Beim Abendessen unterhielt ich mich zum ersten Mal an diesem Tag mit Remus. Es war schön, ihn bei mir zu wissen. Dass wir trotz unserer Jobs Zeit miteinander verbringen konnten. Wenn auch nicht viel. Aber das war nicht schlimm. Doch zu meinem Treffen mit Professor McGonagall ging ich alleine.
Ich klopfte um die vereinbarte Uhrzeit an die Tür meiner ehemaligen Professorin. „Kommen Sie herein.", rief die Professorin von innen. Ich öffnete die Tür und trat ein. McGonagall bat mir einen Platz auf ihrer Couch an. „Tee?"
„Gerne.", lächelte ich und nahm dankend die dampfende Tasse Kräutertee entgegen, die McGonagall mir reichte. „Ich hätte Sie das längst fragen sollen: Kann ich Ihnen das Du anbieten?" Völlig überrumpelt starrte ich sie an. Aus meinem Mund kam nur unzusammenhängendes Gestotter: „Was? Sie- Sie wollen- Bitte was? Wirklich?" Ein amüsiertes Lächeln schlich sie auf auf ihre Lippen. „Eleonor. Sie und ich, wir arbeiten bereits seit Jahren zusammen und kennen uns sogar noch länger. Ich war auf Ihrer Hochzeit. Finden Sie nicht, sich zu Siezen ist nach all der Zeit überbewertet?" Überfordert lachte ich auf, während ich auf die Teetasse in meiner Hand hinab sah. Langsam erhob ich meinen Kopf wieder. „Also... Minerva?" Sie nickte. „Daran werde ich mich wohl erstmal gewöhnen müssen.", lachte ich leicht nervös.
„Lass dir alle Zeit der Welt. Es ist nur... Es kommt mir seltsam vor, nach all der Zeit." Verständnisvoll nickend trank nippte ich an dem heißen Gebräu. „Du weißt überhaupt nicht, wie unglaublich schön es ist, euch beide mal wieder zusammen zu sehen." Ich legte meinen Kopf schief. „Remus und Eleonor. Seit dem dritten Schuljahr ein Paar." Ein kleines Schmunzeln bildete sich auf ihren Lippen. „Ihr seht immer noch so glücklich aus."
„Es ist schwerer, glücklich zu sein, wenn man das Gefühl hat, dass die Welt um uns herum zusammenbricht.", versuchte ich, nicht zu bedrückt zu klingen. „Glaub mir, meine Liebe, das weiß ich nur all zu gut." Sie seufzte auf und setzte dazu an, noch etwas zu sagen, doch sah sie stattdessen wortlos auf ihre Tasse hinab und nahm schließlich einen Schluck.
Der Anlass dieses Gespräches ließ mich irgendwann dann doch behutsam nachfragen: „Sie-", ich stoppte mich selbst mitten im Satz. „Du vermisst die Jungs, nicht?" Als hätte sie nur auf diese Frage gewartet breitete sich eine Erleichterung in ihrer Erscheinung aus. „Nicht nur die Jungs. Euch alle. Ausnahmslos.", antwortete McGonagall mit tiefer Traurigkeit in ihrer Stimme. „Ich habe euch alle aufwachsen sehen. Und nun? Drei meiner Kinder sind tot. Und drei weitere müssen leiden." Deswegen hatte sie mich eingeladen. Sie wollte mit jemandem reden. So wie in mir, so hatte sich auch in ihr die unausgesprochenen Worte aufgestaut.
Und sie redete. Sie redete über etliche Stunden mit Sirius und James beim Nachsitzen. All die Werwolf-, Hirsch- und Katzenwitze, die gerissen wurden. Sie erzählte davon, wie genervt Lily, ich und Remus immer ausgesehen haben, wenn die Jungs einen dieser Witze, oder ihre Alltäglichen Dummheiten machten. Es war schön, ihr beim Reden zuzuhören. Sie erzählte diese Erinnerungen so lebhaft, dass sie Bilder in mir wachrief. Mir war, als sähe ich mein Leben in Bildern an mir vorbei rauschen. Bilder, die sich in meinem Kopf einnisteten wie Parasiten.
Und als McGonagall- Stopp. Als Minerva in Stille fiel, weil endlich alles gesagt worden war, da sprudelte es ohne Punkt und Komma auch aus mir heraus: „Meine Eltern haben die letzten 12 Jahre ständig darüber geredet, dass sie es immer kommen sehen haben. Bei seiner Familie. Aber sie kannten ihn nicht so gut, wie wir es getan hatten. Es war schon immer so gewesen. Wir gegen den Rest der Welt. Nur dass wir plötzlich die Einzigen sind, die wissen, dass das alles nicht wahr ist." Ich war so aufgebracht.
„All diese Gedanken... Ich habe sie die Jahre über für mich behalten. Ich wollte Remus nicht noch zusätzlich damit belasten. Ich-" Ich rang nach Worten. Aber ich hatte doch so viel zu sagen. Das bemerkte die berufserfahrene Frau vor mir sofort. „Es ist schon in Ordnung. Wenn du reden willst, nur zu. Ich höre gerne zu." Erleichtert sah ich sie an. „Wir müssen so tun, als würden wir wirklich glauben, dass Sirius zu solch einem grausamen Verrat in der Lage wäre. Wir leben mit einer Lüge. Und den, den es am meisten was angeht, der kennt die Wahrheit nicht. Harry denkt, sein Patenonkel hätte seine Eltern verraten. Und wir sitzen hier rum und verschweigen ihm, dass er sehr wohl noch Familie hat. Es ist schrecklich, das halte ich kaum aus."
McGonagall hatte sich gefasst und redete nun mit gewohnt ruhiger Stimme weiter: „Damals, da mussten Albus und ich eine Entscheidung treffen, die uns beiden nicht gefallen hat. Du und Remus, ihr wärt dazu bereit gewesen, ihn bei euch aufzunehmen."
„Mehr als das.", hauchte ich. „Gott bewahre, ich hätte den Jungen selber aufgenommen. Aber Albus war der unerschütterlichen Meinung, dass es das Beste für Harry seie, wenn er bei den Dursleys aufwachse." Verächtlich schüttelte ich meinen Kopf. „Das ist doch Quatsch. Er ist bei einer Familie aufgewachsen, die sich einen Dreck um Harry schert. Ich kenne Petunia sehr gut, da musste ich nicht mehr Vernon kennen lernen." Ich fuhr mir verzweifelt über mein Gesicht.
Um mich zu beruhigen wechselte McGonagall —Minerva— das Thema. Ein paar Stunden noch unterhielten wir uns über dies und das, bevor es Zeit wurde, ins Bett zu gehen. Schließlich war morgen früh Unterricht und auch, wenn das für mich nicht zwingend von Bedeutung war, so war es das dennoch für sie. Also verabschiedete ich mich irgendwann von ihr und wanderte in völliger Stille durch das halbe Schloss. Gespenstisch, wenn keine Schüler da waren. Vor allem aber, wenn die Flure nicht Lichtdurchflutet wurden.
Mit bemüht leisen Schritten schlich ich mich ins Bett. Es war lange nach Mitternacht, wir mussten morgen früh raus und Remus hatte die letzten Nächte sowieso nicht sonderlich lange oder gut geschlafen. Nur höchst ungerne würde ich ihn wecken wollen.
„Wie wars?", grummelte plötzlich doch eine Stimme neben mir. Erschrocken und ein bisschen verwundert drehte ich mich um. „Du bist noch wach?" Ein müdes seufzen war die Antwort. „Erzähl mir, wie war es?"
„Ich soll sie duzen.", stutzte ich immer noch. „Das ist doch toll.", antwortete er. „Sie ist meine Professorin."
„Jetzt nicht mehr. Sie war auf unserer Hochzeit, Eleonor."
„Ist trotzdem komisch." Müde entfloh mir ein Gähnen. „Wenn du dich daran gewöhnt hast, ist es das nicht mehr." Er drückte mir sanft einen Kuss auf die Stirn und drehte sich auf die andere Seite. „Vertrau mir." Er musste es ja wissen. Schließlich schien er keine Probleme damit zu haben mit Professor Minerva McGonagall zu reden als wäre sie eine alte Freundin.
Sie hatte uns als ihre Kinder bezeichnet. Drei ihrer Kinder sind tot, und drei weitere müssen leiden, hatte sie gesagt. Das sie uns mochte war mir die ganze Zeit über klar gewesen. Aber dass sie uns so wahrnahm? Es war erschreckend, wie sehr wie ihr ans Herz gewachsen sein mussten.
DU LIEST GERADE
GOLDING (Remus Lupin FF)
FanfictionEleonor Golding arbeitet als Vertrauenslehrerin in Hogwarts. Die ehemalige Hufflepuff liebt die Arbeit mit den Schülern. Ihr Ehemann, der als neuer Lehrer für Verteidigung Gegen die Dunklen Küste nach Hogwarts kommt, bring die ein oder andere Kompl...