Stell dich deinen Ängsten

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Mit einem Blick auf die Liste an der Wand kam Remus rein. „Ich wusste gar nicht, dass du so viel zutun hast."

„Du glaubst gar nicht, wie viel ich tatsächlich zutun habe." Ich erhob langsam den Blick von meinen Unterlagen. „Die Namen auf der Liste sind nur Schüler aus Hufflepuff." Beeindruckt hob er seine Augenbrauen. „Alle anderen Häuser sind in der Regel zu stolz um offen zuzugeben, dass es ihnen nicht gut geht. Aber nachdem du mit dem dritten Jahr den Irrwicht durchgenommen hast rennen mir haufenweise Schüler die Bude ein."

„Das hat sie doch nicht so sehr mitgenommen.", versuchte er sich verdattert rauszureden. Mit einem verdeutlichenden Blick sah ich zu ihm hoch. „Albträume, Remus. Albträume."

„Bei uns damals war das nicht so schlimm." Ich schnaubte verächtlich. „Das weißt du doch gar nicht. Wir haben das nicht mitbekommen, weil wir mit unseren Ängsten umgehen konnten. Wir mussten uns ihnen jeden Tag stellen. Diese Kinder sind mit Ängsten aufgewachsen, die so abwegig, so weit von ihnen weg sind, dass sie nicht wissen ob sie jemals Realität werden. Wie sollen sie damit umgehen?"

Niedergeschlagenheit breitete sich in seinem Gesicht aus. „Es ist so schlimm?"

„Für mache schon.", antwortete ich schulterzuckend. Unter meinem beobachtenden Blick setzte er sich überrumpelt auf die Couch. „Das hatte ich nicht erwartet." Verstehend nickte ich. „Natürlich nicht. Den Irrwicht behandelt jeder Professor mit seinen Schülern. Keiner macht sich Gedanken darüber, ob die Menschen vor einem mit ihren Ängsten umgehen können."

„Harrys Irrwicht ist ein Dementor.", berichtete er mir von seiner neusten Entdeckung. „Ein Dementor?" Überrascht verzog ich mein Gesicht. „Das ist neu."

„Ich dachte auch, es wäre Voldemort. Ich habe mich vor ihn geschmissen, weil ich dachte, Voldemort würde ihm sonst in die Augen sehen. Das wollte ich nicht riskieren.", erzählte er mir. Er seufzte auf. „Und was zeigt mir mein Irrwicht? Heute noch ist meine größte Angst der Vollmond."

„Kannst du es dir verübeln?" Dieses Kindheitstrauma, welches sich so weit in seine Zukunft verlagert hatte, hatte er noch lange nicht verarbeitet. Das schien mir jedenfalls offensichtlich zu sein. „Ich hatte nur gedacht, es wäre nichtmehr meine größte Angst.", murmelte er.

„Ich hab ihm erzählt, dass ich seine Eltern kannte.", redete er weiter. „Und?"

„Er hat nicht viel dazu gesagt.", antwortete er mit einem Schwung Verwunderung. „Liegt wohl daran, dass ich nicht die ganze Wahrheit gesagt habe.", klärte er gleich die Verwunderung auf.

„Das du Sirius auch kanntest?", hakte ich mit hochgezogenen Augenbrauen nach. Er nickte, also nickte auch ich verstehend. „Dann hätte er sicher mehr Fragen gehabt. Oder wenn er erfahren hätte, dass er eine Tante hat."

Plötzlich voller Neugierde sah er mich an. „Was hat dein Irrwicht eigentlich gezeigt?" Ich legte verwundert meinen Kopf schief. „Das hast du noch nie gefragt." Die Verwunderung war auch aus meiner Stimme herauszuhören. „Das ist auch eine Frage, die ich ungerne beim Frühstück stelle.", erwiderte er schulterzuckend. „Aber als wir den Irrwicht damals im Unterricht hatten, da hatte Gryffindor mit Slytherin Unterricht. Wir haben über meinen geredet, nie über deinen."

Ich legte bedacht den Stift aus meiner Hand neben mir auf den Schreibtisch. „Mein Irrwicht zeigt mich. Ohne meine besten Freunde.", antwortete ich ehrlich. „Und leider ist diese Angst wahr geworden." Ich wandte meinen Blick von Remus ab und sah auf die Tischplatte. „Lily, James und Adelaide sind tot. Severus hat sich lange zuvor schon von mir abgewandt. Peter war noch nie wirklich da und Sirius saß wegen Verrates und Mordes unschuldig im Gefängnis." Sein Seufzen machte mir deutlich, dass er es nicht länger ertrug, ständig zu hören, dass unsere Freundesgruppe ein einziger Scherbenhaufen war.

„Aber weißt du... Ich kann das überstehen. Ich tue es längst." Davon war ich überzeugt. „Seit knapp zwanzig Jahren lebe ich mit meiner größten Angst. Und mit jedem unserer Freunde ist der Verlust schwerer zu verschmerzen geworden. Aber ich kann das durchstehen." Die Überzeugung in meiner Stimme war nicht schwächer, sondern stärker geworden. „Ich hab dich." Mit einem breiten Lächeln sah ich zu ihm hoch. „Deine reine Anwesenheit macht das alles erträglicher. Das ist dir bewusst, oder? Du bist alles, was ich noch habe. Und dass mein Irrwicht nur sie aber niemals dich gezeigt hat bestätigt mir eine Sache: Ich habe keine Angst dich zu verlieren. Denn das wird niemals geschehen."

GOLDING (Remus Lupin FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt