𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟸 - 𝙳𝚒𝚎 𝚂𝚌𝚑ö𝚗𝚑𝚎𝚒𝚝 𝚟𝚘𝚗 𝙳𝚒𝚜𝚝𝚛𝚒𝚔𝚝 𝟷𝟶

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Ein leichter Wind streicht sanft über das junge Weizenkorn und versetzt es gelegentlich in eine wellenartige fließende Bewegung. Die Grillen verstecken sich in dem hohen Gras, welches Büschelweise zwischen dem Weizen wächst und durch manch ein Zirpen in der Ferne kann man erahnen, wo sich Hier und Da eine aufhält. Die Morgensonne hängt selbst für diese Spätsommerzeit schon relativ hoch am Himmelszelt und lässt erahnen, dass der Nachmittag brühendheiß werden wird. Ich beobachte einen Marienkäfer in meiner Nähe genauer, welcher sich mit seinen Beinen an einen Grashalm haftet und ihn mit seinen Fühlern inspiziert. Ich beuge mich ein wenig vor, um seine Punkte zu zählen. Die meisten Leute denken es seien Altersmerkmale, doch in Wirklichkeit ändert ein solcher Käfer die Anzahl seiner Punkte nicht im Laufe seines Lebens. Vielmehr ist die Zahl der Punkte charakteristisch für die verschiedenen Arten und innerhalb der nahen Verwandtschaft einzelner Arten ähneln sich die Punktvariationen.

Eine neue Windböe trägt einen sanften Geruch von Stroh und schlammigem Bodengrund in meine Nase und ich drehe meinen Kopf leicht nach rechts zu dem bescheidenen Hof meines Vaters. Ich habe mich auf einem Hügelhang am Rande des Dorfes der Sieger niedergelassen und betrachte die hölzerne Stallung aus sicherer Entfernung. Es ist schon einige Monate her, seit dem ich das letzte Mal das Hofgut betreten habe.

Die mageren Rinder versuchen auf dem Geländegrund ihrer Weide irgendetwas essbares zu finden und müssen sich mit kleinen Grasbüscheln begnügen. Ein paar Wochen vor der Ernte für die Hungerspiele bekommt Distrikt 10 zusätzliches Viehfutter zugesendet, damit unsere Tiere wohlgenährt aussehen bis zu den Festlichkeiten im Kapitol, doch bis dahin muss unser Vieh hungern. Unser Distrikt ist dafür zuständig, das Kapitol mit verschiedenem zu beliefern: Nutztiere, Fleisch von unserem großgezogenen Vieh sowie unzählige weitere Erzeugnisse wie beispielsweise Milch von den Kühen und Ziegen und Eier von den Hühnern. Im Kapitol gilt es als Blamage, ein Steak von einem abgemagerten Rind zu servieren, weswegen sie uns mit Viehfutter aus anderen Distrikten großzügig zudecken, womit wir die Tiere mästen sollen.

Distrikt zehn ist eines der ärmsten Distrikte in Panem, vermutlich auf einer Stufe mit elf und zwölf. Und die Ironie dabei ist, dass sie unsere Tiere mit Futter überschütten aber die Bewohner am verhungern sind. Oft versuchen einige verzweifelte Menschen das Tierfutter zu stehlen, um wenigstens eine Mahlzeit seit mehreren Tagen in den Bauch zu bekommen oder ihre Kinder zu ernähren. Nur leider ist der Preis den sie dafür zahlen müssen ultimativ, denn auf den Diebstahl steht hier seit einiger Zeit die Todesstrafe. Wenn Futter verschwindet und sich kein Verantwortlicher finden lässt, wird der Hirte bei dem das fehlende Futter erkannt wurde bestraft. Zwar nicht mit dem Tod, aber sich ausgepeitscht um einen ganzen Hof zu kümmern ist schwierig und kommt für die meisten nicht in Frage.

Ich schätze die erste Sonderlieferung wird noch Ende dieses Winters kommen, um unnötigen Viehverlust zu vermeiden. Aber genauer lässt sich nicht leicht einschätzen, wie gesagt ich war schon lange nicht mehr auf dem Hofgut. Achtunddreißig Monate, wenn ich mich recht entsinne.

Mein Vater hasst die Hungerspiele wahrscheinlich mehr als die meisten Dorfbewohner und hat eine klare Einstellung zu  diesem Ereignis. Es ist selbstverständlich, dass niemand in den Distrikten dieses abscheuliche Event befürwortet. Im Gegenteil, sie fürchten diese Spiele. Sei es um ihretwillen oder aufgrund ihrer Kinder. Doch die meisten Eltern sitzen ununterbrochen tagelang vor den Monitoren und beten für ihre Kinder, hoffen dass sie überleben und zurückkehren als der Stolz des Distriktes. Mein Vater hasst das Kapitol und diese Hungerspiele sosehr, dass er sich weigert den jungen Sieger dieses grausamen Ereignisses in die Augen zu sehen. Wenn man gewinnt und überlebt, dann seiner Meinung nach nur wenn man sich dem Kapitol beugt und die Zuschauer belustigt. Man könnte meinen, er urteilt schnell über andere und wenn er erst einmal selbst in dieser Lage steckte, würde er sich nicht ein solches Urteil erlauben.

ɔıε тяıвυтε νσп ραпεм  - ɔεя ƨρσтттöʟρεʟ υпɔ ɔıε пαcнтıɢαʟʟWo Geschichten leben. Entdecke jetzt