommen, das ist alles." Ich verdrehe belustigt die Augen und gebe ihr einen langen Blick, unter dem Motto Lass es bleiben, es ist alles in Ordnung. Es geht mir gut. Siehst du nicht mit wieviel Humor ich meinen Schlafmangel nehme? Es ist alles cool.

Natürlich ignoriert Cassy meine stumme Ermahnung. "Du schläfst im Moment ganz schön wenig. Dir ist schon klar, dass das besoners am Anfang des Schuljahres weder normal noch gut für deine Gesundheit ist, oder?"

Darauf kann ich nur schnauben. Dieses Schuljahr ist weder normal noch gut für meine Gesundheit.
"Ja, ich weiß. Aber mittlerweile müsstest du wissen, dass mein Schlafrythmus total abgefuckt ist, Cas. Den interessiert es nicht, ob ich 8 Stunden Schlaf brauche oder ob ich einfach meine Energie mal aufladen möchte. Wenn mein Körper will, dass ich wach bin, fragt er mich nicht nach meiner Zustimmung."
Das Lachen mit dem ich meine Rede beende ist das erste ehrlich heute, das erste was ich wirklich fühle. Eigentlich ist es das erste Mal, dass ich seit gestern Morgen gelacht habe. Nachdem ich aufgefhört habe, wie betäubt in meinem Zimmer zu stehen und auf diesen schrecklichen Zettel zu blicken, habe ich den traurigen Haufen von Klamottenfetzen aufgehoben und weggeworfen. Es fühlte sich alles wie in einer riesigen Seifenblase an. Als würde ich zwar die Welt sehen, aber nur verschwommen und stumm. Den restlichen Tag habe ich mich in meinem Zimmer verkrochen und habe mir nur, als der Hunger an mir genagt hat, etwas aus dem Automaten geholt. Erst gegen Nachmittag habe ich beschlossen mich doch der Qual auszusetzen und in meiner geheimen Schublade nach meinem Spyary zu suchen - natürlich war es nicht da. Dafür jedoch Cassys Handy. Wenigstens ein kleiner Sieg.

Invisible - Ich sehe deine GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt