Chapter 11

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Am nächsten Morgen stehe ich auf und wünsche mir, dass der ganze Abend nur ein Traum gewesen ist. Ein sehr lebhafter und nervenstrapazierender Albtraum.  Nur damit ich mir einbilden kann, die ganze Sache wäre niemals passiert, am besten die ganze letzte Woche.
Das Schuljahr hat ganz normal angefangen, so wie immer. Cassy hat mir von ihren Sommerferien und einer neuen seltsamen Affäre berichtet, ich habe ihr nichts von meinen Aktivitäten - aus guten Grund - erzählt. Es kam ein neuer Schüler hier an der Black Forest an, der alle Mädchen dazu bringt für ihn dahin zu schmelzen - für den ich auch eine Weile geschwärmt hätte - und dessen Geheimnisse ich, wie die von jedem anderen, aufbewahrt und Geheim gehalten hätte. Es wäre alles so einfach gewesen. Alles wäre seiner gewohnten Dinge gegangen. Jaxon und ich wären zwar im gleichen Mathematik Kurs gewesen, aber wir hätten uns wie alle normalen Schüler gegenseitig angeschwiegen, und ignoriert und bei Partnerarbeiten so getan, als würden wir zusammenarbeiten, während wir doch die Aufgaben nur allein gelöst hätten - besser gesagt ich hätte sie vermutlich alleine gemacht und ihn abschreiben lassen. Er hätte nichts von meinem Spyary erfahren. Es hätte ihn nicht interessiert mich in dunkelster Nacht auf dem Sportplatz zu finden. Er hätte mich nicht ... geküsst. Nicht seine Lippen mit meinen Verbunden, als wäre es das Natürlichste der Welt. Er hätte mich einfach nicht beachtet. So wie alle. Es wäre perfekt gewesen.

Doch sobald ich die Duschen erreiche, zerplatzt meine Seifenblase der Sicherheit so schnell, dass nur noch ein schnelles Plopp-Geräusch an sie erinnert.

Vor mir steht, in einem pinken Plüschbademantel eingewickelt, Lissi und sie sieht genauso angepisst aus wie letzte Nacht. Na ganz toll.

"Oh das Trampeltier. Wundert mich ja, dass du es überhaupt so früh aus dem Bett heute geschafft hast, nach letzter Nacht."

Ich verdrehe nur die Augen. Sie hat recht. Es ist noch verdammt früh - 6 Uhr am Morgen - und ich bin definitiv noch nicht in der Stimmung mit ihr zu streiten. Eigentlich bin ich heute überhaupt nicht in der Stimmung für zwischenmenschliche Interaktionen. Doch erstmal will ich mich nur mit einer dringend benötigten Dusche, nach den sportlichen Aktivitäten von Gestern, befassen. Es grenzt an ein Wunder, dass ich es überhaupt geschafft habe aus dem Bett aufzustehen.

Kommentarlos will ich an ihr vorbei gehen, doch sie stellt sich mir in den Weg.

"Oh nein Trampeltier, wo willst du denn hin?", selbstgefällig stemmt sie die Arme in die Hüften.

Resigniert atme ich aus. "Müssen wir das jetzt wirklich spielen? Ich werde dir sagen, dass ich gerne duschen gehen möchte, du wirst mir irgendwas antworten, warum ich das nicht kann, ich werde gehen und wenn du weg bist, werde ich zurückkommen und trotzdem duschen gehen. Ist es dir das wirklich Wert? Fünf Minuten der Zeitverschwendung?"

Es ist für mich immer ein Risiko, wenn ich meinen Mitschülerinnen und Mitschülern die Stirn biete und ihnen zeige, dass ich keine Angst vor ihnen habe oder besser gesagt mich nicht von ihnen beeindrucken lasse. Dadurch falle ich auf. Bleibe im Gedächtnis hängen. Denn an wen kann man sich leichter erinnern: Das Mädchen das einen im Flur höflich anlächelt oder das, was sich einem störrisch in den Weg stellt?

Doch wie gesagt: Es ist 6 Uhr Morgens, ich hatte 3 Stunden Schlaf - großzügig geschätzt - und ich sehne mich nur noch nach einer erholsamen Dusche. Also gehe ich das Risiko ein. 

Es rattert kurz in ihrem Gehirn, ehe sie bereit ist mich einer Antwort zu würdigen. "Du hast recht. Diesen Aufwand bist du nicht wert." Ohne weitere Zickereien tritt sie beiseite und verlässt den Raum.

Entnervt stöhne ich, ehe ich mich ausziehe, mein Handtuch an einen Haken an der Wand hänge und endlich unter den erlösenden nassen Strahl trete.
Entgegen aller Vernunft dusche ich so heiß, bis das Wasser dampft. Ich finde es eklig mit kaltem Wasser zu duschen. Bescheuert, oder? Doch in dem Moment, wo das Wasser endlich auf meine Haut trifft, ist mir das egal. Ich lasse das Wasser auf meine Haut prasseln, bis ich mich wie ein gekochtes Hühnchen fühle, lasse mir Zeit, bis all meine Muskeln angewärmt sind und sich etwas entspannt haben. Meine Fingerspitzen fangen an zu kribbeln. 

Invisible - Ich sehe deine GeheimnisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt